zum Hauptinhalt

Gesundheit: Frauen an der Uni: Mathematik war bei Studentinnen beliebt

Die Fächer Mathematik und Physik gelten heute an den Hochschulen als Männerdomänen: Der Anteil von Studentinnen liegt hier weit niedriger als ihr Gesamtanteil an den Studierenden. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass das nicht immer der Fall war.

Die Fächer Mathematik und Physik gelten heute an den Hochschulen als Männerdomänen: Der Anteil von Studentinnen liegt hier weit niedriger als ihr Gesamtanteil an den Studierenden. Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass das nicht immer der Fall war. In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stellten Frauen zwar nur weniger als zehn Prozent aller Studierenden, in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern jedoch lag ihr Anteil bei bis zu 25 Prozent. Ilse Costas, Historikerin und Soziologin an der Universität Göttingen, hat die Geschichte von Frauen an ihrer eigenen Hochschule erforscht. Ihre Ergebnisse lassen sich jedoch auch auf andere Universitäten übertragen: "Zwischen 1924 und 1930 war an allen preußischen Universitäten der Anteil von Studentinnen in der Mathematik höher als der durchschnittliche Frauenanteil in anderen Fächern."

Welche Auswirkungen hatten Veränderungen im Wissenschaftssystem auf die Karrierewege von Frauen an den Universitäten? Was für eine Rolle spielten dabei die politischen Bedingungen und fachlichen Besonderheiten? - Diese Fragen erörterten am Wochenende Wissenschaftlerinnen im wissenschaftsgeschichtlichen Kolloquium des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung an der Humboldt-Universität.

Forschung in der Familie

Am Beispiel der Geschichte der Berliner Familie Kirch, die sich im 18. Jahrhundert als Familienbetrieb der astronomischen Forschungsarbeit widmete, erläuterte Theresa Wobbe, Historikerin an der Universität Erfurt, einen entscheidenden Wandel: Die Kirchs forschten im Haushalt gemeinsam, zwischen Eltern und Kindern fand eine Arbeitsteilung statt, und die Arbeitsinstrumente waren jedem Familienmitglied zugänglich. Mit der Berufung des Vaters zum königlichen Astronomen an die 1711 feierlich eingeweihte Preußische Akademie der Wissenschaften gingen die Geschlechter getrennte Wege. An die Stelle des Familienbetriebs trat ein neues Arbeitsmodell - der lehrende Professor und der lernende Student. Das Seminar wird öffentlich, während das Zuhause privater wird; von diesem neuen öffentlichen Ort aber werden Frauen ausgeschlossen.

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die wissenschaftlichen Einrichtungen zu quasi-industriellen Betrieben wuchsen, eröffneten sich neue Chancen für Frauen: zunächst als Hilfspersonal. Rund 200 Frauen arbeiteten nach dem ersten Weltkrieg in der Akademie - als Schreibkräfte, in der Bibliothek, in Labors. Doch auch immer mehr formal ausgebildete Frauen reüssierten den 1920er Jahren auf dem universitären Parkett. Frauen promovierten und habilitierten sich, doch ihre Chancen auf eine Anstellung waren klein: "Ein statistischer Zusammenhang zwischen erreichtem Abschluss und der beruflichen Position ist nicht vorhanden", formulierte Ilse Costas nüchtern. Von den 142 Frauen, die zum Beispiel an der Universität Köln bis 1945 promovierten, wurden 47 von der Uni eingestellt, viele davon als Sekretärinnen. Die höchste erreichte Position war eine Assistentenstelle.

Eine Ordinaria sucht man bis 1945 vergebens, doch die Spurensuche bleibt auch unterhalb von Spitzenpositionen schwierig. "Wir wissen immer noch nicht genau, wie viele Wissenschaftlerinnen sich im Deutschen Reich bis 1945 habilitiert haben", sagte Stefanie Marggraf, Doktorandin an der Technischen Universität. Sie schätzt die Zahl der habilitierten Frauen auf rund 100, ein Viertel davon an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin.

Spitzenplatz der Berliner Uni

Damit nimmt die spätere Humboldt-Universität einen Spitzenplatz ein. Die Sonderrolle der Hochschule verdanke sich zum einen der Vielfalt an wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten im Berlin der Nachkriegszeit, zeuge aber zugleich von der "großen Einflussoffenheit" der Universität unter den Linden. Liberale Hochschullehrer, die als Mentoren entscheidenden Einfluss auf die Habilitationsmöglichkeiten von Frauen ausübten, haben viel dazu beigetragen, dass "nirgendwo sonst so viele Frauen die Lehrbefugnis, die Venia Legendi, erlangten", sagt Stefanie Marggraf.

Jedenfalls galt das bis 1932. Mit dem Nationalsozialismus endeten die meisten wissenschaftlichen Karrieren von Frauen. Das Ministerium ließ weniger Frauen zum Studium zu, dem "Doppelverdienertum" wurde der Kampf angesagt. Schon Anfang der 1930er Jahre hatte der Deutsche Philologenverband gefordert, "das Frauenstudium angesichts der Arbeitsmarktlage endlich zu beenden." Die neue Habilitationsordnung von 1934 sprach zwar kein Verbot aus, führte aber für die Venia Legendi einen kleinen Unterschied mit großen Folgen ein: Man trennte die Befähigung von der Befugnis zur Lehre und erteilte die Lehrerlaubnis nur nach Teilnahme an einem militärischen Gemeinschaftslager - und das war Frauen verboten.

Per Erlass wurde außerdem verfügt, dass Frauen aus gesicherten Verhältnissen künftig keine besoldeten Assistentenstellen, ab 1937 grundsätzlich nicht mehr höhere Beamtenstellen besetzen dürfen. Ausnahmen waren vorgesehen, beispielsweise im Bereich der öffentlichen Wohlfahrt.

Ab 1937 verbesserte sich das Hochschulklima für Frauen wieder, weil der wissenschaftliche Nachwuchs knapp wurde. Dass sich nunmehr wieder einzelne Frauen habilitieren konnten, hing auch mit den Interessen der Politik zusammen, betonte Stefanie Marggraf. Es handelte sich ausnahmslos um kriegsrelevante Fächer: "drei medizinische Habilitationen und eine aus der Slawistik, was im Zuge der Ostraum-Pläne der Nationalsozialisten gesehen werden muss."

Gerlinde Unverzagt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false