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Gesundheit: Hitlers Diplomaten

Wie soll das Außenamt seine NS-Geschichte aufarbeiten? Historiker plädieren dafür, alle Akten offenzulegen

Die Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes (AA) steht offenbar kurz bevor. Damit ist das Außenamt, 54 Jahre nach seiner Wiedergründung in der Bundesrepublik, eine der letzten Großinstitutionen, die sich ihrer Rolle in der Nazi-Zeit bewusst werden sollen, wollen, müssen. Angeheizt von öffentlichen Debatten ist eine wissenschaftliche Kommission fast beschlossene Sache. Aus Rücksicht auf seine Mitarbeiter will Bundesaußenminister Joschka Fischer jedoch noch auf ein Votum der Personalversammlung am kommenden Montag warten, wie aus Ministeriumskreisen zu erfahren ist.

In der Führung des Ministeriums geht man davon aus, dass der Vorschlag, die Aufarbeitung der eigenen Geschichte unabhängigen Wissenschaftlern zu überlassen, breite Zustimmung im Amt finden wird. „Entscheiden wird der Minister, aber lieber mit dem eigenen Haus als gegen es“, heißt es. Wie die Historikerkommission aussehen und welche Fragen sie beantworten soll, werde man nach der Personalversammlung festlegen.

Entzündet hatte sich der Streit um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit an der Ehrung eines Ex-Diplomaten, der an Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der ehemaligen Tschechoslowakei beteiligt gewesen war. In der AA-Mitarbeiterzeitung „internAA“ war ein Nachruf auf ihn erschienen. Darin wurde von einem „ehrenden Andenken“ gesprochen. Nachdem Fischer von der NS-Vergangenheit des Mitarbeiters erfahren hatte, entschied er, fortan auf das ehrende Andenken zu verzichten. Stattdessen weist „internAA“ nun nur noch nachrichtlich auf den Tod von Ex-Diplomaten hin.

Mit dieser Entscheidung hatte Fischer den Zorn einiger aktiver und vieler ehemaliger Diplomaten auf sich gezogen. Besonders die gerade aus dem Dienst geschiedenen Botschafter, die der betroffenen Generation mit NS-Vergangenheit noch persönlich verbunden war, hatte scharf gegen Fischers Anweisung protestiert. Die Zustimmung für den durch die Visa-Affäre schwer angeschlagenen Außenminister in seinem eigenen Haus schwand fortan beständig. Nun ist Fischer offenbar bestrebt, bei der Aufarbeitung der NS-Vorgeschichte seines Amts sensibel vorzugehen.

Die zentralen Fragen, die sich eine Kommission stellen müsste, gelten unter Zeithistorikern als ausgemacht: Welches Ausmaß hatte die Verstrickung des AA-Personals in die Vernichtungspolitik des NS-Regimes? Und wie weit ging die personelle Kontinuität in der Bundesrepublik?

Der Zeithistoriker Ludolf Herbst von der Humboldt-Universität unterscheidet in der Sache der Aufarbeitung vier Aspekte: Wie war das AA an der aggressiven Außenpolitik Hitlers beteiligt, die sich etwa in der Zerschlagung der Tschechoslowakei geäußert hatte? Welchen Anteil hatte das AA an Grundsatzentscheidungen über den Krieg und damit am Bruch völkerrechtlicher Verträge, also etwa dem Angriff auf Polen? Wie war das Auswärtige Amt in die Judenverfolgung involviert? Welche Rolle spielten die Diplomaten bei der Ausbeutung anderer Völker?

Herbst gilt in Historikerkreisen als ausgewiesener Experte für die NS-Zeit. In den 80er-Jahren leitete er das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München. Dort organisierte er einige Großprojekte zur Aufarbeitung der NS-Zeit. Zuletzt arbeitete er mit einem Doktoranden-Team die Vergangenheit der Commerzbank auf.

Dem Vernehmen nach will das Auswärtige Amt die Überprüfung einzelner Personen vermeiden. Es solle aufgeklärt werden, „inwiefern das Amt als Struktur“ an NS-Verbrechen beteiligt war, heißt es aus Ministeriumskreisen. Nach Ansicht von Herbst wird sich die Einzelfallprüfung jedoch nicht vermeiden lassen. Der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler sagt, eine Historiker-Kommission mache nur Sinn, wenn die Akten vollständig offen gelegt werden.

Methodisch wäre die Aufarbeitung für die Wissenschaftler Routine. „Das Material im Auswärtigen Amt ist gut sortiert und wir müssten es nicht erst zusammentragen“, sagt Herbst. Im Unterschied zu anderen öffentlichen Stellen, deren Akten im Bundesarchiv aufbewahrt werden, hat das AA ein eigenes politisches Archiv. Voraussetzung für die Arbeit darin sind profunde Kenntnisse der NS-Zeit, um die AA-Akten in ihrem zeitlichen Kontext verstehen zu können.

Bei der Besetzung der Historiker-Kommission hat der Außenminister einigen Gestaltungsspielraum. Üblich bei solchen Projekten sei, dass die betroffene Institution einige „ehrwürdige Professoren“ anwerbe, die als „Galionsfiguren“ in Erscheinung träten, erklärt Herbst. Doktoranden und junge Wissenschaftler, die sich unter Aufsicht der Koryphäen dem Aktenstudium widmen, könnten diese unterstützen. Als Galionsfiguren eines solchen Projekts kämen einige ausgewiesene deutsche, aber auch ausländische Experten in Frage, etwa aus den USA und Israel.

Unter Historikern gilt die Aufarbeitung der NS-Geschichte des AA als attraktives Forschungsprojekt. Als Mitglieder der Kommission werden unter anderem Ludolf Herbst, Norbert Frei (Jena), Hans-Jürgen Döscher (Osnabrück) und Ulrich Herbert (Freiburg) gehandelt.

Ein weiterer Aspekt, den eine Kommission untersuchen müsste, ist die Frage, warum sich das Amt bisher um eine Aufarbeitung drückte und sich über Jahre als „Hort der Opposition“ gegen die NS-Vernichtungspolitik darstellte, wie ein Historiker erklärt. Dabei hatte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss bereits in den 50er-Jahren festgestellt, dass es im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Diplomaten gab, die in NS-Verbrechen involviert waren und nach dem Krieg dennoch weiterbeschäftigt wurden.

Jan-Oliver Schütz

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