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Die Charité in Berlin

© dpa

Hilfe gegen das Kriegstrauma: Charité bildet Therapeuten für syrische Kriegsflüchtlinge aus

Angesichts der aktuellen Krisenherde könnte man fast vergessen, dass die Kämpfe in Syrien schon seit drei Jahren auch psychische Verheerungen anrichten. Ein Charité-Projekt bildet Therapeuten aus, um Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Denn Depressionen sind fast überall immer noch ein Tabu.

Durch eine Bombe wurde ihre Existenz fast zerstört: Die Frau, deren Tragödie für viele Schicksale steht, bleibt hier anonym. Weil sie als Patientin der Diskretion unterliegt, weil ihre Krankheit von ihrer Umgebung kaum ernst genommen wird. Ihr Mann starb bei der Detonation. Die drei Kinder wurden verletzt. Sie wohnt in einem Lager. Schlafstörungen. Übernervosität. Die Kinder kann sie kaum versorgen. Selbstmordgedanken wird sie nicht los.

Dreißig Prozent der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge, von denen eine Million im Nachbarland bei 6,5 Millionen Jordaniern Zuflucht finden, leiden nach Aussage von Hilfsorganisationen an schweren emotionalen Störungen, Depressionen, Angstzuständen. „Epidemische psychische Krankheiten“ (New York Times) befürchten NGO-Gesundheitsexperten. UN-Beobachter erwarten eine „Generation traumatisierter, isolierter und leidender Kinder“.

Was der Seele im Krieg widerfährt, ist noch nicht gut genug erforscht

Der Leiter eines Zentrums für Folteropfer berichtet aus Grenzgebieten: Hunderttausende seien dort unmittelbar hilfsbedürftig aufgrund psychischer Not. Doch die Behörden des Königreiches stellt der Massenzustrom vor andere Prioritäten. Das für 60.000 Personen angelegte Flüchtlingslager Zaatari, wo 2012 noch 500 Zelte standen, beherbergt inzwischen 150.000 Vertriebene, Jordaniens viertgrößte Stadt! Dem Gesundheitsministerium in Amman geht es vordringlich um Unterkunft, Ernährung, Polio-Prävention, zumal Depression für orientalische Gesellschaften kein anerkanntes Thema ist. Und doch, sagt Malek Bajbouj, zählen all jene, die künftig aufgrund dieser psychiatrischen Störungen Selbstmord begehen, als Kriegstote. „Langfristig liegt in solchen Erkrankungen das Haupthindernis für eine Versöhnung nach dem Bürgerkrieg.“

Malek Bajbouj ist Professor an der Klinik für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie der Charité. In seinem Büro an der Charlottenburger Eschenallee koordiniert er ein poetisch benanntes Projekt namens „Balsam“, das eigentlich „Charité Help 4 Syria“ heißt und die Behandlung psychischer Gesundheitsprobleme von syrischen Flüchtlingen in Jordanien ermöglicht. Als wir den 43-Jährigen zum Gespräch aufstöbern, tauscht er sich gerade per Video mit finnischen Ärzten über die Anwendung eines neuen Psychopharmakons aus. Seine Vorbereitung für „Charite Help 4 Syria“ begann vor einem Jahr: Da stellte das Auswärtige Amt der humanitären Organisation „HELP. Hilfe zur Selbsthilfe e. V.“ Mittel bereit, um mit einem Charité-Team in Jordanien aktiv zu werden. Was „der Seele“ im Krieg widerfährt, ist ein relativ junges Feld therapeutischer Forschung, das im Vietnamkrieg entdeckt und verstärkt in den letzten zwei Jahrzehnten untersucht wurde. Für „Balsam“ kam die Initialzündung aus dem Bedauern darüber, „dass wir Hilfe nur den wenigen anbieten, die es nach Deutschland geschafft haben“, sagt Malek Bajbouj. Auf der HELP-Homepage wird erwähnt, es gebe dort in der Region „noch viele Vorurteile gegenüber einer psychiatrischen Behandlung“. Deshalb soll eine Aufklärungskampagne die Hemmschwelle unter Flüchtlingen senken. Das Außenministerium erwartet von den Projektpartnern, dass sie sich mit ähnlichen Initiativen der zahlreichen vor Ort agierenden NGO abstimmen.

