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Gesundheit: Humboldt, heiter

Christoph Markschies, Präsidentenkandidat, will einen neuen Leitungsstil für die Universität

Sein Zauberwort? „Gemeinsam“ heißt es. Kein Begriff kam Christoph Markschies häufiger über die Lippen, als er sich am Dienstag dem Wahlgremium der Humboldt-Universität vorstellte. „Gemeinsam“ soll die Hochschule über ihre Profilbildung entscheiden, „gemeinsam“ soll sie die Lasten schultern. Und „gemeinsam, g e m e i n s a m!“, wie der einzige Kandidat für die Wahl zum Präsidenten betonte, bestimmen, wie die Humboldt-Uni sich zu ihrem 200. Geburtstag im Jahr 2010 präsentieren will. Markschies weiß, wo der Uni der Schuh drückt. Manche Mitarbeiter oder Studierenden fühlten sich in der Vergangenheit von Präsident Mlynek manchmal überfahren oder gar gutsherrlich bevormundet.

Günter Stock, Vorstandsmitglied bei Schering und im Kuratorium der Humboldt-Universität, hat den evangelischen Theologen einen „Brückenbauer“ genannt, einen Pontifex. Dass Markschies, Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität, sich gut dazu eignet, Gräben zu überwinden und die Identifikation mit der Uni zu stärken, ist ihm abzunehmen. Der gerade erst 43 Jahre alt gewordene evangelische Theologe, der mit sanfter Stimme spricht, will nicht autoritär führen, sondern modern: kommunikativ und im Team. Deshalb braucht er auch keine Entmachtung der Gremien, etwa nach Art der Reformuni Darmstadt: Ein Präsident, der sich der Gremien entledigen wolle, müsse wohl „närrisch“ sein und seinen Beratungsbedarf nicht kennen, sagte Markschies.

Wird Markschies ein Kuschelpräsident? Sollten Uni-Mitglieder Markschies wegen seiner fehlenden Leitungserfahrung skeptisch gegenüber gestanden haben, wurden sie am Dienstag eines Besseren belehrt. In seinem nur 15-minütigen Einführungsstatement brannte Markschies ein Feuerwerk an Vorstellungen für die Zukunft ab. Wenn er auch nicht „als Solist auf der Kommandobrücke“ des Schiffes stehen will, weiß er doch, wohin die Reise geht.

Neben den Kulturwissenschaften in Berlin-Mitte und den Naturwissenschaften in Adlershof will er zusammen mit der Charité auf den Campus Nord eine dritte Säule stellen, die schon Jürgen Mlynek geplant hatte: die Lebenswissenschaften. Doch Markschies schwebt etwas Neuartiges vor. Die Lebenswissenschaften sollen an der HU „Integrationswissenschaften“ sein, zu denen etwa Philosophie oder Theologie selbstverständlich gehören. Den Zusammenhalt mit dem Campus Adlershof will Markschies stärken, indem Gremiensitzungen auch dort abgehalten werden. Um den „kaum erträglichen Zustand“ mancher Gebäude zu verbessern, will er nach dem Vorbild der Mannheimer Uni eine Aktion „Bürger, rettet eure Hörsäle“ starten. Um „neue Kreise zu begeistern“, natürlich auch Sponsoren, soll die Universität ein „Schaufenster der Wissenschaft“ bekommen. In Ausstellungen soll sie der Öffentlichkeit immer neue Einblicke in ihre Forschung geben. Die HU sieht Markschies, der auch Vertreter der DFG bei der European Science Foundation ist, mittelfristig als Teil eines zu schaffenden Netzwerkes bedeutender Reformuniversitäten Europas, das den USA Paroli bieten kann.

Andere seiner Pläne gehören zum Mainstream. Das Gebäudemanagement will sich die Uni nicht vom Senat wegnehmen lassen. Dem Senat schlägt Markschies vor, der Uni zu ihrem 200. Geburtstag das alleinige Berufungsrecht für Professoren „zu schenken“. Wenigstens einige der Juniorprofessoren sollen auf Dauerstellen berufen werden. Markschies will Mittel stärker nach Leistung verteilen und ein Evaluationssystem aufbauen. Exzellente Forschung soll sich unmittelbar auf die Lehre durchschlagen. Bei der Umstellung auf Bachelor und Master will Markschies „nicht durch überhastete Reformen Chaos auslösen“, wie er den „lieben Damen und Herren und verehrten Studierenden“ erklärte. Diese honorierten seine Gedanken mit Applaus – und bohrten nach.

Wie wird die Uni mit der auf sie zurollenden Studentenwelle umgehen?, wollte der Germanist Werner Röcke wissen. Es sei „unerträglich“, dass man davon erst aus der Zeitung erfahren habe, sagte Markschies. Eine Tagesspiegel-Recherche hatte ergeben, dass die Kultusminister die um mehrere hunderttausend Studierenden ansteigenden Zahlen ein halbes Jahr geheim gehalten haben. Markschies sagte, die Universität müsse sich wappnen, indem sie „morgen mit der Planung anfange“. Dabei werde man auch auf Erfahrungen von Professoren in den siebziger Jahren zurückgreifen.

Ob Markschies etwa davon ausgehe, dass die Uni-Medizin „auf Ewigkeit“ auch der Freien Universität gehöre, wollte eine Mitarbeiterin der Charité wissen. Schließlich sei die medizinische Fakultät der HU viel älter als die der FU. Ein Theologe stelle sich die Ewigkeit, also das Paradies, sicher anders vor als mit gemeinsamen Großgremien, sagte Markschies. Man werde jedenfalls beobachten, ob sich die Konstruktion, die der Gesetzgeber wünsche, bewähren wird. Im Übrigen solle das Verhältnis zur FU in Zukunft durch eine „elegante Konkurrenz, nicht durch Brachialgewalt“ geprägt sein. „Warum soll man den Wettbewerb nicht auf heitere, spielerische Weise betreiben?“, fragte Markschies.

Eins ist nach der Anhörung gewiss. Sollte der Kandidat am 1. November tatsächlich von der Humboldt-Uni gewählt werden, wird von hier ein Signal mit bundesweiter Strahlkraft ausgehen: Ausgerechnet die altehrwürdige Mutter aller Universitäten wagt es, sich ein neues Image zu geben. Anstatt sich wie viele andere Hochschulen dem Typus der grauen Eminenz anzuvertrauen, setzt sie auf den Stil und die Ideen eines nach akademischen Gepflogenheiten jugendlichen Leitungsteams – auch die gerade erst gewählte Vizepräsidentin ist kaum über vierzig. Mit einem solchen Bekenntnis zum akademischen Nachwuchs hätte die Universität neue Maßstäbe gesetzt. Gemeinsam, natürlich.

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