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Erbgut

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Genetik: Erbgut-Analyse per Mausklick

Online-Gentests liefern viele Informationen über die eigene DNS. Was ist damit anzufangen? Zur Prognose einer Erbkrankheit reicht so ein Test jedenfalls nicht.

„Erkenne dich selbst“, forderte das Orakel von Delphi von seinen ehrfürchtigen Besuchern. Sokrates, der sich diese Forderung zum Wahlspruch erkor, glaubte bekanntlich an den Dialog als Mittel der Selbsterkenntnis. Dass auch eine Speichelprobe – in ein Glasröhrchen gefüllt und per Post in ein Labor in den USA gesandt – in dieser Hinsicht weiterführen könnte, hätte den antiken Philosophen wohl zum Staunen gebracht.

Das Angebot findet sich auf der Website der kalifornischen Firma „23andMe“, die vom Internetkonzern Google unterstützt wird. „Nachdem Sie mithilfe unseres Service-Sets zu Hause eine Speichelprobe abgefüllt und an uns abgeschickt haben, können Sie interaktive Werkzeuge nutzen, um ein neues Licht auf Ihre weit entfernten Vorfahren, Ihre nahe Verwandtschaft und vor allem auf sich selbst zu werfen“, heißt es dort.

Erkenne dich, indem du deine 23 Chromosomenpaare kennenlernst? Meist wird heute erst nach genetischen Merkmalen gesucht, wenn jemand bereits an einer Erbkrankheit leidet oder der Verdacht auf eine Veranlagung dazu besteht. Das könnte sich ändern. Statt ein Orakel zu befragen oder eine Handleserin zu bemühen, dürften viele Menschen, die etwas über ihre Zukunft wissen wollen, Internetanbieter wie „23andMe“ oder eine der Konkurrenzfirmen wie „deCodeGenetics“ oder „Navigenics“ nutzen.

Aber es ist nicht etwa das gesamte Genom, was für rund 1000 Dollar aus den Proben abgelesen wird. Das Erbgut jedes Menschen ist in Form eines Strangs aus Desoxyribonukleinsäure (DNS) in jeder Zelle gespeichert. Die Anordnung der Basenpaare auf diesem Strang ist der Code für die Erbinformation. Die Anbieter von Gentests im Internet analysieren lediglich einige Variationen dieser Anordnung – die Single Nucleotide Polymorphisms, kurz SNPs. Zehn Millionen dieser Variationen gibt es ungefähr, rund 550 000 werden bei den Tests analysiert.

Die Firmen versprechen nicht nur Informationen über die Veranlagung für Krankheiten wie Diabetes, Brustkrebs oder die chronisch-entzündliche Darmkrankheit Morbus Crohn. Sie bieten ebenfalls an, über das individuelle Risiko für Haarausfall oder Übergewicht zu unterrichten und prüfen die Veranlagung zu bestimmten Fähigkeiten wie die zum Bitter-Schmecken. Was man konkret wissen will, kann man zwei bis vier Wochen nach Absendung des Test-Kits Punkt für Punkt auf dem heimischen Bildschirm abrufen. Geschützt sind die Daten mittels Passwort.

„Für die Nutzer kann die Anonymität des Netzes und die Informationsbeschaffung im stillen Kämmerchen verlockend sein“, meint Hendrik Berth vom Fachbereich Medizinische Psychologie am Uniklinikum Dresden. Er untersucht seit Jahren die Akzeptanz von Gentests. Dennoch überwiegen bei dem Psychologen die Bedenken: „Ich weiß aus zahlreichen Beratungsgesprächen, die ich zusammen mit Humangenetikern geführt habe, wie schwierig es für Laien ist, die Informationen einzuordnen.“ Das gelte schon, wenn Tests über das konkrete Risiko für Erkrankungen Auskunft gäben, die in der Familie bereits aufgetreten sind. Umso problematischer werde es, wenn man per Mausklick mit einer Fülle von neuen Daten zur eigenen Person konfrontiert werde.

„Es ist ein Fehler, sich die Prognosen über Krankheitsrisiken, die der Computer ausspuckt, allzu sehr zu Herzen zu nehmen“, sagt Berth. Unter Wissenschaftlern wird derzeit intensiv darüber diskutiert, was und wie viel die SPNs überhaupt über einen Menschen verraten (siehe Infokasten). Die Debatte findet ehrlicherweise auch auf der informativen Homepage von 23andMe ihren Niederschlag. „Ich glaube nicht, dass SNPs zum jetzigen Zeitpunkt schon für den klinischen Gebrauch reif sind“, sagt dort die bekannte amerikanische Brustkrebsspezialistin Susan Love.

Je mehr Faktoren an der Entstehung einer Krankheit beteiligt sind, desto ungenauer sind die Vorhersagen, die mittels SNP-Analyse gemacht werden können. „Ich vergleiche diese gern mit einem Wetterbericht“, sagt Stefan Mundlos, Direktor des Instituts für Medizinische Genetik der Berliner Charité. Die allgemeinen Tests seien deshalb nicht zu vergleichen mit einer pränatalen Chromosomen- oder Genanalyse, bei der gezielt nach Veränderungen gesucht wird, die etwa zu Down-Syndrom oder Mukoviszidose führen. Gerade die großen Volkskrankheiten sind allerdings nicht nur in zahlreichen Genen begründet, sondern auch im Lebensstil. Inwiefern bestimmte SNPs das Risiko für einzelne Krankheiten erhöhen, könne man noch nicht sagen, warnt Mundlos. Derzeit ergäben sich aus den Analysen auch kaum Handlungsempfehlungen. Sollte es in absehbarer Zeit gelingen, das gesamte Genom eines Menschen für 1000 Dollar zu untersuchen, sähe das schon anders aus, sagt Charité-Forscher. „Mit zunehmender Dichte der Informationen werden sich daraus auch Empfehlungen ableiten lassen.“

Doch für medizinische Ratschläge stehen die Firmen, die derzeit ihre Dienste über das Internet anbieten, ohnehin nicht zur Verfügung. „Der Kunde, der hier allein gelassen wird, geht in Zukunft wahrscheinlich zum Genetiker – den dann die Versicherung bezahlen muss“, prognostiziert Mundlos.

Nicht alle Informationen aus der Genanalyse haben dieses Gewicht. Mithilfe der Internetangebote ein wenig Ahnenforschung zu betreiben und zu erfahren, dass die schräg gestellten Augen wirklich von Vorfahren aus Asien stammen könnten, ist in den meisten Fällen wohl ein harmloses Vergnügen. In den USA, einem klassischen Einwanderungsland, ist es besonders reizvoll, auf diese neue Art seine Wurzeln kennenzulernen. Vielleicht gehören zu den Ahnen eines wissbegierigen Gen-Googlers von heute ja auch Philosophen wie Sokrates.

Adelheid Müller-Lissner

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