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Gesundheit: Die Wasserschlacht

Bisher fehlen die Beweise dafür, dass gesünder lebt, wer möglichst viel trinkt.

Schon beginnt die Frühlingssonne zu wärmen. Bald wird es Sommer – und mit steigenden Temperaturen wird auch eine Mahnung vernehmlicher werden, die seit einiger Zeit ohnehin ganzjährig zu hören ist: Leute, passt auf, dass ihr genug trinkt! Weil es als gesund gilt, ist es längst auch gesellschaftlich akzeptiert, die Wasserflasche überall da auszupacken, wo man gerade geht oder steht.

Dass der Mensch nur kurze Zeit ohne Flüssigkeit überleben kann, steht außer Zweifel. Doch gibt es wissenschaftliche Belege für die Empfehlung, es mindestens auf zwei Liter täglich zu bringen? Zwei Nierenspezialisten aus den USA, wo seit Jahren die Kampagne „Acht mal acht“ empfiehlt, jeden Tag acht Gläser Wasser zu je acht Ounces, also insgesamt mehr als zwei Liter Wasser zu trinken, haben sich auf die Suche nach einschlägigen Studien gemacht. Der Schluss, zu dem Dan Negoianu und Stanley Goldfarb von der Uni in Philadelphia jetzt im Journal der US-Gesellschaft für Nephrologie (Band 19, 2008) kommen: „Es gibt keine Beweise dafür, dass es einen Nutzen bringt, größere Mengen Wasser zu trinken.“

Da die Forscher die strengen Maßstäbe, die sie bei der Sichtung der Fachliteratur anlegen, auch auf ihre eigene Arbeit anwenden, fügen sie jedoch hinzu: „Wir müssen eingestehen, dass es auch keine Beweise für ein Fehlen des Nutzens gibt.“ Tatsächlich sei auf diesem für den Alltag so wichtigen Gebiet die Beweislage überhaupt ziemlich dünn.

Über Menschen, die in besonders heißem und trockenem Klima leben, die wegen einer Erkrankung viel trinken sollten, Leistungssport treiben oder deren Durstempfinden gestört ist, sprechen die Mediziner ausdrücklich nicht. Ihnen geht es darum, ob Gesunde, die in einem gemäßigten Klima leben und keinen extremen Belastungen ausgesetzt sind, ganz bewusst „einen über den Durst“ trinken sollten, um ihre Gesundheit optimal zu schützen.

Um das zu prüfen, haben sie nach Studien auf fünf Feldern gefahndet, die meist genannt werden, wenn es um den Nutzen einer hohen Flüssigkeitsaufnahme geht. Da ist zunächst die Hoffnung, der Körper könne schädliche Stoffe besser ausscheiden, wenn die Nieren besser durchgespült werden. Um diese Hypothese zu prüfen, wurde in einer Studie mit jungen Freiwilligen anhand von Blut- und Urinproben die Filterfunktion der Nieren getestet. Tatsächlich waren die Nieren der Vieltrinker in der Blutreinigung nicht effektiver.

Einem zweiten Mythos, demzufolge die Aufnahme von viel Flüssigkeit die inneren Organe in Schwung hält, können die Forscher aus Philadelphia schon aus Plausibilitätsgründen wenig abgewinnen: Sie halten es für unwahrscheinlich, dass das Wasser dort überhaupt bleibt – statt schlicht mit dem Urin ausgeschieden zu werden. Studien zeigten, dass es große individuelle Unterschiede gibt, was das Zurückhalten von Wasser im Körper betrifft. Wie viel von der aufgenommenen Flüssigkeit im Körper bleibt, hängt außerdem wahrscheinlich von der Geschwindigkeit der Aufnahme ab, und davon, ob es mit leichter oder schwerer verdaulichem Zucker getrunken wurde.

