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Gesundheit: Gerade noch rechtzeitig

Die „Pille danach“ ist in 15 Ländern Europas ohne Rezept in Apotheken erhältlich. Nur in Deutschland nicht

In Sachen Verhütung sind Jugendliche und junge Erwachsene etwas vorsichtiger geworden: 63 Prozent benutzen beim „ersten Mal“ ein Kondom, etwa ein Viertel die Pille, so zeigt die aktuelle Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Jugendsexualität. Und die Jugendlichen wissen auch, was man im Notfall tun könnte, wenn es mit dem Kondom eine Panne gibt: 88 Prozent der 16- bis 19-Jährigen haben schon von der „Pille danach“ gehört – deutlich mehr als bei den älteren Erwachsenen. Sieben von 100 befragten jungen Frauen haben sie schon angewendet.

Die „Pille danach“ ist für den Notfall gedacht, wenn das Kondom gerissen oder verrutscht ist, wenn die eigentliche Pille falsch eingenommen oder vergessen wurde, wenn berechtigte Angst aufkommt, weil die Verhütung ganz vernachlässigt worden ist.

Zwar weiß man immer noch nicht ganz genau, wie die Präparate wirken. Klar ist jedoch, dass sie nicht mehr wirksam sind, wenn sich schon eine befruchtete Eizelle in die Gebärmutter eingenistet hat. Deshalb darf man die „Pille danach“ auch nicht mit der Pille zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch verwechseln. Ist die Frau, die sie einnimmt, schon schwanger, so wirkt sie nicht. „Das ist keine Abtreibungspille“, betonte jetzt Helena von Hertzen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und von Pro Familia.

Die Hauptwirkung der Notfall-Pille scheint darin zu bestehen, dass sie als „Last-minute“-Verhütung den Eisprung verhindert oder verzögert. Je dichter der bevorsteht, um so schlechter wirkt sie (siehe Infokasten). Die genaue Wirkungsweise ist wahrscheinlich vom Zeitpunkt innerhalb des Monatszyklus abhängig, zu dem die „Pille danach“ eingenommen wird.

Ihre Zusammensetzung hat sich in den letzten 25 Jahren gründlich verändert: Hatte man zunächst hoch dosiertes Östrogen, später dann eine Kombination aus Östrogen und dem anderen weiblichen Geschlechtshormon Gestagen eingesetzt, so kamen mit Beginn dieses Jahrhunderts in Deutschland zwei Präparate auf dem Markt, die nur einen Bestandteil der klassischen Antibabypille, das Hormon Levonorgestrel, enthalten. „Diese Mittel sind wirksam und haben weniger Nebenwirkungen als die Präparate, die früher eingesetzt wurden“, sagte Klaus Vetter, Präsident der DGGG.

In 15 europäischen Ländern sind sie deshalb in den letzten Jahren – Frankreich war 1999 vorausgegangen – aus der Rezeptpflicht entlassen worden. Auch der Sachverständigenausschuss Verschreibungspflicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte hat sich dafür ausgesprochen, die „Pille danach“ freizugeben, nachdem eine der beiden Herstellerfirmen den Antrag gestellt hatte. Eine Änderung würde in Deutschland jedoch der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, und dort wurde noch kein solcher Antrag eingebracht.

In der Schweiz können Frauen sich seit November 2002 in die zwei Gestagen-Tabletten in der Apotheke besorgen. Bedingung: In einem abgetrennten Bereich findet dort zuvor ein Beratungsgespräch statt, in dem die Nebenwirkungen und auch künftige Strategien der Verhütung zur Sprache kommen. Seitdem hat sich die Abgabe von den Notfallstationen der Krankenhäuser zu den Apotheken verschoben.

Das passt zu einer kürzlich im Fachblatt „Human Reproduction“ veröffentlichten Untersuchung, die zeigt, dass die Aufhebung der Rezeptpflicht für die „Pille danach“ zu einer deutlichen Abnahme der einschlägigen Besuche in Notaufnahmen führte. An frequentierten Orten wie der Bahnhofsapotheke in Zürich wird die Notfall-Verhütung inzwischen an Werktagen im Schnitt sieben Mal, am Wochenende 50 Mal verlangt.

Auch in Großbritannien sind neben den Hausärzten und speziellen Beratungsstellen seit 2001 Apotheken zur Abgabe der „Pille danach“ berechtigt. Sie müssen sich an Richtlinien zur Beratung halten, wie die in Edinburgh tätige Gynäkologin Anja Guttinger berichtete. Ungewollte Schwangerschaften haben allerdings seitdem nicht abgenommen. „Doch bewahrheitete sich umgekehrt auch nicht die Befürchtung, dass bessere Methoden der Empfängnisverhütung vernachlässigt würden oder sexuell übertragbare Infektionen seitdem zugenommen hätten“, berichtete Guttinger.

Die rezeptfreie Abgabe sei „aus sexualpsychologischer und frauenärztlicher Sicht äußerst problematisch“, sagte dagegen ihr deutscher Kollege Knut Hoffmann. Er sprach für den Berufsverband der Frauenärzte, der die Aufklärung als genuin ärztliche Aufgabe reklamiert. Die niedergelassenen Gynäkologen argumentieren, man müsse in der prekären Situation die Chance zum individuellen Verhütungs-Gespräch unter Wahrung der Intimität nutzen. Wenn eine Panne passiert ist, dürften sich jedoch viele Paare erleichtert fühlen, wenn nicht im Wartezimmer einer Praxis oder in der Notfallambulanz kostbare Zeit verloren geht.

Informationen unter:

www.bzga.de

www.loveline.de

www.profamilia.de

Adelheid Müller-Lissner

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