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Gesundheit: „Gentherapie sollte unbedingt weiter erforscht werden“ Klaus Cichutek vom Paul-Ehrlich-Institut zur Frage, wie Deutschland auf die Rückschläge der neuen Behandlungsmethode reagiert

Nach zwölf Jahren klinischer Forschung hat im April 2000 ein französisches Team zum ersten Mal melden können, Patienten durch Gentherapie geheilt zu haben. Es handelt sich um Kinder mit schwerer Immunschwäche (X1SCID), die mit herkömmlichen Therapien keine Chance haben.

Nach zwölf Jahren klinischer Forschung hat im April 2000 ein französisches Team zum ersten Mal melden können, Patienten durch Gentherapie geheilt zu haben. Es handelt sich um Kinder mit schwerer Immunschwäche (X1SCID), die mit herkömmlichen Therapien keine Chance haben. Die Kinder sind hoch gefährdet, Infektionen zu bekommen und daran zu sterben. Neun von elf der in Paris behandelten Kinder können nach der Therapie ein normales Leben führen. Doch jetzt hat eines von ihnen einen therapiebedingten Blutkrebs entwickelt. Das ist nach dem Tod eines amerikanischen Patienten vor drei Jahren der zweite schwere Rückschlag für die Gentherapie.

Welche Perspektiven sehen Sie – trotz des letzten Rückschlags – für das neue Verfahren?

Die Gentherapie hat ein großes Potenzial, und deshalb sollte die Forschung auf diesem Gebiet unbedingt weitergehen. Gerade in den letzten Jahren haben sich bei bestimmten Ansätzen erste Erfolge gezeigt. Mit den ersten Hinweisen auf Wirksamkeit treten – zum Teil auch schwere – unerwünschte Wirkungen auf. Das ist ein normaler Vorgang. Trotzdem müssen wir natürlich Risiken, die früher als theoretisch galten und sich jetzt als real erweisen, sehr ernst nehmen und bei der Entscheidung über Studienprotokolle berücksichtigen. Unser Ziel ist der Schutz der Patienten und die Beratung der Studienleiter.

Wie steht Deutschland bei der Gentherapie-Forschung international da?

Deutschland hat international einen guten Stand auf diesem Gebiet der Arzneimittelentwicklung. Zusammen mit England haben wir die meisten Anmeldungen für klinische Prüfungen in Europa. Und von den weltweit etwa 4000 Patienten, die seit 1994 mit Gentherapie behandelt worden sind, sind etwa 260 aus deutschen Studien.

Sind bei der Sitzung der Kommission Somatische Gentherapie vor wenigen Tagen neue Entscheidungen gefällt worden?

Es gibt deutliche Hinweise, wenn auch noch keinen endgültigen, wissenschaftlichen Beweis, dass sich bei einem Kind mit X1-SCID, welches in einer klinischen Studie in Paris gentherapeutisch behandelt worden ist, Blutkrebs als Folge der Therapie entwickelt hat. Das therapeutische Gen ist mit einem Vektor übertragen worden, der auf Retroviren basiert. Die Kommission hat entschieden, dass aufgrund dieses Falls eine ethische Neubewertung von Studien mit retroviralem Gentransfer erfolgen sollte. Unsere Empfehlung ist, dass solche Studien nur dann durchgeführt werden, wenn das Risiko der Leukämieentstehung im Vergleich zu dem erwarteten Nutzen vertretbar ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die zu behandelnde Krankheit lebensbedrohlich ist und keine Alternativen zur Verfügung stehen, wenn die Aufklärung des Patienten eine Information über den Leukämiefall einschließt und wenn eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgt in dem Sinne, dass die zu erwartende Lebensqualität nach Therapie das vermutlich geringe Risiko für eine Leukämie deutlich überwiegt.

Die Kommission hat schon vor einigen Wochen beschlossen, klinische Gentherapiestudien mit Retroviren erst einmal auszusetzen. Wie viele Studien sind betroffen?

Von den 52 seit 1994 angemeldeten Studien sind 16 von der Entscheidung betroffen. Drei Studien werden nach Protokolländerungen und entsprechenden Empfehlungen des Paul-Ehrlich-Instituts vermutlich demnächst weiterlaufen, zwei weitere Studien, für welche Neuanträge zur Weiterführung vorgelegt wurden, durchlaufen das Normalverfahren.

Hat die Kommission aus dem Fall in Paris Konsequenzen gezogen für die Überwachung von Patienten?

Man könnte versuchen, mit neuen Methoden zu ermitteln, ob gefährliche Zellen bei der Virus-Gentherapie entstehen. Aber erstens gibt es dafür noch keine abgesicherten Tests, und zweitens hätte das Wissen bei dem jetzigen Stand der Erkenntnisse keine Konsequenzen für den Patienten. Ob sich eine Leukämie entwickelt oder nicht, können wir auch mit konventionellen Methoden feststellen. Die Langzeitüberwachung der Patienten wird ohnehin empfohlen. Aus wissenschaftlicher Sicht spricht jedoch manches für die Anwendung solcher neuer Testverfahren.

Nicht-virale Formen des Gentransfers, etwa physikalische, sollen sicherer sein als virale. Sollte man sich nicht stärker auf Alternativen zum viralen Gentranfer konzentrieren?

Virale Vektoren sind die effektivste Methode, Gene zu übertragen. Es gibt keine Alternative. Aber selbstverständlich werden in Deutschland auch nicht-virale Formen des Gentransfers erprobt. Seit 1994 wurden zur Forschung daran 18 von insgesamt 52 klinischen Studien angemeldet.

Die amerikanische Fachgesellschaft für Gentherapie hat beschlossen, dass Wissenschaftler, die klinische Studien zur Gentherapie machen, nicht finanziell an einem Unternehmen beteiligt sein dürfen, welches auf diesem Gebiet tätig ist. Die Entscheidung wird mit möglichen Interessenkonflikten begründet. Wie ist das in Deutschland geregelt?

Es gibt einen Beschluss der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Gentherapie in diesem Sinne, und ich gehe davon aus, dass sich die Ärzte daran halten. Die Frage wird bei Anträgen auf eine klinische Studie von der Kommission aber nicht geprüft.

Das Interview führte Nicola Siegmund-

Schultze.

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