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Gesundheit: Im Gefühl der Machtlosigkeit

Unter dem Eindruck des drohenden Krieges: der Weltkongress der Orientalisten

Von Martina Sabra

Da steht der Mann im Stadttheater von Mainz, zerbrechlich geworden, aber elegant und würdevoll wie eh und je. Das Sakko und die Hosen sind ihm viel zu weit, nachdem eine chronische Krankheit in den vergangenen Monaten wieder zugeschlagen hat. Doch die klugen, runden Knopfaugen unter der grauen Haarmähne funkeln ungebrochen, eine Mischung aus Schalk und leidenschaftlicher Skepsis.

Edward Said, der New Yorker Literaturwissenschaftler palästinensischer Abstammung: in den 80er-Jahren verschlangen die Studierenden der Islamwissenschaft sein Hauptwerk „Orientalismus“, die Kritik an der europäischen Sicht auf den Orient, und drängten ihre Professoren, Seminare dazu anzubieten. Nun wurde Said anlässlich des Weltkongresses für Orientalistik in Mainz für seinen Beitrag zur Entwicklung der Nah- und Mittelost-Studien ausgezeichnet. Das Publikum, Fachleute in Sachen Orient und Islam aus der ganzen Welt, überschüttete den 67-Jährigen förmlich mit Applaus und Sympathie. Saids integre Persönlichkeit, seine akademische Leistung und sein politisches und kulturelles Engagement für die Koexistenz von Israelis und Palästinensern wurden hier gewürdigt.

Die Kräfte bündeln

Doch bei aller Begeisterung schwang auch Unruhe mit. Der intensive, langandauernde Applaus klang so, als wollten die Intellektuellen ihr Gefühl der Machtlosigkeit betäuben. Mit der einzigen verbliebenen Weltmacht USA und der Aussicht auf Krieg wachsen die Feindbilder: im Westen das Feinbild Islam, in der arabisch-islamischen Welt das Feindbild Amerika. Das nährt unter Orient-Experten und Islamwissenschaftlern den Wunsch, sich auszutauschen und über kulturelle und nationale Grenzen hinweg zusammenzurücken, Kräfte zu bündeln. Die Organisatoren des ersten Weltkongresses der Orientalistik, der heute in Mainz zu Ende ging, trugen dem Rechnung, indem sie die Folgen des 11. September, das Verhältnis zwischen den USA und dem Irak sowie den Palästina-Konflikt bei der Auswahl der Vorträge besonders berücksichtigten. Für die großen Vortragsveranstaltungen holte man prominente Stimmen des Ausgleichs zwischen dem Westen und der arabischen/islamischen Welt auf die Podien – wobei diese den Erwartungen nicht immer gerecht wurden.

Der Vortrag des jordanischen Politikwissenschaftlers Kamal Abu Jaber über die Folgen des 11. September für den Nahen Osten kam über Anekdoten nicht hinaus. Andere Vorträge fielen selbst der aktuellen politischen Entwicklung zum Opfer, die sie eigentlich kommentieren sollten. Uri Avnery, der israelische Friedensaktivist, musste in letzter Minute seine Teilnahme absagen, weil seine Organisation „Gush Shalom“ (Friedensblock) wegen Spionage und Landesverrat in Israel vor Gericht gestellt werden soll.

Prinz Hassan von Jordanien, Präsident des Club of Rome und ein bekannter Fürsprecher des friedlichen Dialoges zwischen den Religionen und Kulturen, mahnte in seiner Eröffnungs-Ansprache Orient und Okzident zu gemeinsamer Verantwortung für den Globus. Immer noch werde weltweit zigmal mehr Geld für Waffen ausgegeben als für Bildung. Opfer blinden Terrors seien nicht nur die USA, sondern auch viele andere Staaten und Gesellschaften rund um den Globus: „Von einem Dollar am Tag leben zu müssen, ist auch ein Akt des Terrors“, sagte Prinz Hassan. Terrorbekämpfung ohne ein gemeinsames Ziel der Allianz sei sinnlos. An seine arabischen Landsleute richtete er den Appell, auch sie müssten sich ihrer Versäumnisse bewusst werden. Muslime, so Prinz Hassan, müssten endlich ihren eigenen Beitrag zur Zivilisation anerkennen, die universell sei.

Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden, befürwortete den Krieg der USA gegen den Terror. Panzer und Raketen allein, so Spiegel, könnten Hass und Fanatismus jedoch nicht ausrotten. Dazu, so Spiegel, bräuchte es die Bereitschaft zwischen Völkern, wie bei dieser Konferenz, aufeinander zuzugehen und ins Gespräch zu kommen.

Dazu bestand bei dieser ersten Weltkonferenz reichlich Gelegenheit, dank der mehr als 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über fünfzig Ländern und rund 1000 Vorträgen über Themen aus der Islamwissenschaft und der orientbezogenen Forschung anderer Fachrichtungen wie etwa Geschichte, Politikwissenschaft, Internationale Beziehungen, Volkswirtschaft, Ethnologie, Geographie, oder Archäologie. Neben den aktuellen Themen reichte die Palette von der brisanten Frage historisch-kritischer Koraninterpretation über den Einfluss des Islams in Zentralasien bis zur Situation von Muslimen in Deutschland und zur Dezentralisierung der Verwaltung in Marokko. „Bei der Jahrestagung der Middle East Studies Association in den USA kommt man oft über Modethemen nicht hinaus. Und viele Fachleute vor allem aus Drittweltländern können nicht kommen, weil die Übernachtung rund 200 Euro kostet“, merkte ein Teilnehmer an. In Mainz dagegen habe er Fachleute aus der ganzen Welt treffen können.

Juden und Palästinenser

Bemerkenswert war in Mainz der hohe Anteil von jüdischen Wissenschaftlern aus Israel. Über hundert diskutierten zusammen mit Fachleuten aus dem Iran, Oman, Marokko, Saudi-Arabien und auch mit Palästinensern. „Die Atmosphäre hier war sehr locker und konstruktiv“, sagt Daphne Zimkhon vom Technion in Haifa, „viel besser als bei ähnlichen Treffen in den USA, wo wir in den letzten Jahren von einseitig pro-palästinensischen Gruppen oft sehr feindselig empfangen wurden.“

Kritik gab es an der Masse der Veranstaltungen, die oft auch zulasten der Qualität ging. Man fragt sich etwa, welche wissenschaftliche Relevanz zum Beispiel die Einlassungen von vier ausgewiesenen Mitgliedern saudischer Regierungsgremien haben.

Welche Erkenntnisse, welche Forschungen werden gebraucht? Was bedeutet zum Beispiel die Präsenz von drei Millionen Muslimen in Deutschland für das Hochschulangebot in der Islamwissenschaft? Welcher Stellenwert kommt der Grundlagenforschung zu, was soll Inhalt eher anwendungsbezogener Studiengänge sein, und in welchem Verhältnis sollten beide stehen? Über solche Fragen wurde auf dem ersten Weltkongress kaum gesprochen. Und das, obwohl klar ist: Die Orientwissenschaft ist längst kein Orchideenfach mehr.

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