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Viel Idealismus brauchen Hebammen bei ihrer Arbeit.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Hebammen-Proteste: Ein teures Hobby

Früher zahlten sie 30 Euro Jahresbeitrag, jetzt 4200 Euro für die Berufshaftpflichtversicherung: Für viele Hebammen lohnt sich der Beruf nicht mehr. Wir haben eine von ihnen bei der Arbeit begleitet.

Es kam anders als geplant. Eigentlich wollte Anita Di Bianco ihr zweites Kind im Geburtshaus zur Welt bringen, doch dann ging alles ganz schnell, die Geburt fand im Wohnzimmer statt. Katharina Perreira, die Hebamme, kam um 21 Uhr in die Wohnung in Kreuzberg. Um 23.16 Uhr war die kleine Nadja da. Bei der Geburt hatte Gasper Gabrijelcic auf dem Sofa sitzend seine Frau in den Armen gehalten und gestützt. Sogar Hauskatze Vargas war dabei und hielt Wache auf der Sofalehne. Der zweijährige Julian schlief nebenan in seinem Bett.

In Berlin finden etwa vier Prozent aller Geburten nicht in der Klinik statt, weil sich die Eltern für das Geburtshaus oder eine Hausgeburt entscheiden. Im Bundesdurchschnitt sind es nur zwei Prozent. Im Oktober wurde das Recht der Frauen auf freie Wahl des Geburtsorts im Sozialgesetzbuch erfasst. Bis dahin war es nur in der Reichsversicherungsordnung von 1911 festgehalten.

Aber ob außerklinische Geburten in naher Zukunft überhaupt noch angeboten werden können, ist unklar. Seit Jahren kämpfen deutsche Hebammen für Erhöhungen ihrer Vergütung durch die Krankenkassen, weil die Beiträge für die Berufshaftpflichtversicherung drastisch gestiegen sind. Zahlte eine selbstständige Hebamme, die Geburtshilfe anbietet, 1981 noch rund 30 Euro pro Jahr, sind es heute 4200 Euro. Die für die vergangene Woche erhoffte Einigung zwischen Krankenkassen und Hebammenverbänden über eine Vergütungserhöhung wurde von der Schiedsstelle auf Ende Januar vertagt. Die Steigerung der Berufshaftpflicht geht paradoxerweise zurück auf verbesserte medizinische Verhältnisse: Aufgrund der erhöhten Lebenserwartung behinderter Kinder steigen die Zahlungen im Schadensfall, weil sie über eine längere Lebensspanne erfolgen. Die Versicherungen reagieren darauf mit höheren Prämien für die Hebammen. Zuletzt stiegen deren Beiträge im Juli um rund 500 Euro, was die Krankenkassen durch eine entsprechende Vergütungserhöhung ausglichen.

Doch das reicht nicht, für viele Hebammen lohnt sich die Arbeit in der Geburtshilfe nicht mehr. „Der Beruf ist für viele ein exorbitant teures Hobby geworden“, sagt Susanna Rinne-Wolf, Vorsitzende des Berliner Hebammenverbands. Sie kenne einige der rund 700 aktiven Berliner Hebammen, die ihren Beruf nur aus Idealismus ausüben und auf eine zweite Tätigkeit oder ein zweites Einkommen in der Familie angewiesen sind. Immer mehr Hebammen beschränken sich auf die Vor- und Nachbetreuung, so dass sie die hohe Versicherung für die Geburtshilfe nicht zahlen müssen.

Bevor sie ihre Patientin nach ihrem Befinden fragt, gießt Katharina Perreira erst einmal zwei Tassen voll mit heißem Tee. Keine zwölf Stunden nach der Geburt der kleinen Nadja ist sie wieder in ihrer Gemeinschaftspraxis „Hebammerie“ in Kreuzberg. Auf dem grünen Sofa liegt Antje Vahldieck aus Prenzlauer Berg, sie erwartet bald ihr zweites Kind. Es soll eine Hausgeburt werden. Vahldieck ist Kinderkrankenschwester auf einer Intensivstation. „Ich denke, die Hausgeburt ist weniger Stress für das Baby“, erklärt sie ihre Entscheidung. Mit Perreira hat sie jetzt rund eine Stunde Zeit, niemand wartet vor der Tür auf einen Termin. Perreira tastet den Bauch ab, misst 105 Zentimeter mit einem Maßband, prüft die Herztöne mit einem hölzernen Hörrohr und zeigt Vahldieck mit einer biegsamen Stoffpuppe, wie sich das Kind im Bauch platziert hat. Die beiden besprechen, in welcher Position Vahldieck am besten schläft, was sich nach der Geburt zum Essen eignet, ob das Baby pünktlich kommt. „Ich würde gerne mit dir Weihnachten feiern“, sagt Perreira und lacht. Der Geburtstermin ist am 25. Dezember.

Mit ihrer Gemeinschaftspraxis kommt Perreira gut über die Runden, doch sie merkt, dass sie mehr arbeiten muss als vor zwei Jahren. „Ich finde es alarmierend, dass es Frauen gibt, die händeringend nach einer Geburtshilfe suchen“, sagt Perreira. Sie ist besorgt, dass die Betreuung in Zukunft unter den veränderten Arbeitsbedingungen leiden könnte.

Auch Hebammen, die keine Geburtshilfe mehr anbieten, haben Probleme mit der Situation. „Bei den Vergütungserhöhungen wurde darauf geachtet, die Geburtshilfe zu stärken. Die Kolleginnen in der Vor- und Nachsorge sind so gut wie leer ausgegangen“, sagt Rinne-Wolf. Für Hebammen gilt ein Durchschnittslohn von etwa 7,50 Euro pro Stunde. Nach Ansicht der Hebammen ist das zu wenig, um die enorme Verantwortung, oft in ständiger Rufbereitschaft, zu rechtfertigen. Rinne-Wolf fordert eine politische Lösung, um „die Verarmung der geburtshilflichen Landschaft“ zu verhindern. Eigentlich sollte es noch in diesem Jahr einen runden Tisch mit Bundesministern, Hebammenvertretern und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung geben. Auch wenn das Treffen erst im kommenden Jahr stattfinden sollte, hegt sie Hoffnungen, dass es endlich zu einer Lösung führt.

Auch Melanie Tack darf das Baby in Antje Vahldiecks Bauch ertasten. Die 22-Jährige befindet sich in der Ausbildung zur Hebamme. Gerade begleitet sie Katharina Perreira bei der Arbeit. Manchmal wird Tack ein wenig nervös, wenn sie an ihre Zukunft denkt. „Ich habe keine Angst, nicht über die Runden zu kommen, aber dass die enorme Verantwortung nicht honoriert wird, finde ich falsch“, sagt sie.

Wenig später sind Tack und Perreira zurück bei der Familie, die in der Nacht Zuwachs bekommen hat. Katharina Perreira setzt sich zu Vater und Mutter aufs Bett und spricht mit beiden detailliert die Ereignisse der Nacht durch. Der Redebedarf ist eindeutig. „Eine Geburt muss gut aufgearbeitet werden“, sagt Susanna Rinne-Wolf. Hebammen geben oft auf eigene Rechnung, was im Krankenhaus meist fehlt: Zeit. Katharina Perreira will nach rund 300 Geburten auch in Zukunft ihre Arbeit nicht aufgeben. Das zumindest ist sicher.

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