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Gesundheit: Geben Sie Handlungsfreiheit!

Was Berlins Hochschulmedizin braucht: Anmerkungen zum erwarteten Gutachten der Expertenkommission /Von Manfred Dietel

Unruhe und Sorge, hier und dort auch Angst, machen sich breit in den Uniklinika Berlins. Für wen wird das Gutachten der Expertenkommission das Aus bedeuten? Wer kann sich einen neuen Job suchen?

Im Dezember 2001 entschied die rot-rote Koalition das Uniklinikum Benjamin Franklin (UKBF) als Stätte der Wissenschaft zu schließen, um 98 Millionen Euro zu sparen. Das entspricht der Zinslast Berlins von gerade einmal zwanzig (!) Tagen, dafür sollte ein seit gut 30 Jahren mit erheblichen intellektuellen und finanziellen Ressourcen aufgebautes Uniklinikum geopfert werden.

Eine wahrhaft weise Entscheidung, insbesondere, da sich die Hochschulmedizin Berlins, das heißt Charité und UKBF zusammen mit dem Max-Delbrück-Centrum, den Max-Plank-Instituten, zahlreichen Biotech- Firmen und anderen in den zehn Post- Wende-Jahren gerade wieder nationale und internationale Reputation erworben hat und eine der wenigen prosperierenden Institutionen Berlins mit positiver ökonomischer Bilanz und über 2000 neuen Arbeitsplätzen – allein an der Charité – ist. Die Politik muss endlich verstehen: Ohne Analyse und Konzept ist Sparen per se noch kein Wert, da mit zehn gesparten Euro ein Schaden von zwanzig Euro für die Stadt gesetzt werden kann. So geschieht es zur Zeit in der Hochschulmedizin Berlins. Das ist wider die politische Vernunft.

Massive Proteste der Bevölkerung und der „Scientific Community" von Gesamtberlin führten zur vorläufigen Aussetzung des Beschlusses und zur Einsetzung einer Expertenkommission. Sie versprach, bis Juni 2002 ein Gutachten vorzulegen, das jetzt Mitte Oktober endlich kommt. Es soll die horrenden Einsparungen benennen – aber ohne die Uni-Medizin zu schädigen, so der Auftrag. Das ist so, als ob Schumacher das nächste Rennen auf drei Rädern gewinnen soll, damit Ferrari einen Hauch seines Budgets einspart.

Vor diesem Hintergrund müssen sich die Experten unabhängig von den jetzt erarbeiteten und sicher gut gemeinten Vorschlägen fragen lassen, ob eine „Politikberatung", bei der eine unvernünftige und unbegründete Vorgabe (minus 98 Millionen Euro) gemacht wird, überhaupt verantwortbar ist und ob die Beteiligung am radikalen Abbau der medizinischen Wissenschaft in Berlin nicht zumindest problematisch ist.

Das Gutachten – übrigens das vierte in zehn Jahren – wird nun vom Berliner Senat und im Januar vom Wissenschaftsrat bewertet, um dann vom Abgeordnetenhaus in ein Gesetz gegossen zu werden – vielleicht. Halleluja, es wird wohl Sommer 2003 bis wir wissen, was geschieht. Drei Punkte sind dabei wirklich fatal:

1. Die Verunsicherung und Demotivierung der Mitarbeiter, speziell der jüngeren. Immer wieder müssen Gespräche geführt werden, ob und wie es weiter gehen wird, oder ob man Berlin lieber verlassen sollte. Dies gilt nicht nur für Ärzte und Wissenschaftler, sondern auch für Schwestern und Pfleger – so ganz nebenbei werden zum Beispiel an der Charité im Jahr 90 000 Patienten stationär und 400 000 ambulant auf universitärem Niveau behandelt.

Die besten Forscher neigen schon heute dazu, sich an anderen Universitäten einen Job zu suchen. Dann wird die Forschungsförderung vom Bund und anderen Geldgebern für Berlin (zur Zeit fast 100 Millionen Euro für Charité und UKBF pro Jahr) sinken, und Arbeitsplätze werden verloren gehen. Die Berliner Spirale dreht sich weiter nach unten.

2. Der Verlust an Zeit, wissenschaftlicher Potenz und damit letztlich der Verlust der Zukunft. Mehr als ein Jahr werden nun schon wichtige Entscheidungen über Neubesetzungen, Investitionen, Strukturveränderungen etc. mit dem Hinweis auf das noch ausstehende Konzept der Experten verschoben. Das ist verheerend für dynamische, um die besten Köpfe und innovativsten Forschungsvorhaben kämpfende Uniklinika.

3. Vertrauensverlust der Wirtschaft und Investoren. Der Berliner Komplex aus Hochschulmedizin, Biotech und Medizintechnik hat (hatte?) enormes Entwicklungspotenzial. Aber wer investiert schon in Abwicklungsprojekte. Allein an der Charité stehen zwei jeweils 20 Millionen Euro schwere Projekte auf der Kippe. Die Gespräche mit potenziellen Sponsoren für Start-ups und mittlere Biotech-Firmen – in Berlin gibt es immerhin etwa 130 mit etwa 4500 Arbeitsplätzen – werden immer schwieriger.

Nicht selten hört man: „In Berlin dauert eh alles länger als anderswo und jetzt noch das! No thanks.“ Man hat den Eindruck hier arbeitet eine Investitionsverhinderungsagentur. Fazit: Vertrauensverlust, Verunsicherung, Verlust der Perspektive, abgängige gute Wissenschaftler, abgesprungene Investoren, unsichere Forschungsförderung und weit mehr: Ein Schaden, der schon jetzt höher ist als die gesparten zwanzig Tage Zinslast.

Was ist stattdessen zu tun? Vor dem Hintergrund der überwältigenden Sachargumente sollte umgehend von der Politik noch einmal geprüft werden, die Sparvorgabe zu revidieren, zum Wohle der Wissenschaft und Wirtschaft Berlins und nicht zuletzt auch zum Wohle der in Charité und UKBF liegenden, häufig schwer kranken Patienten.

Im Rahmen der Hochschulverträge sind die Uni-Klinika bereit, eine moderate entsprechend der Rationalisierungsreserven mögliche Reduktion des Staatszuschusses zu verhandeln, ohne dass ein Fundamentalschaden für die Klinika und ein Kollateralschaden für die Bioindustrie gesetzt werden. Zur Hebung dieses Sparpotenzials bedarf es mehr Autonomie der Klinika mit Umwandlung in eigenverantwortliche betriebswirtschaftlich geführte Unternehmen. Der Staat muss sich zurückziehen, damit das kreative Potenzial frei gelegt werden kann.

Ferner muss der Berliner Brain Drain gestoppt werden. Es bedarf des Stimmungsumschwungs. Dies ist nur möglich, wenn wir unseren Studenten und unserem wissenschaftlichen Nachwuchs Perspektiven aufzeigen können. Wir brauchen konstruktive Planungssicherheit und keine unbedachten Brutalo-Eingriffe in das sensible Entwicklungspotenzial der Hochschulmedizin. Das gilt übrigens auch für die Universitäten als ganze.

Politiker Berlins, wir sind bereit und in der Lage die Zukunft zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen, damit die Uniklinika Berlins auch weiterhin Leuchttürme in der Wissenschaft, Lehre und Behandlung unserer Patienten bleiben – dafür gebt uns Handlungsfreiheit.

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