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Gesundheit: Fremdsprachen an deutschen Schulen: Früher Start mit Englisch

Schulreform heute: Alles soll viel schneller gehen und früher beginnen. CDU und SPD liefern sich ein Wettrennen, welche Regierung das Abitur früher ansetzt.

Schulreform heute: Alles soll viel schneller gehen und früher beginnen. CDU und SPD liefern sich ein Wettrennen, welche Regierung das Abitur früher ansetzt. Der Wettstreit gilt auch der Frage, ob die erste Fremdsprache schon im Kindergarten, von der ersten Klasse oder von der dritten Klasse an gelernt werden soll.

Englisch in der dritten Grundschulklasse ist der letzte Schrei. Englisch wie bisher in der fünften Klasse zu beginnen - das gilt als Unterricht von gestern. Aber die Vorverlegung auf die dritte Klasse garantiert noch lange nicht den richtigen Sprachunterricht von Morgen. Man muss schon wissen, wie man das macht. "Einen Begegnungsunterricht in der fremden Sprache mit 15 Minuten pro Tag oder zwei Stunden pro Woche kann man vergessen." Das sagt der erfahrene Englischprofessor und Didaktiker Professor Henning Wode von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Er ist wegen seiner radikalen Reformvorschläge bekannt.

Englisch ist die Lingua franca - "die ganze Welt macht das", kommentiert Hennig Wode. Firmen und Behörden in Europa brauchen mehr: Wer einen guten Job finden will, sollte zumindest noch eine weitere Weltsprache beherrschen - ob Spanisch, Russisch, Arabisch oder Chinesisch. Bessere Chancen hat auch, wer eine in Europa wichtige Sprache wie Polnisch, Portugiesisch oder Italienisch kann. Und gefragt sind jene Spezialisten, die sich in kleinen Sprachen verständigen wie Dänisch, Niederländisch. Oder in Minderheitensprachen wie Katalanisch, Kasubisch oder Slowenisch.

Wer eine fremde Sprache wirklich beherrschen will, braucht dafür fünf bis sieben Jahre Schulunterricht. Dann kann er frei sprechen und zum Beispiel Englisch nicht nur lesen oder verstehen. Wenn künftig die Jugendlichen mindestens zwei, besser drei Fremdsprachen beherrschen sollen - wie kann das organisiert werden? Für das Lernen fremder Sprachen gelten drei notwendige Bedingungen: Dauer, Intensität und Kontinuität: Zu wenige Stunden, zu wenige Jahre - das sind Fehler in der Dauer. Nur Häppchenangebote mit Singen englischer Lieder und ein bisschen Fernsehen im Kindergarten! Da fehlt es an der Intensität. Und wer eine Fremdsprache in der Oberstufe abwählt, zerstört die Kontinuität und gibt die Sprache bald dem Vergessen preis.

Was ist zu tun? Henning Wode antwortet: "Kanada hat es seit Mitte der 60er Jahre vorgemacht, aber diese Erfolge sind in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen worden." In dem zweisprachigen Land dominiert Englisch, aber in Quebec auch das Französische. Kanada startet den zweisprachigen Unterricht bereits mit den Fünfjährigen im Kindergarten - und zwar in Französisch. Auch in den ersten beiden Grundschulklassen läuft der Unterricht nur in Französisch - quer durch alle Fächer. Danach wird diese Intensität um 50 Prozent zurückgenommen, damit die Fähigkeit, sich in der Muttersprache in Englisch schriftlich fortzubilden, nicht leidet. Bei diesem Unterricht kommt weder das Fachwissen zu kurz noch die Fähigkeit, in der Muttersprache altersgemäße Fortschritte zu erreichen.

Wer zu spät kommt

Wode sagt unumwunden: "Mit der Fremdsprache erst in der dritten Klasse zu beginnen, das ist zu spät. Man muss mit der ersten Klasse beginnen und das bilingual." Wenn man erst in der dritten Klasse damit anfängt, "dann reichen zwei Stunden pro Woche nicht aus". Englisch zum Beispiel muss auch in anderen Fächern zur Unterrichtssprache werden, um wenigstens auf fünf Stunden in der ersten Fremdsprache pro Woche zu kommen. Und wie schafft man das in den überfrachteten Stundenplänen der Schulen, einen möglichst frühen Beginn für die zweite Fremdsprache zu eröffnen? In der fünften Klasse, wie Wode er fordert, statt in der siebten Klasse?

