zum Hauptinhalt

Gesundheit: Frische Gesichter

Heute startet das neue Semester: Wer auf die Berliner Unis zukommt – und wer vorerst draußen warten muss

Das Abenteuer Uni beginnt: Etwa 16000 Erstsemester – die genauen Zahlen stehen erst im November fest – starten heute in Berlin ihr Studium. So viele wie noch nie haben sich für einen Platz an den Hauptstadt-Unis beworben: 24000 waren es allein an der Freien Universität, 19000 an der Humboldt-Uni. Wir haben nachgefragt, was Erstsemester heute bewegt: Einen Berliner, der hier einen Platz ergattert hat; eine Berlinerin, die das nicht geschafft hat und ihre Heimat verlassen muss – und einen Neu-Berliner.

DER NEUANKÖMMLING

Toni Karge (19) : Ich komme aus Waren an der Müritz und bin in den Wedding gezogen, in den berüchtigten Soldiner Kiez. Klar, wir in Waren haben davon gehört, dass eigentlich Prenzlauer Berg der In-Bezirk ist. Aber da findet man einfach keine bezahlbare Wohnung. Außerdem kommt man von Wedding überall schnell hin. Überhaupt begeistert mich die Berliner Mobilität: In Mecklenburg-Vorpommern fahren die Busse nur einmal in der Stunde. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich einmal für die BVG als Kontrolleur arbeite. Momentan brauche ich aber noch keinen Job, weil ich von meinen Eltern unterstützt werde.

Deswegen fühle ich mich verpflichtet, möglichst schnell das Studium abzuschließen. Aber verlockend ist es schon, dass man hier bis spät in die Nacht durch die Viertel ziehen kann. Die Kneipen-Kultur war auch ein Grund für mich, hierher zu ziehen. Trotzdem hoffe ich, um das Berlin-Extra-Jahr, von dem hier viele erzählen, herumzukommen. Für die Stadt habe ich mich auch entschieden, weil die TU Berlin eine der wenigen Unis ist, an der man Stadt- und Regionalplanung studieren kann. Auf Rostock und Greifswald hatte ich absolut keine Lust.

Jetzt habe ich mich schon etwas eingewöhnt. Die Touristen-Orte habe ich inzwischen alle schon besucht und wundere mich auch nicht mehr, wenn ich auf der Straße Politiker oder TV-Stars treffe. Letztens stand Wolfgang Thierse an der Haltestelle neben mir.

Und wenn ich doch einmal Heimweh habe, kommen mir wieder die Top-Verbindungen in Berlin zu Gute: Pro Tag fahren mehrere Züge in zwei Stunden direkt bis nach Waren an der Müritz. Aber ein Stück Heimat hab ich schon hier: Mein Mitbewohner ist auch aus Waren. Er wohnt schon etwas länger hier und berlinert schon manchmal. Ich will versuchen, meinen Mecklenburger Akzent noch etwas zu behalten.

* * *

DIE VERTRIEBENE

Swaantje Fiebig (20): Platz 500 auf der Warteliste für Psychologie an der Humboldt-Uni und der Uni Potsdam – das kann ich vergessen. Dabei wollte ich so gern in Berlin oder Potsdam studieren. Jetzt muss ich Berlin verlassen – und in Greifswald Englisch auf Lehramt studieren. Damit sehe ich auch meinen Freund seltener, der hier studiert.

Dabei dachte ich am Anfang noch, dass ich mit meiner Abinote von 2,2 in Psychologie gute Chancen hätte. Aber ich bin an keine der sechs Unis gekommen, die ich bei der ZVS als Wunschunis angegeben habe. Um sicher zu gehen, habe ich mich auch für Englisch auf Lehramt beworben. Gleich an zwölf Unis. Greifswald, Gießen, Jena und Kiel – überall bin ich angenommen worden. Nur in Potsdam bin ich auch für das Lehramt wieder gescheitert. Dabei war ich beim Einstufungstest erst sogar erfolgreich. Da mussten alle Bewerber beweisen, wie gut sie Englisch können. Ich bin gerade von meinem Auslandsjahr in Australien zurückgekehrt und bestand den Test ohne Probleme. Aber trotzdem – kein Studienplatz.

Meine letzte Hoffnung ist jetzt, dass ich mich in Psychologie in die Uni Potsdam einklagen kann. Der Anwalt kostet zwar zwischen 500 und 1000 Euro, aber mir ist es das wert. Ein paar meiner Freundinnen von der Schule sind auf diese Weise zu ihrem Studienplatz gekommen. Die Chancen stehen wohl bei 30 Prozent, sagt der Anwalt. Frühestens im November höre ich wieder von ihm.

