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Gesundheit: „Geschichtsklitterung“

Zurück zur klassischen Schreibweise? Der Linguist Gerhard Augst verteidigt sein Reformwerk

Herr Augst, die Verlage, die jetzt zur alten Schreibweise zurückkehren wollen, erklären die Arbeit der zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung, deren stellvertretender Vorsitzender Sie sind, für sinnlos. Sind Sie mit dem Reformwerk gescheitert?

Das wollen wir nicht hoffen. Wir haben eine gute Reform gemacht und sind entsetzt über das, was derzeit passiert.

Was bedeutet die Kampagne der Verlage für die deutsche Sprache?

Eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung führt zu einem heillosen Chaos, weil wir dann in weiten Teilen der Öffentlichkeit eine andere Schreibung haben werden als in Schulen und Behörden. Die Rückkehrer haben Unrecht mit ihrer Behauptung, dass es die Reform sei, die für Chaos sorge. Wie gut die Reform in Wahrheit läuft, belegen repräsentative Umfragen: Die neue Rechtschreibung wird von der überwältigenden Mehrheit der Lehrer gelobt. Zeitungen haben sie zu 97 Prozent richtig angewandt. Sogar die Hälfte der Leserbriefe an Zeitungen wurde 2001 nach den neuen Regeln verfasst. Und im selben Jahr erschienen bereits 75 Prozent des deutschen Schrifttums in neuer Rechtschreibung.

Warum wäre es für Schüler so schlimm, in der Schule etwas anderes zu lernen, als sie in der Zeitung lesen?

In der Schule lernen wir durch Regeln und Ausnahmen schreiben. Beim Lesen von Zeitungen und Büchern prägen sich Schriftbilder ins Unterbewusstsein ein. Die Schüler würden also auf subtile Weise tiefgreifend verunsichert beim Erlernen der deutschen Sprache. Deshalb war der 1999 gefasste Grundsatz der Zeitungsverlage richtig und konsequent: „Wir wollen so schreiben, wie die Schule schreibt.“ Das stellen jetzt einige Verlage willkürlich auf den Kopf.

Wenn es nach den Verlagen und anderen Reformkritikern geht, währt die Verwirrung ja nicht lange: Sie kippen die Reform mit Hilfe der Politik, und dann schreiben wieder alle gleich.

Das wollen sie aber nicht etwa, weil sie die alte Rechtschreibung lieben. Sondern sie setzen ihre nackte Pressegewalt ein, um zu zeigen, dass sie diese Reform stoppen können. Ich glaube nicht, dass die Rechtschreibung das eigentliche Thema ist. Man will vielmehr den ganzen Unwillen gegen die anstehenden Sozialreformen auf der Rechtschreibung symbolisch abladen.

Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust wirft der Duden-Redaktion vor, „klammheimlich Auflage für Auflage Teile des Unsinns“ zurückgenommen zu haben.

Das ist vollkommen falsch. Die Wörterbuchmacher sind 1996 aus wirtschaftlichen Gründen schnell mit Neuauflagen auf den Markt gekommen. Nachdem die zwischenstaatliche Kommission gegründet war, haben wir vermittelnd und deutend eingegriffen. So kam es zu einer verbindlichen Interpretation der neuen Regeln und zu den notwendigen Änderungen. Mit den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz wurden diese Änderungen dann ganz offiziell.

Aber vieles wurde doch für beliebig erklärt.

Das gab es schon immer. Bestimmte Bereiche der Schreibung sind im Fluss, und das bildet der Duden ab. Vor der Reform waren vor allem bei der Eindeutschung von Fremdwörtern verschiedene Varianten zulässig, beispielsweise Cordhose oder Kordhose. Bei der Reform wollten wir vermeiden, die Leute zu gängeln, wo es nicht nötig ist. Ein Beispiel: Wer meint, aufwändig kommt von Aufwand soll es mit ä schreiben. Wer meint, aufwendig kommt von aufwenden, schreibt es mit e.

Die Verlage sprechen nicht von der Rückkehr zur „alten“ Rechtschreibung, sondern zur „klassischen“.

Das ist ganz schlimme Geschichtsklitterung. Zurück zur Sprache von Goethe und Schiller? Deren Texte im Original wären heute für die meisten Menschen unlesbar. Außerdem wollen die selbst ernannten Retter der klassischen Rechtschreibung den Eindruck erwecken, dass die alte Schreibweise vollkommen in Ordnung gewesen sei. Aber schon Konrad Duden sagte 1901: „Jetzt haben wir die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung, jetzt brauchen wir die Einfachheit.“ Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde die Rechtschreibung dann immer komplizierter. Wir haben dann mit unserer Reform die von Konrad Duden geforderte Vereinfachung verwirklicht.

Gab es in Deutschland schon einmal eine Situation, in der in den Schulen anders geschrieben wurde als außerhalb?

Von 1880 bis 1902 haben es die Kultusminister Deutschlands geschafft, gegen den Willen Bismarcks an der vom preußischen Minister von Puttkamer eingeführten Rechtschreibreform festzuhalten. Reichskanzler Bismarck hatte es seinen Beamten bei Strafe verboten, der Puttkamerschen Reform zu folgen, die sich dann aber mit der Reform Konrad Dudens flächendeckend durchsetzte. 22 Jahre – so lange wird unsere Reform sicher nicht brauchen, um doch noch Gesetz zu werden.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Gerhard Augst (65), ist stellvertretender Vorsitzender der zwischenstaatlichen Rechtschreib-Kommission und lehrte bis zum Sommersemester Linguistik an der Universität Siegen.

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