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Gesundheit: Gelehrtenstreit: Im Dienste der Wahrheit - Historikerrunde diskutiert über die Interpretationshoheit der Deutschen Geschichte

Sieger haben noch nie selbst Geschichte geschrieben. Dafür gibt es Historiker.

Sieger haben noch nie selbst Geschichte geschrieben. Dafür gibt es Historiker. Was sie vergessen, vergisst die Menschheit, was sie manipulieren, wird plötzlich Realität und was sie bestreiten, hat nie stattgefunden. Der einzige Schutz der Wahrheit ist der Gelehrtenstreit. Dieser Streit gewinnt dadurch an Schärfe, weil er die intellektuellen Waffen schmiedet im Kampf von Ideologien und Machtblöcken. Und da kommen die Politiker ins Spiel und machen Politik mit der Geschichte - oder eben Geschichtspolitik. Und um diese ging es bei einer hochkarätig besetzten Historikerrunde in der bayerischen Landesvertretung. Anlass des öffentlichen Disputs am vergangenen Donnerstag abend war die Tagung "Ein Jahrzehnt wiedervereinigtes Deutschland".

"Ein heißes Eisen", so nannte Michael Wolfssohn von der Bundewehruniversität München die Israelpolitik und den Antisemitismus der DDR. Noch heute hätten die meisten seiner Kollegen Angst, sich daran die Finger zu verbrennen. Dabei gäbe es jetzt die Chance der Aufarbeitung. Archive in den Ostblock-Staaten, die lange Zeit unzugänglich für westliche Historiker waren, bieten die Quellen. Aber: "Historiker legen die Akten, die sie gesehen haben, schamlos beiseite." Nur er habe es gewagt, in seinem Buch "Deutschlandakte" zum Beispiel die antisemitischen Aktionen zu beschreiben, die die DDR-Regierung 1959/60 in der Bundesrepublik inszenierte, um den anderen deutschen Staat zu diskreditieren.

"Unheilvolle Koalition"

Weiße Flecken in der Geschichtsschreibung beklagte auch Ehrhart Neubert von der Gauck-Behörde. "Die Geschichte des Widerstandes in der DDR wurden von West und Ost gemieden." Neubert sieht da eine "unheilvolle Koalition" am Werke, die mit unterschiedlichen Motiven das gleiche tat. Im Westen wollte man die Entspannung nicht belasten, im Osten die Existenz einer Opposition verschweigen.

Und auch nach der Wende könnten sich westdeutsche Historiker nicht recht mit der DDR-Opposition anfreunden. Immer wieder werde die Frage diskutiert, ob die DDR-Oppositionellen überhaupt Demokraten waren. "Natürlich hatten sie ihre Grundlage nicht in der bundesdeutschen Verfassung", sagte Neubert. "Es ging um das Abtrotzen kleiner Freiheiten vom Staat."

Dagegen gab es auf offizeller Ebene zahlreiche Kontakte zur Staatspartei SED, die 1987 sogar in einem gemeinsamen Grundwertepapier von SPD und SED gipfelten. Das hat den Sozialdemokraten gerade in der Bundesrepublik aber auch von den Oppositionsgruppen in der DDR viel Kritik eingetragen. Johano Strasser, als Mitglied der Grundwertekommission der SPD damals an den Verhandlungen beteiligt, musste dafür auch 13 Jahre danach auf dem Podium in der bayerischen Landesvertretung verbale Prügel einstecken. "Die SPD hat auf verhängnisvolle Art die SED mit der DDR-Gesellschaft verwechselt", meinte Ehrhart Neubert.

Auch wenn Strasser der Kritik teilweise zustimmte - "Die SPD war vom Erfolg ihrer eigenen Ostpolitik überrascht. Sie begriff nicht, dass sie zweigleisig fahren musste und neben den offiziellen Kontakten auch mit der Opposition sprechen musste." -, konstatierte er eine "merkwürdige Umdeutung des Dokumentes". Das im Papier fixierte Recht des freien Zugangs zu Informationen oder das Zugeständnis, sich gegenseitig öffentlich kritisieren zu dürfen, habe zunächst bei den Oppositionellen viel Lob ausgelöst. "Nach der Wende hieß es dann, die SPD habe mit der SED gekungelt - wohl aus Opportunismus zur neuen Machtlage."

Geschichte ist eben immer auch Streit. Das hat Horst Möller vom Institut für Zeitgeschichte in den letzten Tagen heftig zu spüren bekommen. Dabei habe er doch nur das Lebenswerk eines bedeutenden Kollegen würdigen wollen, meinte Möller. Der bedeutende Kollege, das war Ernst Nolte, der mit seinem Vergleich von Nationalsozialismus und Stalinismus Mitte der 80er Jahre den Historikerstreit ausgelöst hatte. Mittlerweile gilt Nolte bei den meisten Historikern als nicht satisfaktionsfähig - und damit eine Laudatio auf sein Werk, wie sie Möller bei der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises der Deutschland-Stiftung an Nolte hielt, als eine Grenzüberschreitung. In den Medien köchelt derzeit eine hitzige Debatte um Möller. "Ernst Nolte mag die Juden nicht und fand gute Worte für Hitler. Das verdient scharfe Kritik und keine Laudatio", rief der US-Historiker Jeffrey Herf auf dem Podium in der Bayerischen Landesvertretung.

