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Gesundheit: "Ich spreche lieber von Neuaufbau als von Wiederaufbau" - Michael Daxner im Interview

Der UNO-Beauftragte will, dass die Hochschule zu einem Ort wird, an dem Veränderungen diskutiert werden könnenMichael Daxner (52) ist seit Februar dieses Jahres bei der UNO-Verwaltung im Kosovo, UNMIK, für das Hochschulwesen zuständig. Daxner war vorher zwölf Jahre lang Präsident der Oldenburger Universität Carl von Ossietzky und lehrte als Professor für Soziologie und jüdische Studien.

Der UNO-Beauftragte will, dass die Hochschule zu einem Ort wird, an dem Veränderungen diskutiert werden können

Michael Daxner (52) ist seit Februar dieses Jahres bei der UNO-Verwaltung im Kosovo, UNMIK, für das Hochschulwesen zuständig. Daxner war vorher zwölf Jahre lang Präsident der Oldenburger Universität Carl von Ossietzky und lehrte als Professor für Soziologie und jüdische Studien. Außerdem ist der Wissenschaftler Vorstandsmitglied der Europäischen Rektorenkonferenz und des Hochschulausschusses im Europarat sowie Sprecher der Grünen Akademie der Heinrich-Böll-Stiftung. Im Juli des vergangenen Jahres wurde Michael Daxner mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Mit dem Wissenschaftler sprach Mathilda Jorda.

Herr Professor Daxner, mit welchen Gefühlen gehen Sie ins Kosovo?

Mit sehr wenig. Es hat sehr wenig von Abenteuer und wenig von einer Herausforderung. Es wird eine harte Arbeit, aber ich weiß ziemlich genau, welche Probleme, welche Schwierigkeiten auf mich zukommen. Das bequeme Leben eines deutschen Professors, der in vielen Kommissionen sitzt, seine Veranstaltungen macht und Bücher schreibt, ist jetzt vorbei. Ich glaube, dass es nicht schadet, sich auf die Wirklichkeit in Pristina einzulassen. Dort sieht man, was alles in Europa falsch läuft.

Wo wollen Sie anfangen?

Ich kenne schon eine Reihe von Menschen in der Universität und außerhalb, muss aber noch viel mehr kennen lernen und meine eigene Verwaltung so schnell wie möglich organisieren. Ich muss schauen, wer in der Universität da ist, wer arbeitet, wer arbeiten möchte und nicht kann, wer kann und nicht will. Der erste Schritt wird sein, die jetzigen Strukturen zu durchleuchten und der Universität so schnell wie möglich eine vernünftige Verfassung zu geben.

Sie waren zweimal im Kosovo nach dem Ende des Krieges. Wie ist die Lage der Universität in Pristina?

Sie ist sehr kompliziert aufgebaut: ein Zentralcampus in Pristina und acht Außenstellen, von denen sieben technische Fachoberschulen - so würde ich das nennen - sind, über das ganze Land verteilt. In den meisten Hochschulen sind zur Zeit fast nur albanische Kosovaren. In Mitrovica ist der Campus geteilt, das ist ein politischer Brennpunkt. Im Nordcampus sind überwiegend Serben, im Südcampus Albaner. Die Universität schwankt zur Zeit zwischen verschiedenen jugoslawischen und serbischen Gesetzen, die alle nichts taugen für eine moderne Universität. Sie stehen inhaltlich zum Teil im Widerspruch zu dem, was die Aufgabe der UNO ist: nämlich eine wirklich zivile Verwaltung zu schaffen. Zivil heißt für eine Universität, Autonomie zu haben, aber auch eine gewisse Verantwortlichkeit gegenüber dem Gemeinwesen. Wer erteilt ein Zertifikat für einen Doktor oder für einen Rechtsanwalt oder für einen Juristen, der Richter werden will? Dann natürlich die Finanzfrage. Wer bekommt welchen Vertrag, wie hoch wird er bezahlt? Eine ganz delikate Sache. Was als das Dringendste angesehen wird, sehe ich nicht als so dringend: den Wiederaufbau von Fakultäten und Fachbereichen. Da muss erst die neue Struktur her. Wir müssen das Lehrerausbildungsprofil schärfen und die technische Ausbildung, wir müssen das, was in Deutschland Fachhochschulen sind, in die Uni integrieren und keine extra Fachhochschulen gründen.

