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Gesundheit: Genomprojekt: Tokio, Peking, Paris, London, Berlin, Washington - Experten schließen sich für ein Projekt zusammen

Die meisten Wissenschaftler jubeln, auch wenn die breite Öffentlichkeit noch skeptisch ist. Doch die Veröffentlichung der ersten so genannten Karte des menschlichen Genoms ist sicherlich ein großer Schritt für die Forschung.

Die meisten Wissenschaftler jubeln, auch wenn die breite Öffentlichkeit noch skeptisch ist. Doch die Veröffentlichung der ersten so genannten Karte des menschlichen Genoms ist sicherlich ein großer Schritt für die Forschung. Das, was das internationale Humangenomprojekt am Montag als "Arbeitsversion" des gesamten menschlichen Genoms vorgelegt hat und was auf weltweiten Pressekonferenzen in Tokio, Paris, Peking, Berlin, London und Washington bekannt gegeben wurde, ist die Anordnung der DNS-Fragmente in der richtigen Reihenfolge und die Bestimmung der Buchstabenfolge von 85 Prozent der über drei Milliarden Buchstaben des menschlichen Erbguts. 20 Prozent der Daten liegen schon in ihrer endgültigen, 50 Prozent in einer nahezu fertiggestellten Fassung vor. Das selbstgesteckte Endziel einer Genauigkeit von 99,9 Prozent ist damit zwar noch nicht erreicht. Doch 60 Prozent aller Daten wurden allein in den letzten sechs Monaten gewonnen.

Der Grund für diese explosionsartige Vermehrung des Wissens liegt, wie André Rosenthal, Leiter des Instituts für Molekulare Biotechnologie in Jena, betonte, im Wettlauf des internationalen Sequenzierkonsortiums mit privaten Gentech-Firmen, vor allem der Celera Genomics des Amerikaners Craig Venter. Der Konkurrenzkampf wurde vor allem in den letzten Monaten erbittert geführt. Das öffentliche Humangenomprojekt, das im Gegensatz zu den privatwirtschaftlich arbeitenden Genforschern seine Daten täglich vollständig ins Internet stellt, besteht aus 16 Forschungseinrichtungen aus den USA, Großbritannien, Japan, Frankreich, China und Deutschland. "Ich bin fest der Meinung, dass wir noch in diesem oder im nächsten Jahr die 99prozentige Version haben werden", so Rosenthal.

Die weltweite, präzise getimte Verbreitung der Nachricht von der Vollendung des "Working Draft" soll nicht zuletzt den Konkurrenten Venter zur Zusammenarbeit motivieren, der zeitgleich eine Vorstellung seiner Version in Washington ankündigte. "Ich denke, dass es zu einer Fusion der Daten kommt, wenn nicht heute, dann in den nächsten Wochen", sagte Rosenthal. Das Businesskonzept von Celera sei durch die publizierten öffentlichen Daten unter Druck geraten, da die Pharmaindustrie nur für Exklusivdaten große Summen zahlen werde.

Als "unglaubliche Chance, den Menschen und seine Krankheiten auf einer ganz neuen Basis zu verstehen" bezeichnete Hans Lehrach vom Berliner Max-Planck-Institut für Molekulargenetik das Genomprojekt. In einer gigantischen Gemeinschaftarbeit wird hier seit 1990 der Bauplan des menschlichen Lebens kartiert und entziffert. Neben Jena und der Braunschweiger Gesellschaft für Biotechnologische Forschung bildet das Dahlemer Institut die dritte beteiligte deutsche Einrichtung.

Aus der Buchstabenschlange der DNS sollen die Gene herausgefiltert werden, die wohl nur drei bis fünf Prozent des Gesamtmaterials ausmachen. Rosenthal und Lehrach gehen davon aus, dass zehn bis 20 Prozent aller rund 40 000 menschlichen Gene bei der Entstehung komplexer Krankheiten beteiligt sind. Zu ihnen zählt Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alzheimer, Diabetes und Fettsucht. Diese Gene könnten zu Zielscheiben neuer Medikamente werden und damit die Medizin revolutionieren. Der nächste Meilenstein ist für Rosenthal die Erforschung derjenigen genetischen Bausteine, die individuell verschieden sind. Daraus sollen individualisierte Behandlungskonzepte entspringen. Ein Ziel ist die personenspezifische Chemotherapie bei Krebs.

Zu den Befürchtungen befragt, die sich mit der Kenntnis solcher persönlicher Gen-Daten verbinden, betonte Lehrach: "Es darf nicht passieren, dass solche Gendaten von Versicherungen und Arbeitgebern verlangt werden." Die Demokratie der Zukunft werde sich daran messen, dass diese neue Art des Personenschutzes garantiert werde. "Nicht der gläserne Mensch, sondern die gläserne Krebszelle" sei das Forschungsziel.

Adelheid Müller-Lissner

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