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Projektleiterin Petra Rossmanith, Projektleiterin bei der Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie berät Menschen, die Hilfe mit Ämtern oder Ärzten brauchen. Wie Beate Platow.

© Daniela Martens

Gesundheit: Übersetzer für die Seele

Vor einem Jahr hat in Schöneberg die Beschwerdestelle Psychiatrie eröffnet. Wer hierher kommt, braucht Hilfe im Umgang mit Ärzten oder Ämtern.

Die Taschentücherbox auf dem Tisch fällt sofort ins Auge. Man stellt sich gleich die vielen Tränen vor, die hier an der Grunewaldstraße in Schöneberg schon getrocknet worden sind – in einem der beiden Beratungsräume der Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie (BIP). Aber dann zerstört Projektleiterin Petra Rossmanith die naive Illusion: „Die Tücher brauchen wir meist, um den Kaffee aufzuwischen, der durch die ganzen Emotionen verschüttet wird.“ Wut, Ärger, Empörung und Verzweiflung von Patienten und Angehörigen – über Psychiater, Kliniken, Gutachten, Diagnosen, Zwangseinweisungen, Krankenkassen, Sozialämter und gesetzliche Betreuer: Dieser Raum steckt voller Geschichten, die Diplompädagogin Petra Rossmanith, die vorher in der Wohnungslosenhilfe gearbeitet hat, erzählt – ganz vorsichtig, damit sie nicht zu viel über die „Beschwerdeführer“ verrät. So nennt sie die Ratsuchenden. Mehr als 550 Beschwerden haben sie und ihre drei Mitarbeiter schon bearbeitet seit das Büro seine Arbeit im Dezember 2010 aufnahm. Einige Zeit später saß Beate Platow zum ersten Mal in dem Raum mit den Taschentüchern. Jetzt nimmt die 72-Jährige wieder einmal Platz hier, neben der Projektleiterin und erzählt, warum sie damals nach einem Krankenhausaufenthalt herkam: Seit mehr als 25 Jahren hat sie alle ein bis zwei Jahre immer wieder schwere Depressionen, die mehrere Monate anhalten. Sie hat dagegen lange Zeit Medikamente genommen. Inzwischen hat sie sie aber abgesetzt und ist sich sicher: „Die helfen nicht, sondern haben stattdessen nur unangenehme Nebenwirkungen: Am schlimmsten ist die Inkontinenz.“ Sie hat aber auch herausgefunden, dass es ihr hilft, wenn sie die Zeit, in der ihre Depressionen besonders schlimm sind, in einem Krankenhaus verbringt. „Weil ich leichter Hilfe von Menschen annehmen kann, deren Job es ist, andere zu betreuen als von meinen Angehörigen und Freunden.“ Das stellte sie vor ein Dilemma. „Im Krankenhaus musste ich immer Tabletten nehmen. Sonst hätte ich nicht bleiben dürfen. Dann hätte ich aber zuhause vor mich hinsiechen müssen.“ Die Ärzte hätten sich auf Vorgaben der Krankenkasse berufen, sagte sie zu Petra Rossmanith. Die konnte das Dilemma auflösen: Sie sprach mit der Kasse und den Ärzten. Am Ende stand eine schriftliche Behandlungsvereinbarung ohne Tabletten – im voraus für den nächsten Aufenthalt: „Das ist ein großer Erfolg. Der Gedanke, dass ich einfach so ins Krankenhaus kann, hilft mir vielleicht so sehr, dass ich gar nicht mehr hin muss“, hofft Beate Platow.

Um Unzufriedenheit mit den Leistungen von Ärzten und Krankenhäusern wie bei Beate Platow gehe es oft in den Beschwerden, sagt Rossmanith. Ebenso um Medikation: „Die Bereitschaft eines Patienten, Medikamente zu nehmen gilt vielen Ärzten als Grundlage für eine Therapie. Das erleben viele Patienten als Entrechtung“, sagt sie. Aber auch sonst gelte: „Die Möglichkeiten des psychiatrischen Versorgungssystems schüchtern mitunter Menschen ein. Und das Gefühl, entrechtet zu sein, macht unkooperativ.“ Die Beschwerdestelle sorgt dafür, dass es trotzdem mit der Kommunikation klappt: „Wir arbeiten wie eine Art Übersetzungsbüro“, sagt Petra Rossmanith. Sie sind Übersetzer für die Sprache der Seele, könnte man sagen. „Wir arbeiten aus der Empörung der Beschwerdeführer die Wünsche und Ziele heraus.“ Die tragen sie dann den betreffenden Ärzten, Ämtern oder anderen Zuständigen vor. „Oft kommt dadurch schon Bewegung in die Sache, weil wieder eine Kommunikation möglich ist.“ Die Problemlösung sei aber nicht immer nur eine Frage der „Übersetzung“. „Oft müssen wir tatsächlich helfen, Persönlichkeitsrechte durchzusetzen.“ Mehrfach haben sie Zwangseinweisungen rückgängig gemacht. Etwa indem sie stattdessen eine betreute Wohnform vorgeschlagen haben. Oder sie helfen, annehmbare Bedingungen zu schaffen, unter Menschen, die als psychisch krank gelten, ihre Kinder regelmäßig sehen können.

