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HIV-Infizierte leben länger dank besserer Therapie – aber nicht unbedingt sorgenfrei.

© dpa

HIV-Infizierte: Mehr Zeit zum Leben

HIV-Infektion war bis in die 1990er Jahre hinein ein Todesurteil. Doch mit den lebensrettenden Therapien kommen heute neue Probleme.

Rund 80 000 Menschen leben in Deutschland nach Angaben des Robert-Koch-Instituts mit einer HIV-Infektion. Jeder sechste weiß (noch) nichts davon, dass er sich mit dem Virus angesteckt hat. Ein Test kann Leben retten.

HIV-positiv zu sein, war bis in die 1990er Jahre hinein ein Todesurteil. 55 von 200 Infizierten starben innerhalb eines Jahres, wenn die Immunschwächekrankheit Aids einmal ausgebrochen war. „Wer vor 20 Jahren von Wohnprojekten für Menschen mit HIV und Aids sprach, meinte damit Hospize“, sagt Ulrich Heide, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Aids-Stiftung.

Im Jahr 1996 wurde die antiretrovirale Therapie weiter verfeinert. Sie kann immer noch nicht heilen, doch dank des Medikamenten-Cocktails ist HIV zu einer chronischen Krankheit geworden. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist gestiegen: Ein 20-Jähriger, der heute mit der optimal angepassten Therapie beginnt, kann etwa 70 Jahre alt werden. Wohnprojekte dienen vor allem dazu, Infizierte mit sozialen Schwierigkeiten ein bis zwei Jahre aufzufangen, damit sie danach selbstständig leben können.

Für die meisten Menschen, die jetzt von ihrer Infektion erfahren, werden sich „ganz normale“ Fragen stellen, deren Beantwortung durch die Infektion allerdings ein bisschen komplizierter ist als üblich: Fragen nach HIV-Schutz in der Partnerschaft, nach der Erfüllbarkeit eines Kinderwunschs, nach dem richtigen Beruf. Zwei Drittel aller Infizierten sind erwerbstätig. „Verbotene“ Berufe gibt es dabei so gut wie keine: Nur Chirurgen, die invasive Tätigkeiten ausüben, dürfen nicht HIV-positiv sein, und bei Piloten ist es strittig.

Ansonsten ist heute klar: Auch in der Gastronomie oder im Kindergarten kann man mit HIV arbeiten, ohne andere Menschen zu gefährden. In gemeinsamen Kampagnen mit staatlichen Stellen haben die Deutsche Aids-Stiftung und die Deutsche Aidshilfe zusammen mit Betroffenen eine Menge dafür getan, um dieses Wissen zu verbreiten.

Mit den lebensrettenden Therapien kamen allerdings neue Probleme: Zunächst Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schlappheit, Schlafstörungen und auch Veränderungen im Aussehen durch andere Muster der Fettverteilung, die den Behandelten mehr oder weniger stark zusetzen. Zwar werden die Therapien auch in dieser Hinsicht immer besser, und auch deren unerwünschte Folgen können heute wirkungsvoller bekämpft werden. Doch gerade auf dem Land fehlen meist die Ärzte, die über das nötige Spezialwissen verfügen. Im nordrhein-westfälischen Kreis Borken stellt die Deutsche Aids-Stiftung deshalb Mittel zur Verfügung, um die Patienten zum Uniklinikum nach Münster zu bringen.

Auf die Dauer stellen sich wohl auch Langzeitfolgen der Therapie ein: Sie führt vermehrt und früher als gewöhnlich zu Herzinfarkten, Schlaganfällen, Problemen mit Nieren und Leber, neurologischen Leiden, aber auch zu Knochenschwund (Osteoporose). Einige HIV-Infizierte werden deshalb früh pflegebedürftig. „Es gibt Fälle von 50-Jährigen, die natürlich nicht in ein normales Altersheim passen“, sagt Ulrich Heide. Für die Aids-Stiftung stellt sich damit eine neue Aufgabe: Wohnprojekte zu unterstützen, in denen Menschen mit solchen Folgekrankheiten angemessen gepflegt werden – und würdevoll sterben dürfen. Adelheid Müller-Lissner

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