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Gewebegesetz: Nicht nur Organe werden transplantiert

In einem viel größeren Umfang als allgemein bekannt wird in Deutschland Gewebe verpflanzt. Für diese Praxis tritt jetzt ein Rechtsrahmen in Kraft, der den neuen Realitäten angemessen sein soll.

Die häufigste Transplantation in Deutschland ist nicht etwa die neue Niere. Fast doppelt so häufig wird eine neue Augenhornhaut verpflanzt. Auch Haut, Knochen, Sehnen, Herzklappen oder Knochenmark werden Toten entnommen und transplantiert. Vom 1. August an regelt ein Gesetz, wie mit solchen "Gewebespenden" zu verfahren ist.

Laut Bundesgesundheitsministerium schafft das Gewebegesetz mehr Sicherheit für Menschen, die sich bei einem Arbeitsunfall die Augenhornhaut verätzt haben, deren komplizierte Brüche nur mit Hilfe von fremdem Knochenmaterial geheilt werden können, oder die wegen einer Leukämieerkrankung auf eine Stammzelltransplantation hoffen. Mediziner befürchten hingegen, dass Gewebe zur Handelsware werden könnte und beklagen, dass die Verteilung nicht geregelt ist.

"Bisher war so gut wie gar nichts geregelt", sagt Ministeriumssprecher Andreas Deffner. "Im Grunde konnte jeder mit entnommenem Gewebe machen, was er wollte." Auch Mediziner geben zu, dass eine "Gewebebank" alten Zuschnitts bisweilen nichts anderes war als eine Kühltruhe im Klinikkeller. In Zukunft gelten "für die Gewebe die selben hohen Standards wie für Organe", sagt Deffner. Unter anderem gehe es darum, auszuschließen, dass der Spender dem Empfänger Krankheiten übertrage.

Überwachung jetzt besser gewährleistet

Auslöser der Neuregelung war eine europäische Richtlinie, die in nationales Recht umgesetzt werden musste. Aber statt ein eigenständiges Gesetz zu schaffen, dockte Deutschland die Gewebespende beim Arzneimittelgesetz an. "Im Unterschied zu Organen unterliegt jedes Gewebe vor der Anwendung beim Menschen einer Reihe von Verarbeitungsschritten", heißt es zur Begründung. "All diese Schritte bedürfen der behördlichen Überwachung." Und genau die Überwachungsstrukturen habe man im Arzneimittelrecht, sagt Deffner.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) in Neu-Isenburg sieht die Zuordnung mit Sorge. "Eine Pille ist etwas ganz anderes als eine Hornhaut", findet DSO-Vorstand Prof. Günter Kirste. Er sieht zwei Gefahren: Wenn Gewebe Arzneimittel sind, sind die Krankenhäuser im weitesten Sinne Pharmaunternehmen "und dann kann ein Krankenhaus theoretisch auf die Idee kommen, mit Gewebe Geld zu verdienen". Eine Befürchtung, die das Ministerium nicht teilt - im Gegenteil: Ein Handel wäre im bisherigen Wildwuchs viel eher möglich gewesen als mit dem Gesetz, das den Handel ausdrücklich verbietet.

Die DSO, die bundesweit Entnahme und Verteilung von Organspenden koordiniert, kümmerte sich bisher auch um Gewebespenden. Dafür gab es seit 1997 eine eigene Tochter namens DSO-G in Hannover. Sie wurde Ende Juli abgespalten und läuft ab sofort unter dem Namen "Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation mbH" unter der Leitung eines Konsortiums, das aus der Medizinischen Hochschule Hannover und den Unikliniken Leipzig und Dresden besteht. Das Netzwerk, "das unter erheblichem Aufwand in den letzten Jahren aufgebaut wurde", muss jetzt neu geknüpft werden, beklagt Prof. Kirste.

Ab Mittwoch ist die DSO nur noch für die Entnahme, aber nicht mehr für deren Verteilung der Gewebe zuständig. "Wir wissen gar nicht, wem wir Augenhornhäute oder Herzklappen jetzt geben sollen", sagt Kirste. Die Verteilung ist leider überhaupt nicht geregelt, kritisiert auch die Bundesärztekammer. "Der Gesetzgeber hat dafür keinerlei Kriterien vorgegeben", bemängelt Sprecher Alexander Dückers. Die Kammer sieht mehr Bürokratie, höhere Kosten und rechtliche Unsicherheit auf die Kliniken zukommen und befürchtet daher, dass die Gewebeentnahme dadurch zurückgehen könnten.

Sandra Trauner[dpa]

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