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Gesundheit: Feinde fürs Leben

Bakterien werden gegen Antibiotika resistent – Infektionsmediziner fordern mehr Geld für mikrobielle Diagnostik

Sommer 1347: Mongolische Belagerer werfen Pestleichen über die Stadtmauer von Kaffa auf der Halbinsel Krim. Der erste Fall von Bioterrorismus ist zugleich Bestandteil einer dramatischen Pestepidemie, denn die Bewohner der italienischen Handelsniederlassung tragen die Seuche in die Heimat. Mehr als ein Drittel der europäischen Bevölkerung fällt der bakteriellen Infektionskrankheit zum Opfer, gegen die es kein wirksames Mittel gibt.

500 Jahre später erst überschlagen sich die Ereignisse förmlich: Louis Pasteur und Robert Koch weisen nach, dass Mikroben die Verursacher von Infektionskrankheiten sind. Durch Kanalisation, verbesserte Wohnverhältnisse und Krankenhaushygiene wird es den Erregern schwerer gemacht, die Nähe zum Menschen zu finden. Impfstoffe machen das Immunsystem abwehrbereit, Antibiotika den Bakterien den Garaus. Und auch das Zeitalter der Biotechnologie hat Fortschritte beizusteuern: Das Genom vieler Erreger wird entziffert, moderne molekularbiologische Methoden erleichtern den Erreger-Nachweis wesentlich.

„Früher wurden drei Viertel aller Erreger ohne Nachweis behandelt, heute ermitteln wir sie in 60 bis 70 Prozent der Fälle“, sagt Hartmut Lode von der Lungenklinik Heckeshorn, Präsident des 7. Kongresses für Tropenkrankheiten und Infektionsmedizin, der in der letzten Woche im Berliner ICC stattfand.

Dass die Infektionskrankheiten die Menschheit trotz aller Fortschritte weiter bedrohen, zu dieser Erkenntnis haben uns – nach einer euphorischen Phase Mitte des vergangenen Jahrhunderts – so unterschiedliche Themen wie AIDS, BSE und Bioterrorismus verholfen. Doch werden daraus auch die richtigen Konsequenzen gezogen?

Sucharit Bhakdi vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Uni Mainz kritisierte auf dem Kongress, dass Deutschland zwar für Vorbereitungen auf den extrem unwahrscheinlichen Fall eines Terrorangriffs mit Pocken und für die BSE-Testung von Rindern Milliarden ausgibt, dass jedoch für mikrobielle Diagnostik im Krankenhaus pro Patient nur drei Euro am Tag zur Verfügung stehen.

Reinhard Kurth, Leiter des Robert-Koch-Instituts, konnte sich diesem „Aufruf zum Überdenken“ erwartungsgemäß nur teilweise anschließen: Vorsorge in Sachen Bioterrorismus müsse sein, solange ein noch so geringes Restrisiko bestehe, dass gefährliche Erreger in falsche Hände gelangen. „Dass die Ressourcenverteilung bei der Diagnostik überdacht werden muss, ist jedoch richtig.“ Der Mikrobiologe Helmut Hahn vom Uniklinikum Benjamin Franklin hatte schon belegt, dass Diagnostik bei Infektionskrankheiten das Geld wert ist, das Koryphäen wie Robert Koch im Kaiserreich dank ihres guten Drahts zur Politik leicht locker machen konnten: An der Medizinischen Hochschule Hannover gelangen Einsparungen in der Höhe von einer Million Euro pro Jahr, seitdem medizinische Mikrobiologen dort die Verschreibungen ihrer Kollegen überwachen.

Wenn Medikamente gespart werden, geht es keineswegs nur ums Geld. Bedenklich ist vor allem, dass die zu häufig und falsch eingesetzten Waffen stumpf werden. „Es gibt schon Befürchtungen, dass wir in das Zeitalter vor Einführung der Antibiotika zurückfallen“, mahnt Kongresspräsident Lode. Die Bakterien passen sich den durch Antibiotika veränderten Lebensbedingungen an: Sie bilden Resistenzen. Gonokokken, die Erreger der Geschlechtskrankheit Tripper, sind inzwischen, wie Lode erläuterte, zu fast einem Drittel sogar gegen die antibiotische Reservewaffe der Chinolone resistent. Bisher konnten die Mediziner noch halbwegs darauf vertrauen, dass solche neuen Medikamente als Behandlungsalternativen in regelmäßigen Abständen auf dem Markt erscheinen. Doch die Zahl der Neuentwicklungen nimmt ab, weltweit forschen nur noch fünf Pharmafirmen daran. Pneumokokken, wichtige Erreger der bakteriellen Lungenentzündung, lassen sich schon seit einiger Zeit immer weniger von Antibiotika beeindrucken – mit regionalen Unterschieden: „Meinen Patienten, die für Atemwegsinfektionen anfällig sind, gebe ich den Rat, nicht mehr in bestimmte Länder Asiens zu fahren“, sagt Lode.

Sollten besonders anfällige Menschen auch besser den Weg ins Krankenhaus meiden? Ein Kongressthema war, wie man denjenigen Infektionen am besten vorbeugen kann, die drei bis vier Prozent der Klinikpatienten erst dort erwischen. Doch Lode verschwieg auch nicht, dass diese im Krankenhaus erworbenen Infektionen der Preis für die Fortschritte der modernen Medizin sein könnten. „Wir werden damit leben müssen“, sagte er im Blick auf Lungenentzündungen von über 90-jährigen, mehrfach kranken Patienten, die operiert werden, und auf Beatmete auf Intensivstationen, die für Atemwegsinfektionen besonders anfällig sind.

Dass über weite Strecken auch die einigermaßen friedliche Koexistenz von Mensch und Mikrobe möglich ist, zeigten die evolutionsbiologischen Überlegungen von Ernst Theodor Rietschel, der das Forschungsinstitut Borstel leitet und an der Uni Lübeck biochemische Mikrobiologie lehrt: „Ein Mikroorganismus, der sich nur von Mensch zu Mensch vermehrt, darf eigentlich nicht sehr gefährlich sein. Denn er hat ja ein Interesse daran, dass die Infizierten weiter mobil bleiben, um andere anstecken zu können.“ Anders sieht es da schon mit Erregern aus, die – wie der der Malaria – einen Zwischenwirt oder – wie der der Cholera – das Wasser nutzen können, um ihr Überleben zu sichern.

„Der Mensch hat für den Kampf gegen Viren und Bakterien drei Waffen“, resümierte Rietschel, „sein Immunsystem, Medikamente und seinen Intellekt“. Über 200 Referenten und über 1000 Teilnehmer des Kongresses strengten letzteren an. Sie sprachen jedoch auch darüber, dass der Intellekt selbst sich als anfällig erweist: Ansteckend wirken Profitorientierung wie Panikmache. Führt das eine dazu, Rindern Antibiotika und Fischmehl in den Futtertrog zu füllen, so zeigt sich das andere in Massenhysterie beim bloßen Gedanken an das Pocken-Virus.

Adelheid Müller-Lissner

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