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Gesundheit: Gewalt, die sich verstellt

Wie moderne Kriege legitimiert werden: Sie gelten nicht Unmenschen, sondern Feinden des Fortschritts

„Wie stehen Sie zum drohenden Irak- Krieg?“ Wo immer heute führende Intellektuelle ein Podium betreten, drängt sie die Zuhörerschaft, in dieser Frage Position zu beziehen – erst recht, wenn sie wie die Literaturwissenschaftler Tzvetan Todorov und Jan Philipp Reemtsma zum Thema „Gewalt in der Moderne“ sprechen. Mit dem Satz „Wer für Amerika ist, muss gegen diesen Krieg kämpfen!“ trifft Todorov die Stimmung im voll besetzten Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek. Den aufkommenden Applaus unterbricht Reemtsma mit der Bemerkung: „Aber die Menschen im Irak sind nicht frei!“

Nun ist Reemtsma alles andere als ein Kriegsbefürworter, aber ihm ist der „Schröder-Konsens“ suspekt, den er da Beifall klatschen hört: Dessen opportunistische Kampagne simplifiziere die Kriegsfrage, um das „Nie wieder Krieg“-Gefühl einzufangen. Zur Problematik gehöre allerdings die deutsche Verfassung, die die Teilnahme an nicht durch den UN-Sicherheitsrat legitimierten Kriegen verbietet. Unterdessen klopfe die USA die UN gerade daraufhin ab, ob sie sich nicht zum Instrument ihrer Politik machen ließen – was die internationale Rechtsentwicklung seit 1918 und letztlich die UN selbst aushebeln werde.

Reemtsmas Kritik der deutschen Haltung ist eingebettet in eine desillusionierte Sicht auf die Gewalt in der Moderne, auf die unheimliche Allianz von Zivilisation und Barbarei im 20. Jahrhundert. Diese ist geprägt durch neuartige Formen der Gewalt-Legitimation. Die Gewalt gibt sich zivilisiert. Sie legitimiert sich als Mittel auf dem Weg zu einer Zukunft mit weniger Gewalt. So bringt sie sich in Einklang mit dem Selbstbild der Moderne, die sich als friedfertig und zivilisiert begreift: Krieg ist legitim, wenn er geführt wird, um größere Kriege zu verhindern. Strafen müssen „gerecht“ sein und der „Kriminalitätsbekämpfung“ dienen. Zum Schutz vor Terror und Bürgerkrieg wird die Gewalt beim Staat monopolisiert, und der Gegner wird nicht mehr entmenschlicht, sondern als ein Mensch bekämpft, der „Feind der Zivilisation und des Fortschritts“ ist. Diesen Konsens der Moderne haben auch die Nazis nicht grundlegend in Frage gestellt, sagte Reemtsma, der sich für ein Programm zur Erforschung historischer Gewalt stark machte. Dass das Selbstbild einer zivilisierten Moderne die Wahrnehmung von Gewalt und Krieg prägt, schlägt sich auch in den Geschichtserzählungen nieder.

Während es früher üblich war, dass Gruppen ihre Geschichte als kämpferische Heldengeschichte präsentierten, wird nach dem Zweiten Weltkrieg die Opferrolle stärker betont. Dieser Wechsel steht für Todorov in einem Zusammenhang damit, dass sich ein Verständnis von Gerechtigkeit entwickelt hat, das es erlaubt, aus vergangenem Unrecht Ansprüche in der Gegenwart abzuleiten – so wie es etwa die amerikanischen Indianer tun, die sich nach mehr als hundert Jahren nun erstmals als Opfer artikulierten. Eine vergleichbare Konjunktur beobachtet Todorov auch bei den historischen Schuldbekenntnissen. Auch sie sind nicht frei von Nützlichkeitserwägungen: Der Lohn ist die Rolle des edelmütigen Bekenners, der zwischen Richtig und Falsch in der Geschichte zu unterscheiden weiß.

Das Opfer-Bild, das die Trauma-Forschung zeichnet, ist ein ganz anderes, wie jüngst bei einer Tagung im Potsdamer Einstein-Forum deutlich wurde. So setzt sich das Holocaust-Trauma, an dem die KZ-Überlebenden in Israel leiden, über unbewusste Identifikationen und Familienaufträge auch in der Generation der Kinder und Enkel fort. Die aktuelle Bedrohungssituation im Nahen Osten verschmilzt mit diesem kollektiven Trauma. Die tatsächliche Bedrohung wird dermaßen ins Monströse gesteigert, dass nicht mehr realitätsgerecht reagiert werden kann.

Die Psychoanalytikerin Ilany Kogan illustrierte das am Fall einer jungen Israelin, die sich in vorderster Front an propalästinensischen Demonstrationen beteiligt. Ihr politisches Engagement wusste die junge Frau durchaus rational zu begründen. Auf der psychischen Ebene aber war es mit unbewussten Identifikationen und Schuldgefühlen gegenüber der Mutter verknüpft. Bewegte sie sich inmitten gefährlicher Polizisteneinsätze, war sie dabei von der Fantasie getragen, in einer ähnlich lebensbedrohlichen Verfolgungssituation zu sein wie ihre Mutter damals in Deutschland.

Der Wissenschaftler Dan Bar-On von der Ben-Gurion-Universität geht sogar noch einen Schritt weiter. Aus seiner Sicht speist sich das Gewaltpotenzial des israelisch-palästinensischen Konflikts aus den Trauma-Energien zweier Völker, die an einem ähnlichen Syndrom leiden: Auf Seiten der Israelis entlädt sich die internalisierte Gewalt des Holocausts, auf Seiten der Palästinenser die Gewalt, die man unter den Osmanen und Briten erlitten hat. Allein, die Lösung kann nur eine politische sein, denn anders als die junge Israelin lassen sich ganze Völker nicht auf die Couch legen.

Gerwin Klinger

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