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Gesundheit: Fischig riechend und reizend

Die EU-Kommission hat eine Chemikalien-Verordnung vorgelegt. Ruiniert sie damit die Industrie?

„Chemie ist Leben“, heißt es derzeit allenthalben beim Jahr der Chemie. In der Tat werden alle Lebensfunktionen von chemischen Vorgängen gesteuert. Als Wirkstoffe in Medikamenten helfen chemische Substanzen gegen Krankheiten. Aus dem Alltag sind die synthetischen Stoffe nicht mehr wegzudenken. Sie machen das Leben farbig und angenehm. Doch Chemikalien können auch über Haut, Atmung oder Nahrung in den Körper gelangen und ihn schädigen.

An der Minimierung des Risikos arbeiten Wissenschaftler, Industrie und Umweltschützer. Letztere beschwören die Gefahren. Es ist von krebserzeugenden oder hormonaktiven Stoffen die Rede; von Chemikalien, die Allergien oder Asthma hervorrufen. Die Industrie verweist auf die vielen Schutzmaßnahmen, die getroffen wurden. Den Rahmen setzt der Staat und neuerdings die EU. Darüber gibt es heftige Kontroversen.

Über die Gefahren von Dioxin oder Asbest ist man sich einig, aber was ist mit den Alltagschemikalien, die kaum jemand kennt. Was ist beispielsweise mit Dimethylethanolamin? Wer nicht gerade den Leistungskurs Chemie besucht hat, wird sich mit der Antwort schwer tun. Es sei denn, er hat beruflich mit „DMEA“ zu tun. Dann könnte er wissen, dass die farblose, fischig riechende Flüssigkeit vorsichtig zu handhaben ist, um Haut und Augen nicht zu reizen. Die Spezialchemikalie schützt vor Korrosion und dient der Herstellung von Lacken, Textilhilfsmitteln, Ionenaustauschern oder Druckfarben.

Die „reizenden“ Eigenschaften von DMEA können aber auch ausgesprochene Chemiemuffel kennen lernen. Schnuppern an frisch lackierten Holz- oder Metallflächen wäre eine Möglichkeit, eventuell reicht auch das Auspacken von Käse oder Wurst. Denn vielleicht befindet sich auf der Lebensmittelpackung ein Aufdruck, dessen Farbe unter Zuhilfenahme von DMEA hergestellt wurde. Kann die Chemikalie über die Haut oder durch Einatmen in den Körper gelangen? Kann das Schaden anrichten?

Angesichts der winzigen Mengen dürfte eine Gefährdung auszuschließen sein, doch mit letzter Sicherheit lässt sich das nicht beantworten. Gewissheit über das Gefahrenpotenzial können nur Tests geben – mit Zellkulturen, notfalls auch per Tierversuche. Dabei muss der gesamte Lebenszyklus der Chemikalie betrachtet werden, vom Hersteller über Zwischenhändler, gewerbliche Anwender und Verbraucher bis zur Entsorgung. Dazu müssen alle Arten der Anwendung bekannt sein. Man muss über die möglichen Kontakte zwischen Lebewesen und Chemikalien Bescheid wissen, die Pfade in die Umwelt kennen und schließlich die Entsorgung des Stoffes verfolgen.

Alle Chemikalien unter die Lupe zu nehmen, ist wahrlich eine Riesenaufgabe angesichts von Abertausenden von chemischen Substanzen, die auf dem Markt sind. Die EU-Kommission hat es gewagt und Ende Oktober den Entwurf einer Chemikalien-Verordnung präsentiert (s. Kasten). Seitdem bewegt die Vorlage, kurz „Reach“ genannt, die Gemüter. Brüssel will die Registrierung von rund 30000 Chemikalien vorschreiben, deren jährliche Produktionsmenge eine Tonne übersteigt. Bei rund 10000 Substanzen, von denen jährlich mehr als zehn Tonnen hergestellt werden, muss darüber hinaus die Unbedenklichkeit für Umwelt und Gesundheit nachgewiesen werden.

Besonders aufwändig wird das Verfahren für „Altstoffe“. Für diese vor 1981 auf den Markt gebrachten Chemikalien mussten – anders als für „Neustoffe“ - bisher keine speziellen Tests durchgeführt werden. Mit dem Reach-Entwurf strebt EU-Umweltkommissarin Margot Wallström gleiche Regelungen für alle Chemikalien an. Laut Zeitplan soll die Vorschrift bis 2006 in Kraft treten, vorausgesetzt, Ministerrat und Europäisches Parlament geben das Plazet. Um das zu beeinflussen, werden die Bataillone der Lobbyisten in Stellung gebracht.

So malt der Verband der Chemischen Industrie (VCI) die Zukunft in schwärzesten Farben. Das „bürokratische Monster“ verursache Kosten von -zig Milliarden Euro. Mehr als eine Million Arbeitsplätze in der EU würden verloren gehen. Man muss die immensen Einsparungen durch geringere Krankheitskosten dagegenstellen, sagt Dirk Bunke vom Öko-Institut Freiburg. „Die EU-Kommission ist vor der Industrie in die Knie gegangen“, meint Greenpeace-Sprecher Manuel Fernandez.

Geht man allein von der Zahl der Chemikalien aus, für die die Industrie Tests durchführen und Daten offen legen muss, so könnte Fernandez Recht haben. Die Zahl ist gegenüber einer Vorlage vom Mai 2003 auf ein Drittel geschrumpft. Das liegt daran, dass die Sicherheitstests ursprünglich für alle Substanzen vorgesehen waren, von denen mehr als eine Tonne jährlich hergestellt wird. Das hätte aber, so VCI-Sprecher Manfred Ritz, vor allem kleine und mittelständische Hersteller getroffen. Testdurchführung, Dokumentation und Registrierung seien für sie eine zu große Belastung. Bei Spezialchemikalien, die bisher in kleinen Mengen hergestellt worden seien, lohne sich die Produktion möglicherweise nicht mehr.

Als „zu weitgehend“ kritisiert Klaus Steinhäuser, Leiter des Fachbereichs Chemikalien-Sicherheit am Berliner Umweltbundesamt (UBA), „die Rücksichtnahme gegenüber der Industrie“. Damit falle man sogar hinter die Selbstverpflichtung der Industrie aus dem Jahre 1997 zurück, in der für Mengen ab einer Jahrestonne entsprechende Tests, beispielsweise zur biologischen Abbaubarkeit, vorgesehen seien. Steinhäuser vermisst zudem ein festes System zur Qualitätssicherung. Testdurchführung sowie Umfang der zu erhebenden Daten müssten von unabhängigen Prüfern kontrolliert werden.

In den Vorschriften zur Offenlegung von Daten sieht die Branche ein großes Problem. Denn nach der von Brüssel vorgesehenen Prozedur muss sich auch jeder Zwischenhändler und Zubereiter von speziellen Mixturen an die Registrierpflicht halten und die Sicherheit der einzelnen Komponenten nachweisen. Das heißt, dass alle Details offen gelegt werden müssen. Und genauso wenig wie Coca-Cola seine Formel preisgeben will, möchten sich etwa Druckfarbenhersteller in die Karten gucken lassen.

Paul Janositz

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