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Gesundheit: Gefährliches Glöckchen

Eine US-Pharmafirma brach Studien mit Alzheimer-Medikament ab – es erhöht offenbar die Sterblichkeit

Lässt sich der Alzheimer-Demenz mit Medikamenten vorbeugen? Das war die Frage, die eine amerikanische Pharmafirma mit zwei großen Studien klären wollte. Doch dann mussten die Untersuchungen vorzeitig abgebrochen werden. Der Wirkstoff erwies sich nicht nur als nutzlos zur Demenz-Prävention; in der Gruppe der damit Behandelten kam es auch zu unerwartet vielen Todesfällen.

Veröffentlicht wurde das noch nicht – aber auf Fachkongressen spricht man davon. So erwähnte der Freiburger Hochschulpsychiater Matthias Berger dieses Ergebnis bei der von ihm moderierten Vortragsreihe über Demenz-Behandlung beim 29. Interdisziplinären Bundesärztekammer-Forum in Berlin.

Ziel der Studien war es, herauszufinden, ob der Cholinesterase-Hemmer Galantamin („Reminyl“) verhindern kann, dass aus leichten kognitiven Störungen eine Alzheimer-Demenz wird. Galantamin ist eine Substanz, die ursprünglich aus dem Schneeglöckchen (Galantus nivalis) stammt. Milde Gedächtnisstörungen betrachtet ein Teil der Wissenschaftler als normale Alterserscheinung, andere sehen darin ein Frühstadium der Alzheimerschen Krankheit. Aber ganz eins ist man sich auch darüber nicht.

Die Definitionen darüber, was genau eine kognitive Störung sei, sind so unterschiedlich, dass die Rate der davon Betroffenen, die binnen eines Jahres an Alzheimer erkranken, zwischen eins und 50 schwankt, heißt es in den „Empfehlungen zur Therapie der Demenz“, deren 3. Auflage die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gerade herausgab. Dort wird die leichte kognitive Störung „nicht als Indikation für Antidementiva“ betrachtet.

Eine der Herstellerfirmen (Janssen-Cilag) begann zwei Studien mit Galantamin, eine in Amerika, eine in verschiedenen Zentren außerhalb der USA, darunter dem Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Wie der dort forschende Gerontopsychiater Lutz Fröhlich dem Tagesspiegel mitteilte, waren an den Studien je tausend Probanden beteiligt. Ein Teil bekam jeweils Galantamin, der andere ein Placebo, also ein wirkstoffloses Scheinpräparat. Die Zuteilung war zufällig, weder Probanden noch Ärzte erfuhren, wer was bekam; die Methodik stimmte also.

Das Ergebnis: Das Mittel wirkte nicht präventiv, aus der leichten Störung wurde unter Galantamin nicht seltener als unter Placebo eine Demenz. Aber in der Galantamin-Gruppe starben (in beiden Studien zusammen) 13 Probanden, in der Placebo-Gruppe nur zwei – weshalb man die Studien abbrach.

Die erhöhte Sterblichkeit, so berichtet Fröhlich, wird nach dem bisherigen Stand der noch laufenden Ermittlungen vom Sechsfachen aufs knapp Dreifache verringert, wenn man jene Teilnehmer einbezieht, die vorzeitig ausschieden.

Im Unterschied zu den Probanden mit leichten Gedächtnisstörungen wurde bei Alzheimer-Patienten eine solche Übersterblichkeit unter Cholinesterase-Hemmern nicht beobachtet, hebt Fröhlich hervor. Deshalb will er auch nicht auf diese, wenn auch schwach und nur bei einer Minderheit wirksamen, Mittel verzichten. Mit welchen der Nebenwirkungen die Übersterblichkeit genau zusammenhängt, ist noch unklar. Denn es starben nicht alle 13 Probanden an derselben Krankheit.

Die Rote Liste der Arzneimittelhersteller nennt unter den Nebenwirkungen von Galantamin außer Durchfall (der, so Fröhlich, bei den meisten Behandelten chronisch ist) als „sehr häufig“ Erbrechen und Übelkeit, als „häufig“ unter anderem Schlaflosigkeit, Schläfrigkeit und Verwirrtheit (also Symptome für geistigen Verfall, die das Mittel eigentlich reduzieren soll), Luft- und Harnwegsinfekte sowie schmerzhafte Verdauungsstörungen. Als „seltene“ oder „sehr seltene“ Nebenwirkungen nennt die Rote Liste zum Beispiel Halluzinationen und Aggressivität, außerdem Magenblutungen und Störungen der Herzfunktion.

Solche unerwünschten Wirkungen werden auch für die Cholinesterase-Hemmer Donepezil („Aricept“) und Rivastigmin („Exelon“) aufgelistet. Das Ergebnis der Galantamin-Studie ist also ebenso wenig ein überraschender Skandal wie es die Vioxx-Todesfälle waren.

In beiden Fällen musste man damit rechnen, weil die Risiken dieser Arzneimittel bekannt waren. Und wie bei Vioxx könnte auch bei Galantamin eine ganze Substanzgruppe betroffen sein. Auf dem Alzheimer-Kongress 2004 in Philadelphia wurde bekannt, dass es auch bei klinischen Prüfungen anderer Antidementiva zu Übersterblichkeit kam, berichtete der Freiburger Universitäts-Psychiater Michael Hüll dem Tagesspiegel.

Es ist zu hoffen, dass diese Studien veröffentlicht werden. Bisher dürfen die Arzneimittelbehörden sie als „geistiges Eigentum“ der Auftraggeber nicht weitergeben. Unter öffentlichem Druck haben Pharmaindustrieverbände jetzt aber beschlossen, für klinische Prüfungen und Studienergebnisse Datenbanken anzulegen und zugänglich zu machen.

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