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Gesundheit: Forscher fürchten „feindliches Klima“ Wissenschaftsorganisationen kritisieren verschärften Tierschutz

Von Adelheid Müller-Lissner Dass der Tierschutz jetzt nach jahrelangen Debatten als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen wurde, haben die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen mit gemischten Gefühlen begleitet. In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und die Max-Planck-Gesellschaft kurz vor der entscheidenden Sitzung des Bundestags nochmals ihre Bedenken gegenüber dieser Erweiterung unserer Verfassung.

Von Adelheid Müller-Lissner

Dass der Tierschutz jetzt nach jahrelangen Debatten als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen wurde, haben die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen mit gemischten Gefühlen begleitet. In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und die Max-Planck-Gesellschaft kurz vor der entscheidenden Sitzung des Bundestags nochmals ihre Bedenken gegenüber dieser Erweiterung unserer Verfassung. Sie appellierten – erfolglos – an den Gesetzgeber, sich mit einer Ergänzung des Artikels 20a zufrieden zu geben und in den „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ die Formulierung „einschließlich der Tiere“ einzufügen.

Dass Missstände bei Tiertransporten und Massentierhaltung anvisiert werden, begrüßen die Wissenschaftsorganisationen dabei ausdrücklich. Doch sie befürchten Behinderungen für die Forschung: „Tierversuchsgegner haben aber angekündigt, auf der Grundlage einer grundsätzlichen Verankerung des Tierschutzes ein Verbot von Tierversuchen auch für die Forschung erreichen zu wollen und gerichtlich gegen das Grundrecht der Forschungsfreiheit in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes durchzusetzen“, heißt es schon in einem Papier der DFG von 1999.

„Eine Flut von Prozessen“

Da die Rangfolge zwischen dem Grundrecht der Forschungsfreiheit und dem neuen Staatsziel Tierschutz jeweils im Einzelfall festgestellt werden müsse, stünde tierexperimentell forschenden Wissenschaftlern, „wie von ihren Gegnern angekündigt, eine Flut von Prozessen ins Haus“. Zwar ist man bei der DFG zuversichtlich, dass diese Prozesse gewonnen werden, doch fürchtet man „erhebliche Rechtsunsicherheit“ und ein „insgesamt forschungsfeindlicheres Klima“.

In einem offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien hatte schon im Januar 1999 Max-Planck-Präsident Hubert Markl festgestellt, es könne damit zu einer „bedenklichen Umkehr der Beweislast“ kommen. Ein „absoluter“ Tierschutz würde „in der Konsequenz den Schutz von Tieren höher stellen als die Vermeidung menschlichen Leidens“.

Notwendige Versuche würden zudem eher ins Ausland verlagert – wo die Bedingungen für die Versuchstiere oft deutlich schlechter seien als in Deutschland.

Replace, reduce, refine

„Es wird praktisch kaum eine Reduktion eintreten“, prognostiziert dagegen Horst Spielmann, Leiter der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET), die beim Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin in Berlin-Marienfelde angesiedelt ist. Allerdings glaubt auch er, dass die Auseinandersetzungen vor Gericht zunehmen werden, zumal nun auch die Verfassungsgerichte angerufen werden können.

Spielmann, der Deutschland in verschiedenen einschlägigen EU-Gremien vertritt, widmet sich seit Jahren den Alternativen zum Tierversuch in Forschung und Lehre. Seit Jahrzehnten dient das 3-R-Prinzip nicht nur Spielmann als Richtschnur. „Replace“ steht für die Suche nach Alternativen. Sie können zum Beispiel in Computersimulationen oder Zellkulturen bestehen. Doch nicht immer kann auf den Einsatz lebender Organismen verzichtet werden. „Reduce“ mahnt dann zur Verringerung der Anzahl der benötigten Tiere, „refine“ für Veränderungen der Versuche, die die Belastungen für die Tiere senken.

Jeder Einsatz von Tieren zu Forschungszwecken war schon vor der Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung genehmigungspflichtig. Kommissionen prüfen, ob es Alternativen gibt und ob die Fragestellung es verlangt, dass das Tier keine Narkose bekommt. Bei der DFG setzt man inzwischen verstärkt auf die Aufklärung der Öffentlichkeit. Die Senatskommission für tierexperimentelle Forschung der DFG hat eine Info-Broschüre in Arbeit.

Auch bisher gingen militante Tierschützer mit Menschen nicht immer zimperlich um: Als der renommierte Neurowissenschaftler Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt / Main, der seine Untersuchungen zum Bewusstsein auch tierexperimentell untermauerte, im Jahr 1998 den Hessischen Kulturpreis erhielt, wurde er als „Tierschlächter“ und „Verbrecher“ angeprangert und musste unter Personenschutz gestellt werden.

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