Wer unterrichtet jetzt dort?

Überwiegend albanische Kosovaren natürlich. Sie sind aus dem Untergrund zurückgekommen, aber sie haben zum Teil eine Struktur übernommen, die serbisch war. Sie war sowieso renovierungsbedürftig, und da ist ja auch eine Chance.

Gibt es denn Studierende? Oder sind sie in alle Winde zerstreut?

Nein, es gibt Studenten, besonders die jüngeren Semester. Man muss ein Stipendiensystem einführen, Heime bauen. Also sagen wir, wir haben 20 000 Studenten und Sie können 3000 dazuzählen oder 3000 abzählen. Die Statistiken sind noch nicht so toll.

Wurde die Universität Pristina im Krieg auch zerstört oder geplündert?

Na ja, sie war auch früher nicht gerade ein Zentrum von Wohlstand und Überfluss. Sie hat natürlich durch den Krieg gelitten und durch den Vandalismus am Ende des Krieges. Das heißt aber nicht: Beseitigung der Kriegsschäden und dann weiter so - das wird es nicht geben. Ich spreche lieber von Neuaufbau als von Wiederaufbau.

Und wer finanziert das?

Wir haben viele Zusagen, Geld aus verschiedenen Töpfen zu bekommen. Das läuft bei uns zusammen und wird dann verteilt. Mittel über den Stabilitätspakt, große EU-Beiträge, auch rein nationale Organisationen, dazu viele Nichtregierungsorganisationen.

Ihre neue Aufgabe ist aber mit der bisherigen Tätigkeit als Präsident einer deutschen Uni wenig vergleichbar.

Das ist auch gut so.

Was für Erfahrungen nehmen Sie mit?

Nun, ich glaube, dass ich diese Gegend der Welt gut kenne und dass ich sie mag. Ich glaube, dass ich mich in der Politik und besonders in ihrer kulturellen Komponente gut auskenne. Ich sage immer: Hochschulen sind das Vorfeld der Diplomatie.

Was haben Sie sich vorgenommen?

Dass ich nach ungefähr zwei Jahren sagen kann: Die Universität kann aus allen für die Region vorgesehenen Programmen der Europäischen Union Bewilligungen beziehen. Sie kann sogar Modell für die Region sein. Ich denke, isoliert kann keine Universität überleben, auch nicht Pristina. Sie wird mit Tetovo, Montenegro, den albanischen Universitäten im engeren Sinne und dann im weiteren Sinne mit Universitäten in Bulgarien, Griechenland, Kroatien kooperieren. Man kann jedoch Menschen mit so traumatisierten Schicksalen nicht einfach an den Runden Tisch setzen und sagen: Seid lieb zueinander! Für uns ist es das Wichtigste, zunächst einen kalten Frieden zu befestigen: Nicht nur, dass man nicht aufeinander schießt, sondern dass man akzeptiert, dass der Andere anders ist.

Wozu braucht das Kosovo jetzt ein Hochschulwesen?

Das hört man immer. Wenn es nur um das Kosovo ginge, dann würde ich sagen, es gibt andere Prioritäten. Aber die Universität, die auch im alten Jugoslawien die dritt- oder viertgrößte war, muss doch in die ganze Region ausstrahlen. Die Zusammenarbeit mit den Universitäten in der ganzen Umgebung ist einer der Kristallisationspunkte der neuen Zivilgesellschaft. Sie finden in Pristina nicht so viele Orte, wo man intellektuell diskutieren kann. Und viele Menschen haben kein Geld, den ganzen Tag im Kaffeehaus zu sitzen. Die Universität ist als hochrangiges akademisches Kaffeehaus zum Andiskutieren von Veränderung in einer Nachkriegsgesellschaft sehr wichtig.

Wenn ich eine junge Kosovarin wäre, würde ich mir überlegen, ob es sich lohnt, fünf Jahre zu studieren und danach arbeitslos zu sein.

Wir schauen, dass wir die Ausbildung so verändern, dass sich die Studierenden ein bisschen damit beschäftigen, wie man selbst einen Arbeitsmarkt schafft. Wenn alle emigrieren, dann hat sich überhaupt kein Konflikt gelohnt, dann ist das Land leer.Das Interview führte Mathilda Jordanova-Duda.

Herr Professor Daxner[mit welchen Gefühlen g]

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