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Gesundheit: Geschichte wider Willen

Zum Tode des Historikers Wolfgang Mommsen

Wolfgang Justin Mommsen wollte Ingenieur werden. Der Urenkel Theodor Mommsens, des großen Altertumskundlers, begann Ende der 40er-Jahre nach dem Abitur in Marburg gegen die familiäre Tradition Physik und Mathematik zu studieren. Sein Vater, Historiker an der Marburger Universität und Hitler-Anhänger, konnte nach 1945 nicht auf seinen Lehrstuhl zurückkehren – und war fortan ein gebrochener Mann, wie Wolfgang Mommsen einmal in einem Interview sagte. „Aus eben diesen Gründen war ich damals fest entschlossen, unter gar keinen Umständen Historiker zu werden.“

Es ist Wolfgang Mommsen ebenso wenig gelungen wie seinem Zwillingsbruder Hans, der zunächst Germanistik studierte. Die 1930 geborenen Brüder wandten sich alsbald doch dem Geschichtsstudium zu – Wolfgang Mommsen promovierte bei Theodor Schieder in Köln – und sollten zu bedeutenden Zeithistorikern werden. Wolfgang Mommsen ist Autor großer Studien über das deutsche Kaiserreich, zum Imperialismus und zum Kolonialismus, zur Revolution von 1848 und zum Ersten Weltkrieg. Am Mittwoch ist er 73-jährig bei einem Badeunfall im Ostseebad Bansin ums Leben gekommen.

Als einen „hervorragenden Historiker mit großer internationaler Reputation“ würdigt Jürgen Kocka, Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin und Präsident des Weltverbandes der Historiker, den Verstorbenen gegenüber dem Tagesspiegel. Zentral für Mommsens Werk sei seine frühe Beschäftigung mit Max Weber – ein eher untypisches Thema für einen Historiker. Das habe ihn zu Studien zur Theorie der Geschichte geführt, aber auch zu seinen anderen großen Themen.

Politisch engagiert war der Mitherausgeber der Max-Weber-Gesamtausgabe zweifellos auch. Im Historikerstreit Mitte der 80er-Jahre kritisierte er scharf Ernst Noltes These von einem kausalen Zusammenhang zwischen stalinistischen und nationalsozialistischen Verbrechen. „Er war ein Bürger, der sich einmischte, eine kantige Persönlichkeit mit einem ausgeprägten wissenschaftlichen Temperament“, erinnert sich Kocka.

Es sei Mommsen immer besonders wichtig gewesen, „das internationale Ansehen und den internationalen Dialog der deutschen Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wiederherzustellen und zu fördern“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes Manfred Hildermeier. Mommsen leitete den Verband von 1988 bis 1992, nachdem er Direktor des Deutschen Historischen Instituts in London war. Bis zu seiner Emeritierung 1996 lehrte Mommsen an der Universität Düsseldorf und war bis vor kurzem Fellow am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt. Vor seinem Tode leitete Mommsen auch die Arbeitsstelle der Jahresberichte für deutsche Geschichte an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Wolfgang Mommsen starb im 90. Jubiläumsjahr eines seiner großen Forschungsthemen – des Ersten Weltkrieges. Im Frühjahr noch gab er seine Aufsätze zur Weltkriegsforschung in einem Sammelband bei Fischer heraus. Darin analysiert Mommsen auch das Verhängnis großdeutscher Konzepte, die schon diesen Krieg prägten.

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