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Gesundheit: Grüße an die späteren Generationen

Vom Gruftgewölbe bis zur Flaschenpost: Was Berlins älteste Ruine von der Geschichte der Stadt erzählt

Im alten Berlin tat man gut darn, sich des Nachts beim Spazierengehen auf unbeleuchteten Straßen zu bewaffnen. Die Polizei war, wie heute auch, nicht überall, um anständige Leute vor Räubern zu schützen. Wie solche Dolche und Messer ausgesehen haben, zeigt ein Fund in einer Abfallgrube direkt vor der Ruine der Klosterkirche im Bezirk Mitte. Archäologen vom Landesdenkmalamt haben in dem Erdloch neben Ziegelsteinen, Hausrat und Resten von Bauplastik aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert auch ein Messer mit verziertem Griff freigelegt, wie man es zum eigenen Schutz und als stets griffbereites Handwerkszeug und Essbesteck bei sich trug, erklärt der Berliner Archäologe Uwe Michas.

Für ihn ist das bunt zusammengewürfelte Sammelsurium so etwas wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch. Es erzählt von einem Brand im Jahre 1712, der verschiedene Häuser an der heutigen Littenstraße hinter dem Gymnasium zum Grauen Kloster vernichtete. Bei Aufräumarbeiten hat man den Schutt einfach in Erdlöchern entsorgt und mit Sand abgedeckt.

Die wohl bedeutendsten Fundstücke der jetzt vorsichtig mit Spaten und Kelle ausgehobenen Grube sind reich mit Szenen aus der Bibel, aber auch mit Wappen und Fürstenbildnissen verzierte Ofenkacheln. Demnächst werden die farbig glasierten Scherben zusammengesetzt und restauriert, später vielleicht auch ausgestellt. Sie ergeben ein anschauliches Bild gutbürgerlicher Raumausstattung. Wer sich solche kostbaren Ofenverzierungen leisten konnte, hatte es innerhalb der brandenburg-preußischen Ständeordnung geschafft, gehörte zu den gut betuchten Handwerkern und Händlern, die in dem Klosterviertel wohnten und ihrer Arbeit nachgingen. Das Bild der Wohlhabenheit wird ergänzt durch Austernschalen und tönerne Tabakspfeifen, die man ebenfalls in der Grube gefunden hat. Auch bunt verziertes Keramikgeschirr sowie Essbesteck und andere Gegenstände von Küche und Keller deuten auf einen gehobenen Lebensstil. Weggeworfene Tierknochen und Weinflaschen können als Indizien für ausgedehnte Tafelfreuden gedeutet werden.

Die Grabungen des Landesdenkmalamtes sind Teil der Mühen um ein bei Bombenangriffen in den Jahren 1944 und 1945 zerstörtes Gotteshaus. Von dieser aus dem späten 13. Jahrhundert stammenden Perle mittelalterlicher Backsteingotik sind nur noch die Umfassungsmauern erhalten. Die sich anschließenden Gebäude, die nach der Reformation in das berühmte Gymnasium zum Grauen Kloster verwandelt wurden, wurden in der frühen DDR-Zeit abgetragen.

Ob die Klosterkirchen-Ruine je wieder ein Dach bekommt und damit vor den zerstörerischen Kräften der Witterung besser bewahrt wird, als es jetzt der Fall ist, hängt von der Finanzierung ab. Der Wille des Senats und eines Fördervereins, die Klosterkirche stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und sie in Neubaupläne für das zu den ältesten Teilen Berlins zählende Viertel einzubeziehen, ist jedenfalls vorhanden.

Archäologe Uwe Michas bereitet mit seinen Kollegen dafür den Boden, und das ist wörtlich zu nehmen. Nach dem Krieg war das vor weiterem Verfall gesicherte Kirchenschiff mit einem dicken Betonbelag versehen worden, der jetzt nach und nach abgetragen wird. Die Archäologen interessieren sich dafür, was unter diesem Estrich liegt. Suchgrabungen ergaben im ganzen Kirchenraum Reste von Gruftgewölben. Wer bis in die Barockzeit hinein in diesen gemauerten Hohlräumen bestattet wurde, gehörte zu den Spitzen der Stadt. Die Normalberliner wurden außerhalb der Klosterkirche zu Grabe getragen. Identifiziert wurden in einer dieser Grüfte bereits die sterblichen Überreste einer etwa 40-jährigen Frau, dazu kommen Metallbeschläge barocker Sarkophage.

Uwe Michas macht sich bei seinen Untersuchungen auf massive Störungen im Erdreich gefasst, die auf Bau und Schachtarbeiten im 19. und frühen 20. Jahrhundert zurückgehen. Bei der Anlage einer Fußbodenheizung in den späten 1920er-Jahren nahm man auf Bestattungen und baugeschichtlich interessante Zeugnisse keine Rücksicht. Obwohl noch sehr jung, wird das unterirdische Röhrensystem von den Archäologen vermessen, weil es zur Baugeschichte gehört. Interesse verdient eine im ehemaligen Warmluftkanal gefundene Flaschenpost, die 1929/30 ins Erdreich kam. Das erst in eine Zigarettenschachtel und dann in eine Bierflasche gelegte Papier enthält, verbunden mit einer Münze aus der Kaiserzeit, Grüße von Bauarbeitern an „die späteren Generationen“.

Zum Leidwesen der Archäologen und Bauhistoriker vom Landesdenkmalamt wurden bisher Hinweise auf einen möglichen Vorgängerbau der Klosterkirche und auf die Stadtmauer, die den Chorbereich angeschnitten haben soll, nicht gefunden.

Da aber die Suchgrabungen erst am Anfang stehen, hoffen Uwe Michas und seine Kollegen, vielleicht doch noch fündig zu werden und mehr über die Entstehung und frühe Entwicklung Berlins im 13. Jahrhundert zu erfahren. Da im Umkreis der Kirchenruine Baumaßnahmen geplant sind, darunter auch der Wiederaufbau des Gymnasiums zum Grauen Kloster, erwartet der Archäologe in den kommenden Jahren weitere Aufschlüsse über die Geschichte Berlins und seiner Bewohner.

Helmut Caspar

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