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Gesundheit: Genforschung: Der feine Unterschied

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann wurde er durch das Humane Genom-Projekt geliefert. Die Tatsache, dass der Mensch nur etwa doppelt so viel Gene wie die Taufliege hat, war aufs Neue ein Beleg dafür, dass nicht die Gene allein uns zu dem machen, was wir sind.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann wurde er durch das Humane Genom-Projekt geliefert. Die Tatsache, dass der Mensch nur etwa doppelt so viel Gene wie die Taufliege hat, war aufs Neue ein Beleg dafür, dass nicht die Gene allein uns zu dem machen, was wir sind. Es wird immer deutlicher, dass nicht nur die nackte Zahl der Erbmerkmale ausschlaggebend ist. Entscheidend ist auch, wie die Gene von der biochemischen Maschinerie der Zelle kontrolliert werden. Schließlich haben auch Raupe und Schmetterling das gleiche Erbgut - trotz ganz unterschiedlicher Gestalt.

Zum Thema Online Spezial: Die Debatte um die Gentechnik Jenseits der reinen Lehre des Genoms führen viele Wege ins Leben. Zunächst einmal kann der Erbfaden selbst verschieden zusammengeknäuelt werden - ein wichtiger Vorgang, denn alle DNS-Fäden einer Körperzelle zusammen sind immerhin knapp ein Meter lang und müssen deshalb gut geschnürt und verpackt werden, damit sie im winzigen Zellkern Platz finden. Auch das Ablesen der genetischen Information, Transkription genannt, kann ebenso beeinflusst werden wie das Übersetzen der Umschrift in Proteine, die Translation. Und schließlich lassen sich die Proteine selbst noch verändern.

Ein dritter Weg des Lebens

Einen dritten Weg des Lebens zwischen Erbe und Umwelt untersucht die Epigenetik. Sie beschäftigt sich mit der Tatsache, dass manche Eigenschaften des Organismus zwar vererbt werden, aber nicht auf herkömmlichem Wege. Die Erbinformation selbst wird dabei nicht verändert. Während die biochemisch gespeicherte Schrift des Erbguts mehr oder weniger unwiderruflich festliegt, ist der Text der Epigenetik wie mit dem Bleistift geschrieben, gewissermaßen eine leicht zu löschende Randnotiz am Genom.

Epigenetische Einflüsse steuern lediglich, welche Gene aktiv sind und welche "stumm" bleiben. Sie sind deshalb ein Beispiel für Vererbung, die nicht nach den Regeln Gregor Mendels, des Begründers der Genetik, erfolgt. Denn nach den Regeln der klassischen Genetik prägt sich ein Merkmal unabhängig davon aus, von welchem Geschlecht sein Träger es ererbt hat. In der Epigenetik finden sich dagegen Hinweise dafür, dass die weibliche oder männliche Herkunft eines Gens darüber entscheiden kann, ob es abgelesen ("transkribiert") wird oder nicht.

Eine vererbbare Möglichkeit, die Aktivität von Genen zu beeinflussen, ist die DNS-Methylierung. Bei diesem Vorgang werden bestimmte "Sprossen" der DNS-Strickleiter biochemisch markiert. Das geschieht, indem an das Cytosin, einen der vier DNS-Basen-"Buchstaben", eine Methylgruppe angehängt wird. Methylgruppen bestehen aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen. Die methylierten Abschnitte sind nicht gleichmäßig verteilt, sondern kommen in "Haufen" im Erbgut vor. Als Faustregel gilt, dass methylierte Abschnitte der Erbsubstanz "stillgelegt" sind, also nicht abgelesen und in Proteine umgesetzt werden.

Zum ersten Mal stieß man bei Bakterien auf die Effekte der Methylierung. Es stellte sich heraus, dass diese Mikroben fremde Erbsubstanz anhand der Tatsache erkennen können, dass sie nicht methyliert ist. Dieses Unterscheiden von selbst und fremd ist eigentlich typisch für die Fähigkeiten höher entwickelter Organismen, die über ein eigenes Immunsystem verfügen. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die genetische Prägung durch Methylierung für die Körperabwehr wichtig ist.

