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Gesundheit: Führungsanspruch

Die Leopoldina will nationale Wissenschafts-Akademie werden

Seit der Übergabe des Präsidentenamtes an der ältesten Naturwissenschaftlichen Akademie der Welt ist eines klar: Die Leopoldina will unter ihrem neuen Präsidenten Volker ter Meulen die Rolle einer nationalen deutschen Akademie übernehmen.

Mit diesem Anspruch steht sie in Konkurrenz zur Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, die ihre Ambitionen auch mit Hilfe der Leopoldina durchsetzen wollte. Wolfgang Frühwald, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und Mitglied beider Akademien, war jahrelang ein engagierter Mitstreiter an der Seite des Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie, Dieter Simon, für eine NationalAkademie. Jetzt hat sich Frühwald jedoch ganz auf die Seite der Leopoldina geschlagen und sie aufgefordert, unabhängig davon, ob Bundesregierung und Bundesländer damit einverstanden sind, diese Rolle zu übernehmen. Es sei höchste Zeit, dass die Lücke ausgefüllt und eine Akademie als die Deutsche Akademie der Wissenschaften akzeptiert werde. Da ringsum in dieser Frage trotz einer 20-jährigen Diskussion Lähmung herrsche, müsse sie jetzt von der Basis her durch den Wettbewerb entschieden werden.

Nur eine Gelehrtengesellschaft könne auch in der Sicht des Auslandes jene Unabhängigkeit in Anspruch nehmen, um in Lebensfragen der Gesellschaft und der Wissenschaft fachkundigen Rat zu geben. Die Leopoldina solle sich nicht länger von den anderen Akademien hemmen lassen. Die Wissenschaft müsse die Frage der nationalen Akademie selbst lösen und nicht auf die Legitimierung durch die Politik warten.

Geisteswissenschaften fehlen

Der neue Präsident der Leopoldina, der Würzburger Mediziner Volker ter Meulen, verwies auf noch nicht veröffentlichte Überlegungen des Wissenschaftsrates, wie man das Dilemma der nationalen Akademie lösen könne. Wenn der Wissenschaftsrat zu der Empfehlung kommen sollte, der Leopoldina die Aufgabe einer nationalen Akademie anzuvertrauen, dann müsste sie ihren Aufgabenbereich über die Naturwissenschaften und die Medizin hinaus auf die Sozial- und Geisteswissenschaften sowie die Technikwissenschaften ausdehnen. Schon unter ter Meulens Vorgänger Benno Parthier hatte die Leopoldina gewisse Bereich der Sozial-, Geistes- und Technikwissenschaften in neuen Sektionen an sich gezogen. Diese müssten gezielt ausgeweitet werden.

Als Alternative biete es sich an, das britische Modell einer Arbeitsteilung in Deutschland einzuführen. Die Leopoldina würde dann wie die Royal Society für die Naturwissenschaften und die Medizin sprechen, die Union der sieben Akademien in Deutschland könnte den Bereich der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften vertreten, wie das in England die British Academy of Humanities tut. Diese Arbeitsteilung hätte den Vorteil, dass alle Akademien in Deutschland an der nationalen Repräsentation beteiligt wären. Außerdem könnten einer solchen Lösung jene Länder im Bundesrat zustimmen, in denen die sieben Regionalakademien ihren Sitz haben. Die Neugründung einer Akademie würde dagegen zu viel Zeit kosten, weil dann erst eine Gelehrtensozietät aufgebaut werden müsste und eine entsprechende internationale Reputation erst nach Jahren zu erwarten sei.

Alternative Nationaler Forschungsrat

Wenn im Wissenschaftsrat als Alternative überlegt werde, einen nationalen Forschungsrat ins Leben zu rufen, der aus Wissenschaftlern, Vertretern der Wissenschaftsorganisationen und des Öffentlichen Lebens gebildet wird, dann würden die ausländischen Akademien diesen Forschungsrat kaum akzeptieren, da er nicht an eine Gelehrtensozietät angebunden sei. Unzweifelhaft soll es in die Kompetenz einer nationalen Akademie fallen, sich mit gesellschaftlichen Zukunftsthemen zu beschäftigen. Außerdem geht es um die Vertretung der in Deutschland tätigen Wissenschaftler in internationalen Gremien, „in denen eine Mitwirkung nur auf nationaler Ebene möglich ist”. Bisher existierten für wichtige Themen in Deutschland nur ad hoc zusammengestellte Ausschüsse.

Viele von ihnen seien nach politischen, statt nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zusammengestellt. Die Ergebnisse, die in solchen Gremien zustande kämen, seien schon durch deren Zusammensetzung zu erahnen. Es fehle jene unabhängige Wissenschaftsrepräsentanz, wie sie durch die National Academy of Sciences in den USA oder die Royal Society in Großbritannien oder das Institute de France – wahrgenommen wird.

Uwe Schlicht

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