zum Hauptinhalt

Gesundheit: Gösta A. Eriksson: "DDR-Experte" mit fragwürdigen Thesen

Gösta A. Eriksson pakt ein paar abgegriffene Zeitungsartikel über sich selbst auf den Tisch.

Gösta A. Eriksson pakt ein paar abgegriffene Zeitungsartikel über sich selbst auf den Tisch. Die norwegischen Medien waren da, die finnischen und natürlich die schwedischen. "Mein Leben lang habe ich geforscht", sagt der 78-jährige Schwede. "Aber erst mit diesem Werk konnte ich eine breite Öffentlichkeit erreichen." Auf dem Umschlag sind Leonid Breshnew und Erich Honecker zu sehen, die ihre Münder zum Bruderkuss vereinen. Was zwischen den Buchdeckeln steht, hat der pensionierte Ökonom "auf Grund heimlicher Berichte herausgefunden. Und das begeistert mich." Nicht nur ihn: Seit das Buch "DDR, Stasi und Schweden" in seinem Heimatland erschienen ist, steht das Telefon in Uppsala nicht mehr still.

Eriksson, bis zu seiner Pensionierung Professor an der Akademie der finnischen Stadt Turku, hat sich in seinem 45-jährigen Forscherdasein mit der Eisen- und Stahlindustrie, mit Häfen und Warentransporten beschäftigt, mit der DDR allerdings kaum. Doch Anfang der neunziger Jahre kam er als Tourist nach Berlin. Bei einem Besuch der ehemaligen Stasi-Zentrale beschloss er spontan, sich fortan der Aufarbeitung der Vergangenheit zu widmen, genauer: den Spuren geheimdienstlicher Überwachung von Nordeuropäern, die persönliche und geschäftliche Kontakte in die DDR pflegten. Nach gut drei Jahren Wartezeit erhielt er bei der Gauck-Behörde Einblick in Akten mit den Namen von etwa 1500 Personen, vor allem schwedischen und finnischen Staatsbürgern. "Es kamen immer mehr Dokumente", staunt Eriksson. "Ich habe noch nie so etwas Spannendes gelesen."

Zwei Jahre lang fuhr der Professor regelmäßig nach Berlin, las und notierte. Dass er auf dem Gebiet kaum Vorkenntnisse hatte, störte die Gauck-Behörde kaum. Um dort eine solche Recherche anstellen zu können, "bedarf es der Willensbekundung, wissenschaftlich zu arbeiten", erklärt Johann Legner, der Pressesprecher. Schließlich vervollständigte Eriksson das Material mit - fehlerhaften - Angaben zur ostdeutschen Geschichte. Die Gründung der DDR verlegte er auf den 1. Oktober 1949, den Dissidenten Robert Havemann ließ er vor seinen politischen Gegnern in den Westen fliehen. "Die DDR ist eben nicht so wichtig für mich", bekennt der Wissenschaftler. "Warum soll ich auch DDR-Spezialist werden? Davon gibt es schon genug."

Kaum Beweise für die These

Das in aller Eile zusammengeschriebene Werk bot er in Schweden verschiedenen Verlagen an. Die lehnten alle ab. Da beschloss Gösta A. Eriksson, der bereits Zehntausende Kronen in das Projekt investiert hatte, das Buch auf eigene Kosten zu veröffentlichen. Die Ausgabe scheint sich eher ideell als finanziell gelohnt zu haben. Denn von der Gesamtauflage von 1000 Exemplaren hatte er bis April nur etwa 200 Stück verkauft. Vor allem sei es ihm um das Phänomen Stasi gegangen, sagt Eriksson. Um Beweise für seine These, dass schwedische Firmen am Aufbau der DDR-Wirtschaft maßgeblich beteiligt waren. Doch die Fakten, die er in seinem Buch zusammen getragen hat, belegen diese Behauptung kaum.

Trotzdem ist Gösta A. Eriksson jetzt ein begehrter Gesprächspartner. Anrufer aus ganz Nordeuropa fragen nach, ob ihr Name in den Akten vorkommt. Fernsehteams und Wissenschaftler melden sich in Uppsala und wollen mit dem "DDR-Experten" über die DDR sprechen. Über seine eigene Person habe er keine Angaben gefunden, bedauert er. Dabei sei er vor der Wende einige Male in osteuropäischen Ländern gewesen. Die Nacht des Mauerbaus verbrachte Eriksson in einem Hotel in Ost-Berlin. Später reiste er zu wissenschaftlichen Kongressen, um dort Forscherkollegen und Studenten aus sozialistischen Ländern zu treffen. Die habe er bei dieser Gelegenheit mit echter Westliteratur versorgt, erzählt er stolz. "War das verboten? Das wusste ich gar nicht."

Sein Kenntnisstand spiegelt sich auch in der Qualität des Buches wider. "Heute hat mich ein Dozent angerufen und sich darüber beschwert, dass die deutschen Textpassagen so schlecht sind", lacht Eriksson. Die Kritik betrifft nicht nur die Orthographie. "Die Arbeit ist völlig unwissenschaftlich", erregt sich Disa Hastad, die Osteuropaexpertin der Stockholmer Zeitung "Dagens Nyheter". In Erikssons Buch sind Angaben über ihre Biografie enthalten. Hastad berichtete jahrelang aus Moskau, Warschau und Ost-Berlin. Die Stasi überwachte sie und durchsuchte ihr Gepäck. 1992 beantragte die Journalistin Akteneinsicht. Die wurde ihr bisher nicht gewährt. Nach Angaben der Gauck-Behörde wurde der Antrag nicht bearbeitet, weil "hier trotz Aufforderung keine Identitätsbescheinigung einging", so der Pressesprecher Legner. Da Disa Hastad als Auslandskorrespondentin eine relative Person der Zeitgeschichte ist, durfte indessen Gösta A. Eriksson Dokumente über sie einsehen. In seinem Buch bleibt sie anonym. Doch die schwedische Zeitung "Expressen" hat die Stasi-Schnüffeleien anhand Erikssons Buch rekonstruiert und dabei ihren vollen Namen genannt. So kam es, dass Hastad aus den Medien erfuhr, welche Informationen in ihren Akten enthalten sind.

Eldorado für Spione

Der Professor hat eine Marktlücke entdeckt: Über die DDR-Schweden-Connection wurde bisher wenig geforscht. Dabei gäbe es viel zu recherchieren. Erich Honecker unterhielt Kontakte zum sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Olof Palme, dessen Beisetzung 1986 vom DDR-Fernsehen live übertragen wurde. Der "erste sozialistische Staat auf deutschem Boden" interessierte sich lebhaft für den Staat, der einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus beschreiten wollte. Stockholm, das zeigen auch die Erinnerungen von Markus Wolf, war ein Dorado für Spione, für Menschen, die im Kalten Krieg Kontakte zur jeweils anderen Seite aufnehmen wollten.

Doch über all das steht in Gösta A. Erikssons Buch herzlich wenig. Statt dessen finden sich weitgehend unkommentierte Notizen über Mitarbeiter schwedischer Firmen, die Geschäftsbeziehungen in die DDR unterhielten. Über den Chef des Möbelhauses IKEA berichtete ein IM, er sei "einfach gekleidet, ehrgeizig und strebsam". Über einen Radiojournalisten notierte ein Spitzel Angaben über die Größe seiner Nase und seiner bevorzugten Zigarettenmarke. "Die Stasi", sagt Gösta A. Eriksson mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung, "war eben ein fantastisch effektives Sicherheitssystem."

Josefine Janert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false