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Osteopathie: Hände auflegen statt operieren

Osteopathie, eine alternative Heilmethode, kommt auch in deutschen Großstädten immer mehr in Mode Es gibt aber Kritiker. In klinischen Studien ist ihre Wirkung nur mäßig belegt

Von Anna Sauerbrey

Das Behandlungszimmer von Jann Pierau in Prenzlauer Berg ist in freundlichem Gelb gestrichen. „Viele Patienten erleben die Osteopathie als Wunder“, sagt der Physiotherapeut und legt seine großen Hände im Schoß zusammen. „Der soeben noch gespürte Schmerz oder die Bewegungseinschränkung sind plötzlich nicht mehr vorhanden“. Als Beispiel erwähnt er eine Patientin mit Schilddrüsenunterfunktion. Ein Hausarzt würde ihr Tabletten mit dem Hormon verschreiben, das die Schilddrüse in zu geringen Mengen produziert. Das mindert Beschwerden wie Müdigkeit oder Gewichtszunahme. Jann Pierau dagegen hat die Patientin osteopathisch behandelt. Ihre Blutwerte, behauptet er zumindest, seien danach völlig in Ordnung gewesen, ganz ohne Medikamente.

Wundersame Heilung ganz ohne Operation und Medikamente ist der Traum der Alternativmedizin. Auch die Osteopathie gehört zu den alternativmedizinischen Methoden. In England, Neuseeland, den USA und im Benelux ist diese Therapieform schon bekannt und beliebt, nun mehren sich die Anzeichen, dass auch in Deutschland ein Boom zu erwarten ist. Zwei Millionen Klicks registriert der Verband der Osteopathen Deutschland (VOD) monatlich nach eigenen Angaben auf seiner Webseite. Berlin, das Rhein-Main-Gebiet und München, wo viele Besserverdienende oder Gesundheitsbewusste leben, sind schon Hochburgen der Osteopathieliebhaber. Die Berliner Gelben Seiten listen 64 Osteopathen, sowohl Ärzte mit osteopathischer Zusatzausbildung als auch Heilpraktiker oder Physiotherapeuten wie Jann Pierau. Für viele junge Eltern scheint der Gang zum Osteopathen inzwischen dazuzugehören wie die Früherkennungsuntersuchungen. Und das, obwohl die gesetzlichen Krankenkassen die Behandlung nicht tragen. Sie kann zwischen 75 und 100 Euro pro Sitzung kosten.

Doch was ist eigentlich Osteopathie? „Früher dachten die Leute, ich behandle nur Osteoporose“, erzählt Marina Fuhrmann, die den VOD 1994 gegründet hat. Heute hat er rund 2000 Mitglieder. Mit Osteoporose hat die Osteopathie aber nichts zu tun, auch wenn das griechische Wort Osteon (Knochen) im Namen steckt. Wer genau wissen will, was ein Osteopath eigentlich macht, erfährt nur schwer Konkretes. In größtmöglicher Vagheit heißt es auf der Internetseite des Verbandes: „Die Osteopathie ist eine manuelle Form der Medizin. Sie dient dem Erkennen und Behandeln von Funktionsstörungen.“ Sie sei ganzheitlich und individuell, erklärt Jann Pierau. Es war die Grundidee des amerikanischen Mediziners Andrew Taylor Still (1828–1917), der die Osteopathie erfand, dass alle Körpersysteme miteinander verbunden sind. Störungen an einer Stelle rufen Symptome anderswo hervor. Diese Funktionsstörungen ertasten und behandeln die Osteopathen mit den Händen. Wie sie das genau tun, bleibt aber auch nach längeren Gesprächen mit Osteopathen rätselhaft. Rätselhaft ist auch die Gemengelage um Titel und Bezeichnung. Eine staatliche Anerkennung ist mit den verschiedenen kursierenden Kürzeln nicht verbunden (siehe Kasten). Lediglich Hessen hat auf Initiative des VOD Ende 2008 eine Weiterbildungs- und Prüfungsordnung erlassen.

Dennoch landen immer mehr Patienten beim Osteopathen, gerade solche, die schon mehrere erfolglose Therapien der Schulmedizin hinter sich haben. „Die Patienten schwärmen von den Osteopathen“, sagt auch Helmut Mälzer, Vorsitzender des Landesverbandes der Orthopäden und Unfallchirurgen. Ein Grund: Die Osteopathie ist „Zuwendungsmedizin“. Lange Gespräche und viel Zeit für jeden Einzelnen gehören zum Konzept, Dinge, für die in Hausarztpraxen oft kein Raum ist.

Ob und wie die Methode wirkt, ist allerdings ungeklärt. Osteopathen nennen eine ganze Reihe von Übeln, bei denen sie helfen können: Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Menstruationsschmerzen, Tinnitus und Konzentrationsstörungen sind nur eine Auswahl. Klinische Studien zur Osteopathie gibt es bislang kaum. Die Studien, auf die sich der VOD beruft, wenn er für die Methode wirbt, sind Diplomarbeiten mit geringen Fallzahlen, die von Schülern der „Akademie für Osteopathie“ angefertigt wurden. Diese Akademie ist als Verein organisiert, mit Sitz in Gauting bei München. Ein Medizinstudium ist keine zwingende Voraussetzung für die Aufnahme.

Edzard Ernst sieht die Osteopathie daher eher kritisch. Der Mediziner hat an der britischen Universität von Exeter einen Lehrstuhl für Alternativmedizin inne und gemeinsam mit dem Journalisten Simon Singh ein Buch über alternative Heilmethoden veröffentlicht. Er kommt zu dem Schluss: „Bei Rückenschmerzen ist die Osteopathie gut belegt, bei anderen Symptomen fehlen schlüssige Beweise für die Wirksamkeit.“ Selbst als „unbedenklich“ könne die Osteopathie nicht bezeichnet werden. Zwar sei die Methode im Vergleich zu ähnlichen Praktiken wie der Chirotherapie eher mild. Dennoch könnten auch osteopathische Manipulationen der Wirbelsäule zu Nebenwirkungen führen.

Auch der Orthopäde Mälzer sieht in der Osteopathie kein Allheilmittel. Ergänzend zur orthopädischen Praxis allerdings funktioniert die Methode seiner Erfahrung nach gut. In jedem Fall aber raten sowohl Mälzer als auch Ernst, vor dem Besuch beim Osteopathen zunächst eine ärztliche Diagnose einzuholen. Viele Krankheiten wie Entzündungen oder Krebserkrankungen können nur mit Operationen oder Medikamenten behandelt werden. Wer bei Beschwerden erst mehrere Wochen eine osteopathische Therapie ausprobiert, verliert unter Umständen wertvolle Zeit für eine wirksamere Behandlung.

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