"Auch Linke fanden Nolte gut"

Möller hatte sich eigentlich nicht zur Laudatio äußern wollen, doch dieser Einwurf ließ ihm keine Wahl. Viele Werke Noltes seien auch von Linken gelobt worden. "Und dann gibt es bei Nolte Passagen und Äußerungen, die auch ich nicht gut finde", so Möller. Er habe eine Güterabwägung vornehmen müssen und berief sich auf "persönliche Loyalität" gegenüber Nolte aus seiner Zeit an der Freien Universität. Als wissenschaftlicher Assistent focht er gemeinsam mit Nolte so manchen Kampf gegen linke Kommilitonen am Friedrich-Meinecke-Institut aus. "Nolte stellte sich damals schützend vor besonders gefährdete Kollegen - und es ging damals hart zur Sache." So wie heute, hätte Möller wohl gern hinzugefügt. Besonders die Rücktrittsforderungen trafen ihn tief. "Wie kann es sein, dass Kollegen so etwas fordern, nur weil man auf dem gemeinsamen Fachgebiet unterschiedliche Meinungen hat - dann müsste ich ständig Rücktritte verlangen." Das sei ein schlechtes Zeichen für die Streitkultur in diesem Land.

Doch neben dem persönlichen Erleben hatte Möller auch etwas zum Thema "Geschichtspolitik" beizutragen. Er beklagte den fehlenden "einheitsstiftenden Gründungsmythos" des wiedervereinigten Deutschlands 1989/90. Die "Entzauberung des Kommunismus war nicht nur ein Zusammenbruch von Staaten, sondern brachte auch eine tiefe Orientierungskrise der europäischen Linken." Orientierungslosigkeit in Ost und West - darauf konnte kein Gründungsmythos entstehen.

Kann da der Rückgriff in die Geschichte helfen? Heinrich Oberreuter, Direktor der Akademie für politische Bildung in Tutzing, sprach in seinem Vortrag über die Gründungsmythen der Bundesrepublik und der DDR. Die konnten unterschiedlicher nicht sein - obwohl sie zumindest Anfangs die gleichen Werte beschworen: die deutsche Einheit. Ost und West reklamierten für sich die Ideale von 1848. "Walter Ulbricht sagte, die DDR sei die Vollendung der 48er Revolution," so Oberreuther. Und auch Theodor Heuß reklamierte für die Bundesrepublik dieses Ideal. "Doch in der DDR war dieses Bekenntnis taktisch gemeint, in der Bundesrepublik nicht." Je kälter der Krieg zwischen den Blöcken wurde, desto mehr verschwand in der DDR die Beschwörung der Einheit. Bis dann schließlich selbst der Text der DDR-Nationalhymne nicht mehr gesungen werden durfte. Der Vers "einig deutsches Vaterland" war nicht mehr opportun. "Doch die Etablierung einer sozialistischen Nation glückte nicht."

Den Gründungsmythos der Bundesrepublik sieht Oberreuther im Grundgesetz. Der Staat präsentierte sich "stockpragmatisch". "Die Verfassung formuliert die Spielregeln eines Systems. Für die Ästhetik des Spiels müssen allerdings die Spieler sorgen."

Natürlich zogen beide deutschen Staaten eine Lehre aus der Geschichte. Die BRD sei geprägt worden von Postnationalismus und einer Flucht in die europäische Integration. "Das hatte etwas Entlastendes für die Bundesrepublik nach dem Dritten Reich", so Oberreuther. Die DDR dagegen floh in den staatlichen Antifaschismus: "Sie sprang aus der Kollektivverantwortung für das Dritte Reich heraus, indem es das Monopolkapital als angebliche Ursache des Nationalsozialismus abschaffte." Der Antifaschismus war zum Gründungsmythos der DDR schlechthin geworden - und gleichzeitig zur integrierenden Zivilreligion. Man bekannte sich zum sozialistischen Weg, nicht die liberale Freiheit sei entscheidend, sondern die Freiheit von Ausbeutung. Dabei wähnte man sich durchaus auf der Siegerstraße. Oberreuter zitierte eine aus heutiger Sicht absurde Prophezeiung aus den Anfangsjahren der DDR. "Wir werden eine blühende Wirtschaft aufbauen. Ihr im Westen werdet den Karren an die Wand fahren und dann als Bittsteller zu uns kommen. Und wir werden euch nehmen, obwohl ihr eine arme Braut seid - weil wir euch lieben." So kann es kommen, dass Mythen wahr werden - freilich unter umgekehrten Vorzeichen.

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