Oft gehe es bei Problemen im Zusammenhang mit der Psychiatrie um subjektive Haltungen und Einschätzungen. Das wird dann schwierig, wenn die „Helfer“, wie Rossmanith diejenigen nennt, gegen die sich meist die Beschwerden richten, den richtigen Blickwinkel auf die Patienten verlieren. Zum Beispiel bei Gutachten, wo es meist es darum geht , dass ein vom Jobcenter beauftragter Psychiater entscheiden soll, ob jemand erwerbsunfähig ist. Manche empören sich dann bei der Beschwerdestelle darüber, für erwerbsfähig erklärt zu werden, andere würden gern einer Beschäftigung nachgehen und dürfen es nicht. „Das sind entblößende Situationen. Viele können mit einem Gutachten über sich nicht leben.“ Wie jene Frau, der ein Psychiater von vornherein unterstellte, sie sei eine „Leistungserschleicherin“ und ihrem Lebensgefährten verbot, einen Notarzt zu rufen als sie nach Fragen zu ihrer Kindheit in seiner Praxis traumatisiert kollabierte. So berichtete sie es in der Beschwerdestelle. Rossmanith wandte sich an die Behörde, die den Auftrag für das Gutachten gegeben hatte und konnte erreichen, dass es nicht berücksichtigt wurde. Besonders schlimm wird es, wenn die „Helfer“ ihre Macht über einen Schutzbefohlenen missbrauchen. Wie jener Betreuer im betreuten Einzelwohnen, der seinen Schützling sowohl sexuell belästigte als sich auch an dem ihm anvertrauten Geld des Schützlings bereicherte. Der wusste nicht, was er dagegen unternehmen sollte. Rossmanith sprach mit den Vorgesetzten des Betreuers. „Wir werden oft gebraucht, wenn Menschen ein Gefühl von Unrecht haben, aber nicht Recht wissen, was sie mit diesem Gefühl anfangen sollen.“ Das Hauptproblem: Bei Menschen, die als psychisch krank diagnostiziert werden, gibt es in der Regel eine Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung. Ihr Verhalten ist den gesellschaftlichen Bedingungen oft nicht angepasst. Und so fällt es ihnen oft besonders schwer Gehör zu finden.

Auch deshalb hatten schon viele seit längerer Zeit gefordert, dass es ein zentrales Beschwerdemanagement in Berlin geben müsse. Vor der Eröffnung der BIP gab es zwar in den Bezirken einzelne Beratungsstellen, in denen aber ausschließlich Ehrenamtliche arbeiteten. „Das hat trotz großem Engagements nur bedingfunktioniert“, sagt Rossmanith. Auch, weil sie nur für einige der Probleme zuständig waren. Etwa für Schwierigkeiten beim betreuten Wohnen. In Lichtenberg und Reinickendorf existieren weiterhin solche Beratungsstellen neben der zentralen BIP. Die ist als Ergebnis einer Arbeitsgruppe entstanden ist, die aus Experten, Menschen mit eigener Psychiatrie-Erfahrung und Angehörigen zusammengesetzt war. Ebenso wie heute das Team der Beschwerdestelle. Sie wird vom Senat finanziert, Träger ist der Verein Gesundheit Berlin-Brandenburg.

Alle zwei Wochen wird am Dienstagnachmittag Rechtsberatung angeboten, zudem gibt es einmal im Monat eine Beratung durch einen Arzt bei medizinischen Fragen sowie spezielle Sprechstunden mit Vertretern von Angehörigen- und Betroffenenorganisationen. Nicht immer muss Rossmanith nach dem Beratungsgespräch tatsächlich tätig werden. Manchmal muss sie auch nur die Tücken des Psychiatriesystems erklären – und manchmal reicht es, dass jemand einfach seinen Ärger losgeworden ist.

BIP, Grunewaldstraße 82, 10823 Berlin, Tel. 789 50 03 60, Internet: www.psychiatrie-beschwerde.de

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