Wer perfekte Sprachkenntnisse erzielen will, sollte - um es an einem Beispiel zu verdeutlichen - Englisch nicht nur in die Englischstunden verlegen, sondern auch in den Fachunterricht. Das ist in den sechziger Jahren mit Französisch probiert worden, seit den 70er Jahren mit Englisch. Wode verweist auf das Beispiel Schleswig-Holstein. Der pragmatische Ansatz war: Welche Lehrer unterrichten neben Englisch noch andere Fächer besonders häufig? Heraus kamen die Kombinationen Englisch-Geschichte, Englisch-Politische Weltkunde, Englisch-Geographie. Diese Fächer wurden danach auch in Englisch unterrichtet. In den 90er Jahren fand das Ministerium zunächst fünf Gymnasien und vier Realschulen, die das Lehrerpotenzial dafür hatten, heute sind es über 20. So konnten für das Englisch-Üben vier bis sechs Stunden mehr in der Woche gewonnen werden. Das hat die Intensität gefördert: Die Schüler eines bilingual begrenzten Unterrichts beherrschten mehr Verben, mehr Vokabeln, mehr Redewendungen als ihre Altersgenossen.

Hennig Wode hat noch eine andere bemerkenswerte Beobachtung gemacht: Die bilingual unterrichteten Schüler begannen mit der Sprache zu experimentieren: Sie erfanden neue Wortkombinationen im Englischen - die Kreativität, die Lust am Sprechen wurde geweckt. Das Rezept wurde "zum Renner" und ist nicht mehr rückgängig zu machen. Auch wenn sich immer mehr Gymnasien im Norden daran beteiligen, bleibt es dennoch ein "Eliteangebot", weil es flächendeckend nicht zu organisieren ist.

Aber das ist nur die Lösung für eine, die erste Fremdsprache. Für die zweite Fremdsprache lässt sich mit dieser Methode eine vergleichbare Intensität allein schon aus Zeitgründen nicht erreichen, wenn der Start in der zweiten Fremdsprache erst in der siebten Klasse erfolgt.

Die Muttersprache muss nicht leiden

Wer befürchtet, dass durch das frühere Lernen einer Fremdsprache die Muttersprache leidet, wird durch zahlreiche Untersuchungen eines Besseren belehrt. Das Gegenteil ist der Fall. Der bilinguale Unterricht fordert junge Schüler so heraus , dass davon Gehirn und Konzentrationsfähigkeit profitieren. Das macht sich auch durch höhere Leistungen in anderen Fächern bemerkbar. Solche Erfahrungen haben die Franzosen im Elsass mit der Kombination Deutsch-Französisch gemacht, die Deutschen im Grenzgebiet mit dem Dänischen, die Engländer in Wales. Auf einem Sprachseminar in Cottbus konnten solche Erfolge auch von Vertretern europäischer Minderheitensprachen gemeldet werden: Die Kaschuben im Umkreis von Danzig dürfen nach der Wende auch in Polen als Minderheit wieder ihre alte Sprache anbieten. Die Kroaten im Grenzgebiet von Österreich zu Ungarn bieten Unterricht in Deutsch und Kroatisch im stetigem Sprachwechsel Stunde für Stunde quer durch alle Fächer an. Auch die Slowenen in Kärnten haben das erreicht.

Doch Sprachen sind nicht das Einzige. Besonders die Naturwissenschaften und die Mathematik müssen künftig ganz anders gepflegt werden als bisher, wenn Deutschland seinen international blamablen Rückstand in den Schulen aufholen will. Die Schulpolitiker stehen vor großen Problemen bei der Gestaltung der Stundentafeln.

Voraussetzung für besseren Sprachunterricht sind gut ausgebildete Lehrer. Am besten schickt man sie für ein Jahr ins Ausland. Die Einführung von Englisch in der dritten Grundschulklasse bedarf also einer sorgfältigen Vorbereitung. Die deutschen Länder machen sich entsprechende Gedanken. Aber sie gehen sehr vorsichtig vor und wollen, bevor sie an eine Vorverlegung der zweiten und dritten Fremdsprache denken, die Erfahrungen erst auswerten. Am meisten wagt Baden-Württemberg. Dort beginnt an über 400 Grundschulen bereits in der ersten Klasse der Einstieg in die erste Fremdsprache im nächsten Jahr (siehe Ländervergleich).

Uwe Schlicht

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