Von Bedeutung ist genetische Prägung - der Fachausdruck lautet Imprinting - auch beim Entstehen des Embryos. Warum es bei einer Reihe von Genen so wichtig ist, ob sie von der weiblichen Eizelle oder vom männlichen Spermium abstammen, ist noch nicht geklärt. Manche Forscher sprechen gar von einem Geschlechterkampf auf molekulargenetischer Ebene.

Nachdem sich das befruchtete Ei in der Gebärmutter eingenistet hat, durchläuft die embyronalen Zellen eine Welle der Ent-Methylierung. Aber gleich darauf folgt verwirrenderweise erneut eine Phase der Methylierung. Die Markierungsfähnchen im Erbgut werden wieder aufgesteckt - je nachdem, ob das Chromosom vom Vater oder von der Mutter stammt. Das zweite X-Chromosom (Geschlechtschromosom), das in jeder weiblichen Zelle vorhanden ist, wird ebenfalls durch Methylierung lahm gelegt.

Fehlbildung durch Fehlsteuerung

Auch Krankheitsprozesse fallen ganz unterschiedlich aus, je nachdem, ob das "männliche" oder das "weibliche" Chromosom betroffen ist. Ist etwa die väterliche Kopie einer bestimmten Genregion auf dem Chromosom 15 weitgehend blockiert, kann ein angeborenes Nervenleiden namens Prader-Willi-Syndrom die Folge sein. Die Betroffenen sind geistig behindert, kleinwüchsig, kleingesichtig und haben noch weitere körperliche Symptome.

Ganz anders äußert sich die Blockade der gleichen Gen-Region, wenn die von der Mutter stammende Kopie betroffen ist. Kinder mit dem daraus resultierenden Angelman-Syndrom leiden unter fehlender Sprachentwicklung, Schädel- und Gesichtsfehlbildungen und einer Reihe weiterer Störungen. Beide Krankheiten können das Ergebnis einer missglückten Methylierungs-Welle nach der Befruchtung sein, wie nun deutsche Genetiker herausfanden.

Auch die Tatsache, dass geklonte Tiere größer sind als herkömmlich gezeugte und zudem oft fehlgebildet sind, könnte seine Ursache in fehlerhafter Methylierung haben. Schließlich wird beim Klonen massiv in natürliche Fortpflanzungsprozess eingegriffen. Subtile Korrekturen am Erbgut, wie sie epigenetische Prozesse nun einmal darstellen, könnten so gestört werden.

Nicht nur seltene angeborene Störungen, sondern auch häufige Krankheiten wie Krebs werden von Forschern mit genetischer Kontrolle in Verbindung gebracht. Tumorzellen unterscheiden sich in ihrem Methylierungsmuster von dem normaler Zellen. Ihr Erbgut ist viel stärker mit Methylgruppen markiert.

Das ist ein Indiz dafür, dass sie auf diese Weise jene Gene ausschalten, die die ungebremste Vermehrung der Krebszellen hemmen würden. Weil diese Gene nicht etwa verändert oder zerstört sind, sondern letztlich intakt, sieht der Krebsforscher Peter Jones von der Universität von Südkalifornien in Los Angeles eine Chance. "Wir brauchen therapeutische Strategien, mit denen wir die abgeschalteten Gene wieder ins Spiel bringen", sagte er dem englischen Fachblatt "Lancet".

Maria Soengas vom Cold-Spring-Harbor-Labor im amerikanischen Bundesstaat New York konnte kürzlich nachweisen, dass Zellen des schwarzen Hautkrebs (Melanom) mit Methylierung ein "Selbstmord"-Gen abschalten können. Ist dieses Erbmerkmal "ausgestellt", kann die Krebszelle auch die Giftdusche der Chemotherapie überleben. Jedoch gibt es bestimmte Substanzen, die das Erbut wieder von den Methyl-Markierungen befreien können - eine mögliche neue Behandlungsstrategie. Trotzdem werden die "Bleistiftnotizen" am Rande des Genoms noch eine ganz Zeit manches Geheimnis bewahren.

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