Im Orient werden Depressive stärker stigmatisiert als in Deutschland

In Berlin hatte Malek Bajbouj zunächst sein Kern-Team für „Balsam“ zusammengestellt, eine Fünfergruppe, die unter Beteiligung jordanischer Kollegen auf zehn anwachsen soll: Psychiater syrischer, eine Psychologin libanesischer Herkunft, deutsche Psychotherapeuten. Die Berliner begannen über Schulungen, jordanische Ärzte und Psychologen in Amman als Traumatherapeuten auszubilden. Seit sieben Woche behandeln diese nun wiederum, an fünf Orten in Häusern des Gesundheitsministeriums, syrische Patienten. 100 waren es bisher, bis Ende sollen es 2000 sein.

Malek Bajboujs Eltern stammen aus Syrien, er selbst wurde in Mainz geboren, studierte dort und in Frankfurt, Zürich, New York. „Bei wichtigen Dingen des Lebens spielt Zufall eine große Rolle,“ sagt der Spezialist für Affektive Neurowissenschaften und Emotionsmodulation. Promoviert hätte er seinerzeit fast über die „künstliche Bauchspeicheldrüse“, dann habe ihn zunehmend Neurologie, Neurochirurgie, Psychiatrie fasziniert.

Menschen aus verschiedenen Kulturen reagieren unterschiedlich auf traumatische Ereignisse

Während eines psychiatrischen Jahres auf der Neurologie fand er Gefallen an den komplexen offenen Fragen des Gebietes. Sein Kompetenzschwerpunkt, mit dem er das interdisziplinäre FU-Forschungszentrum „Languages of Emotions“ unterstützt hat, betrifft die „integrierte Behandlung von Depressionen und anderen emotionalen Störungen“. Dabei sollen Grenzen zwischen Psychotherapie, Medikamentenbehandlung und „neuromodulatorischen Verfahren“ aufgehoben werden – worunter man die Beeinflussung der Hirnfunktion von außen etwa durch Magnetstimulation versteht. Ein Stimulatoreingriff kostet bis zu 40.000 Euro: High-End-Medizin, wie sie für das Projekt in Amman nicht finanzierbar scheint. „Aber wir lernen aus solchen Forschungen viel, auch für die Kollegen in Jordanien.“

Bei der Vorbereitung hatten außerdem Kulturwissenschaftler und Ethnologen den Medizinern geholfen, die Frage zu beantworten, wie Menschen im Nahen Osten auf traumatische Ereignisse reagieren. Dass da kulturelle Unterschiede ins Gewicht fallen, ist dem Deutsch-Syrer Bajbouj präsent. Er lächelt etwas über das andere Tempo seiner finnischen Kollegen, mit denen er eben konferierte – und verweist bei der Frage nach angeblich im Norden stärker verbreiteten Depressionen vor allem auf das fürsorgliche skandinavische Gesundheitssystem. Schon beim „Scannen“ der Bevölkerung finde man dort mehr Fälle als in Deutschland erfasst würden. Schwellenwerte für Stress seien allerdings nicht objektivierbar, sondern kulturell und individuell unterschiedlich determiniert.

In Berlin wiederum begegnet Bajbouj bei seinen Studenten der verdrucksten Frage, aufgrund welchen Schmerzes eine Depression statthaft sei. Ob ihnen ihre Musik oder ihr Motorrad wichtiger sei, hat er gefragt. Und erlebte, wie Stress-Befürchtungen für den Verlustfall auf der Skala von null bis hundert emporschnellen. In Europa zeige sich ein Depressiver niedergeschlagen. Im Orient, wo die Krankheit stärker stigmatisiert werde, führe sie eher zu versteckten, körperlichen Symptomen wie Bauchschmerzen.

Die Frau ohne Namen wird jetzt in der „Balsam“-Sprechstunde mit Medikamenten und psychotherapeutisch behandelt. Parallel erfolgt eine Supervision der Therapeuten durch das Charité-Team, über weiteres Extra-Training in Jordanien, per Videokonferenz und Datenaustausch. „Jeder Patient dort wird hier von uns besprochen“, erklärt Bajbouj. Patienten würden in keinem Fall am Bildschirm therapiert, auch per E-Mail könne man nicht empathisch sein. „Das habe ich bei ,Languages of Emotions‘ gelernt,“ sagt Bajbouj, „unsere Empathie geht vor allem über die Stimme.“

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