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Gesundheit: Hauptsache, es geht los

Attac-Aktivisten an Berlins Unis sind gegen den Irak-Krieg – und fürchten fast, dass er nicht kommt

„Anti Capitalista“ steht im Coca-Cola- Schriftzug weiß auf roten T-Shirts. Und auf dem Rücken prangt „We’re the real thing“. Die richtige Sache ist der studentische Widerstand gegen einen möglichen Irakkrieg, der mit dem Eintreffen der ersten UN-Waffeninspekteure am gestrigen Tag nun in seine heiße Phase treten soll. „Jetzt kann es jederzeit losgehen“, sagt der Politikstudent Sascha Kimpel von Attac. Ein bisschen Hoffentlich-passiert-endlich-was-Sehnsucht klingt mit. Denn wenn der Krieg nicht kommt, äußern sich einige Kriegsgegener besorgt, könnte das neue Engagement verpuffen.

Die studentischen Initiativen, die sonst auch in Berlin unter chronischen Mobilisierungsproblemen leiden, erleben derzeit ihre Hochsaison: Kriegsgegner, „Attacies“, Globalisierungskritiker und Schon-Immer-Linke verquirlen sich unter dem Eindruck von Kriegsgefahr und Kapitalismus-Ekel zu einer neuen studentischen Bewegung. Den drohenden Krieg „als kondensierten Ausdruck der Globalisierung“, sieht Sascha Kimpel als Ursache für die Mobilisierung.

Die Flugblätter diverser Herkunft, die seit Wochen mit zunehmender Tendenz und Frequenz Müllkörbe, Pinnbretter und alle horizontalen Ablagen an den Berliner Universitäten verstopfen sind ein zuverlässiges Pegelmaß gärenden Protests. Sie tragen sehr ähnliche Titel, wahlweise „Nein zu Bushs Krieg gegen Irak“ oder „Stoppt Bushs Krieg“.

Für den „Tag X“ werden spontane Demonstrationen angedroht, da will man den seit Wochen heftig protestierenden Studenten in Großbritannien, Italien und den Vereinigten Staaten in nichts nachstehen. Weiter geplant: Uni-Boykott. Seminarstreik. Hörsaal-Besetzung. Die-in, eine Variante des klassischen Sit-ins: Man stellt sich tot. Kurz: Alle bewährten Protest-Instrumente werden hervorgekramt.

Bei aller Kriegs-Erwartung soll der Protest doch friedlich sein. Mit widerstreitenden Gefühlen treten die Studenten derzeit zum Kampf „gegen die „politische Homogenisierung“: Friedensbeseelt, wohlgeordnet und gleichzeitig mit der Sehnsucht nach mehr Aufregung und „Action“. Selten nur fallen in den studentischen Prostestversammlungen auch Sätze wie: „Wir brauchen eine Revolution“. Und sie finden kaum Widerhall.

Folgt man an der Freien Universität Berlin der Spur der Flugblätter durch die Institute bis in das Foyer der Silberlaube, trifft man unweigerlich auf das regelmäßig am Dienstagabend tagende „Antikriegskomitee“. Dieses „Bündnis gegen den Krieg“ wurde vor einem Jahr von Professoren und Studierenden der FU gegründet. Ein paar Schritte weiter trifft sich der „Linksruck", ein anderes universitäres Bündnis, das sich vorrangig mit der Überwindung des Kapitalismus, aus gegebenem Anlass aber ebenfalls mit der Kriegskritik beschäftigt. Am vergangenen Freitag demonstrierten die Linksrucker mit Kommilitonen der anderen Berliner Hochschulen vor dem Bundestag – verkleidet mit weißen Anzügen und blutrot eingefärbten Händen.

In Seminaren und Vorlesungen spielt das Thema Irak allerdings kaum eine Rolle. Mit den Vorbereitungen für den „Tag X“ ist dort der „harte Kern“ der Attac-Gruppen beschäftigt. Das sind FU und Humboldt-Universität Berlin jeweils 20 bis 30 Studierende, schätzt Student Sascha Kimpel. Etwa 250 Studenten seien seit der Gründung vor einem Jahr durch die Attac-Gruppen „durchgelaufen“. Langfristig gesehen, fürchten die Aktivisten, sei dieses Interesse allerdings „eher diskontinuierlich“.

Luigi Wolf von der „Arbeitsgemeinschaft gegen den Krieg“ dagegen ist optimistisch: Bei den Aktionen gegen die Bombardierung Afghanistans vor einem Jahr haben bis zu 600 Studenten an den Veranstaltungen teilgenommen. Das will man wieder schaffen. Oder sogar noch übertreffen. „Der Irak-Krieg mobilisiert auch Leute, die sich sonst nicht so engagieren“, meint er. „Wenn es erst losgeht, machen hier an der Uni viele mit.“ Auch der 26-jährige Yaak Pabst glaubt, es werde „sehr viel Widerstand gegen den Krieg geben, wenn es losgeht“.

„Wenn es losgeht“ ist die zynisch anmutende Zauberformel der Protestbewegung. Um die Leute bei der Stange zu halten, bemühen sich die Aktivisten gleichzeitig, einen „Wir-können-etwas-tun-Geist“ zu vermitteln. Von „Geist“ hört man überhaupt viel. Das Europäische Sozialforum von Florenz wirkt nach. Yaak Pabst sagt: „Wir wollen den Spirit von Florenz in die Uni bringen.“ Er und Luigi Wolf sind zwei der etwa 25 FU-Studenten, die zusammen mit 180 Berliner Kommilitonen nach Florenz gereist sind. Vergangene Woche berichteten sie 50 Daheimgebliebenen vom Gegen-Globalisierungsgipfel, der auch ein Antikriegsgipfel war. Von „Aufbruchstimmung“ ist die Rede. Die überwiegend sehr jungen Kommilitonen lauschten gebannt.

Die meisten von ihnen waren schon auf der von der Berliner „Achse des Friedens“ organisierten Demonstration gegen einen möglichen Irak-Krieg am 26. Oktober, wo nicht nur „Kein Blut für Öl“-Plakate, sondern auch irakische, palästinensische und Hamas-Flaggen geschwenkt wurden und antiisraelische und antisemitische Parolen skandiert wurden. Dass die Kriegsgegner sich in die Nähe von islamischen Fundamentalisten stellen – dazu fällt in Attac-Kreisen kein selbstkritisches Wort. Muslimische Kriegsgegner sieht man in den Uni-Gruppen jedoch kaum. Eine der wenigen ist die Studentin Ghada, die Arabistik studiert und ein Kopftuch trägt. Auch sie war am weltweiten Protesttag vor drei Wochen dabei. Mehr will sie nicht sagen.

Juliane von Mittelstaedt

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