Ähnlich skeptisch sind die Mediziner, was die wohltätige Wirkung des Wassers auf die Haut betrifft. Zwar macht sich eine Austrocknung bei deutlicher Unterversorgung mit Wasser auch an der Haut bemerkbar. Der Umkehrschluss, dass man die Haut schön aufpolstern und von Falten befreien könne, wenn man nur genug trinke, ergibt sich daraus aber nicht. Allenfalls könnte es die Durchblutung der feinen Unterhautgefäße etwas verbessern, wenn man sehr viel trinkt.

Vor ähnlichen Umkehrschlüssen warnen die Wissenschaftler auch, was Erkrankungen der Herzkranzgefäße und Krebs betrifft. Zwar ergaben rückblickende Studien, dass an Darm- und Blasenkrebs oder an Arteriosklerose Erkrankte im Schnitt weniger Wasser tranken als gleich alte Gesunde. Allerdings stellt sich hier ganz klassisch die Henne-und-Ei-Frage: Möglicherweise ist es die Krankheit, die die Betroffenen vom Trinken abhält. Migräne-Kopfschmerzen konnten zumindest in einer Studie durch erhöhte Wasseraufnahme etwas gelindert werden. Die Ergebnisse waren zwar nicht statistisch signifikant, doch angesichts der Bedeutung dieses Volksleidens ist es sinnvoll, dem Zusammenhang weiter nachzugehen.

Von größter Bedeutung ist aber sicher die Hoffnung, dass die Pfunde purzeln, wo das Wasser reichlich durch die Kehle rinnt. Viele Menschen machen persönlich die Erfahrung, dass es ihren Appetit dämpft, wenn sie vor der Mahlzeit ein großes Glas Wasser trinken. Und Untersuchungen haben gezeigt, dass Versuchspersonen weniger Kalorien zu sich nahmen, wenn die Nahrungsmittel selbst mehr Wasser enthielten und weniger dicht an Nährstoffen waren. Dass man besser abnehmen oder sein Gewicht halten kann, wenn man über den Tag verteilt viel trinkt, ist aber bisher nicht durch Studien belegt. Doch selbst wenn sich herausstellen sollte, dass etwas daran ist, wäre das für schlanke Menschen immer noch kein Grund, nicht ohne Wasserflasche aus dem Haus zu gehen.

Die Trink-Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) fällt denn auch mit 1,5 Litern pro Tag deutlich zurückhaltender aus als die „Acht mal acht“-Regel der Amerikaner. Kaffee und Tee dürfen zudem in die Bilanz eingehen, seit die Geschichte vom „Flüssigkeitsräuber“ Kaffee als Irrtum entlarvt wurde.

Der Physiologieprofessor Heinz Valtin von der Dartmouth Medical School in New Hampshire beruhigte alle Gesunden, die Angst haben, sie könnten zu wenig trinken, schon vor ein paar Jahren: „Es ist schwer vorstellbar, dass die Evolution uns mit einem chronischen Wasserdefizit ausgestattet hat, das kompensiert werden muss, indem wir uns zum Trinken zwingen.“ Unter normalen Bedingungen reiche unser Durstgefühl aus, um uns zu signalisieren, wann wir etwas trinken sollten, sagt auch Hanns-Christian Gunga vom Institut für Physiologie der Berliner Charité. Starre Mengenangaben verböten sich schon deshalb, weil der Flüssigkeitsbedarf vom Gewicht abhängig sei. Anders stehe es mit den Trinkempfehlungen bei großer körperlicher Belastung und hohen Außentemperaturen aus. „Dann ist unser Durstempfinden erstaunlich unsensibel: Wir können zwei Kilogramm verlieren, bevor es anspringt. Hunger ist dagegen kaum zu unterdrücken und meldet sich zuverlässig.“ Gunga führt das darauf zurück, dass unsere Vorfahren in gemäßigten Regionen lebten, in denen sie nicht von Hitze und Trockenheit bedroht waren. Sportler sollten also auf jeden Fall darauf achten, dass sie ausreichend trinken – und genügend Salz zu sich nehmen. Die zweite Gruppe, der der Charité-Physiologe zum Mitnehmen einer Trinkflasche rät, sind junge Eltern. Für ihre kleinen Kinder.

Adelheid Müller-Lissner

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