Jetzt fange ich auf jeden Fall erst mal an, hier in Greifswald zu studieren, und gehe brav in meine Einführungs-Kurse. Umgezogen bin ich auch schon. In Greifswald ist es ja schwieriger als in Berlin, etwas zu bekommen. Jetzt wohne ich in einer WG mit zwei anderen Studentinnen. Und eigentlich hat Greifswald auch Vorteile: Die Universität hier hat einen guten Ruf. Es gibt viel weniger Studenten, und die Ostsee ist vor der Haustür. Vielleicht lässt mich das Rauschen der Wellen irgendwann all die Sorgen vergessen.

* * *

DER DAHEIMGEBLIEBENE

Fabian Henze (20) : Für mich war von Anfang an klar: Ich bleibe in Berlin. Hier wohnen alle meine Freunde und meine Familie. Na gut, vielleicht war ich auch etwas zu faul. Ich wohne schließlich gut bei meinen Eltern und will dort noch mindestens ein Semester wohnen bleiben. Ich habe das schönste Zimmer in unserem Haus. Es hat einen Balkon und der Blick geht auf unseren Garten. Auch mein Kiez in Lichterfelde-West ist eigentlich sehr angenehm.

Da wäre eigentlich die Freie Universität näher gewesen. Aber dort studiert man besser Geisteswissenschaften, haben alle gesagt. Außerdem wollte ich auch an die Technische Universität, selbst wenn sie in Rankings für mein Fach „Wirtschaftsingenieurwesen“ nicht so gut abschneidet. Woanders habe ich mich erst gar nicht beworben. Den Platz zu bekommen, war dann doch nicht so einfach, wie ich dachte. Zuerst habe ich nämlich einen Ablehnungsbescheid bekommen. Nachdem ich dann schon Alternativpläne gemacht hatte, kam nach einem Monat doch die Bestätigung im Nachrückverfahren.

Das Fach gilt sowieso als einer der längsten Studiengänge. Ich rechne mit mindestens zehn Semestern. Dabei will ich auch viele Kommilitonen aus anderen Teilen Deutschlands kennen lernen. Bisher hatte ich kein Problem, mich auf neue Leute einzustellen. Auch wenn man Berlinern immer nachsagt, dass sie unter sich bleiben wollen. Ich bin gespannt, welche Seiten von Berlin ich durch meine Mitstudenten noch neu entdecken werde.

Wenn ich wirklich einmal umziehen sollte, dann sicher in einen Stadtteil, der näher an der Uni liegt. Der Weg von rund einer Dreiviertelstunde ist doch etwas zu weit.

DIE DURCHSCHNITTSSTUDENTIN

Susi Statistika (19,5): Herzlich Willkommen in Berlin, Susi Statistika! Denn Susi, unser Durchschnittserstsemester, ist zum Studieren gerade frisch nach Berlin gezogen. Der Anteil der Landeskinder liegt an allen Unis unter fünfzig Prozent. Sie ist eine Frau: An der HU und der FU kommen fast zwei Studentinnen auf einen Kommilitonen. Im Sommer hat Susi ihr Abizeugnis bekommen. Noch nie waren die Erstsemester so jung, sagen die Unis – eine Ausbildung vor dem Studium sei für Jugendliche nicht mehr attraktiv.

Susi fängt wahrscheinlich mit Jura an. 700 Studienplätze gibt es in dem Fach in Berlin, so viele wie in keinem anderen. Knapp dahinter liegt BWL. Wenn es nach den Bewerberzahlen geht, hätte Susi aber lieber Human- oder Tiermedizin studiert. Diese Fächer waren mit 8600 Bewerbungen in Medizin an der Charité und 4000 in Tiermedizin an der FU der absolute Renner – die Zahl der Studienplätze ist aber geringer als in Jura.

Susi tritt in die Fußstapfen der Eltern: Laut Sozialerhebung des Studentenwerkes studieren in keinem Bundesland mehr Akademikerkinder als in Berlin. Susi gehört zu den reichen Studenten im Land. 808 Euro kann sie im Monat ausgeben, mehr haben nur die Hessen und Hamburger. Dafür wird sie im Semester neun Stunden pro Woche arbeiten.

Es ist unwahrscheinlich, dass Susi ihr Studium abbricht. In den Bachelorstudiengängen, die an FU und HU fast flächendeckend eingeführt worden sind, ist die Abbrecherquote drastisch gesunken, heißt es aus den Unis. tiw

Protokolle: Sören Kittel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false