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Gesundheit: Im Team gegen den Tumor

Am Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau arbeiten Ärzte verschiedener Disziplinen zusammen So wollen sie die Behandlung von Krebspatienten effektiver gestalten. Ein Patient erzählt

Andreas Wuschnakowski wunderte sich sehr. Er war doch erst 46 – warum fehlte ihm denn plötzlich beim Treppensteigen der Atem, woher kamen die Schweißausbrüche und Beklemmungsgefühle? Seine Arbeit im Bereich Kraftfahrzeuge bei der Polizei fiel ihm jeden Tag schwerer. Er bat seine Hausärztin um Rat, die stellte einen akut hohen Pulsschlag fest – schon nach einer halben Treppe. „Fahren Sie gleich in eine Notaufnahme“, sagte sie zu ihm. Das war im Herbst 2010. Er meldete sich im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau (EWK). „Ich kannte das Haus, meine beiden Kinder sind dort geboren“, erzählt er. In der Notaufnahme stellte man fest: Er hatte Krebs, und zwar eine seltene Form, ein Keimzelltumor, der bei Männern oft als Hodentumor auftritt, bei ihm aber, was nicht sehr häufig passiert, in den Brustkorb gewandert war und aufs Herz drückte – mit einer Länge von 16 Zentimetern. Dort hatte sich schon Wasser gesammelt. Andreas Wuschnakowski kam sofort auf die Intensivstation.

Er hatte, mehr aus Zufall, ein Haus gewählt, dessen Onkologisches Zentrum seit vergangenem Jahr von der Deutschen Krebsgesellschaft für eine besonders umfassende Krebsdiagnose und -behandlung zertifiziert ist – als einziges Berliner Krankenhaus neben der Charité. Das bedeutet: Der Weg, den ein Krebspatient von der Diagnose über die Therapie bis zur Nachsorge gehen muss, geschieht nicht spontan und ungeplant, sondern möglichst gut vorbereitet, interdisziplinär verschränkt und nachvollziehbar.

„Herzstück unseres Zentrums ist die wöchentliche Tumorkonferenz“, erklärt Jochem Potenberg, Oberarzt der Klinik für Innere Medizin, der das Zentrum koordiniert. Rund 20 Spezialisten kommen jeden Donnerstag zusammen und diskutieren bis zu 30 Patientenfälle: Welche Befunde wurden bisher erhoben, welche Therapieschritte eingeleitet, wie kann es weitergehen? Unter den Teilnehmern sind Onkologen verschiedener Disziplinen, Pathologen, Radiologen, Strahlentherapeuten, Chirurgen, Gynäkologen, Physiotherapeuten und Fachpflegemitarbeiter. Gemeinsam fällt die Konferenz individuelle Beschlüsse zu jedem Fall.

Auch Andreas Wuschnakowskis Situation wurde hier besprochen. Er musste sich einer dreimonatigen Chemotherapie unterziehen, um die Metastasen des Tumors zu zerstören und dessen operative Entfernung vorzubereiten. Heute kann er darüber wieder mit einem Lächeln sprechen, er wirkt entspannt und gelassen, aber ein Zuckerschlecken war die Chemotherapie nicht: Fünf Tage lang wurde sein Körper täglich sechs Stunden lang mit Infusionen traktiert und durchgespült, dann waren zwei Wochen Pause, bevor es wieder vorne losging, das Ganze vier Mal. Bis heute hört er als Folge der Chemotherapie schlecht, vor allem die hohen Frequenzen sind wie abgeschnitten. Am 29. März schließlich fand die Operation statt – in der Evangelischen Lungenklinik Buch, mit der das Waldkrankenhaus kooperiert. Beide gehören zur Paul Gerhardt Diakonie. Der Brustkorb von Andreas Wuschnakowski musste geöffnet werden, und in Berlin gibt es nur fünf Thorax-Chirurgien, eine davon in Buch. Jetzt ist der Tumor vollständig entfernt und die Gefahr, dass sich aus dem Tumorrest ein neuer Krebs entwickeln kann, gebannt. Andreas Wuschnakowski kann wieder positiver in die Zukunft blicken.

Das Onkologische Zentrum des EWK besteht aus drei Spezialzentren für Brust- und Darmkrebs und für Krebs der weiblichen Geschlechtsorgane. Alle drei sind für sich ebenfalls von den jeweiligen Fachgesellschaften zertifiziert, was inzwischen nichts Besonderes ist in Berlin. „Das Besondere ist aber, dass wir bei uns nicht nur sehr häufige, sondern auch seltene Krebsformen behandeln“, sagt Jochem Potenberg. Vor 17 Jahren begann er gemeinsam mit der Pharmazeutin Gisela Sproßmann, die die hauseigene Apotheke leitet und eine Arzneimittelsprechstunde für Patienten anbietet, zusammenzuarbeiten. Die beiden wollten die Therapieschritte einzelner Patienten besser dokumentieren. Das war Grundstein einer interdisziplinären Zusammenarbeit, aus der die Tumorkonferenz entstanden ist. An der nehmen, eine weitere Besonderheit, auch niedergelassene Ärzte teil. Das Waldkrankenhaus hat über die Jahre ein Netzwerk aufgebaut und kooperiert mit fünf über Berlin verteilten Praxen. Diese Ärzte sind über den Zustand der Patienten noch aktueller informiert als die Klinikärzte. Im Fall von Andreas Wuschnakowski übernahm der Spandauer Onkologe Uwe Peters die Betreuung, auch er nimmt an der Tumorkonferenz teil.

Alles was medizinisch über einen Patienten bekannt ist, alle Therapiebefunde und Protokolle, sind für die Beteiligten nach dem Motto „Wissen teilen und weitergeben“ einsehbar. Auch der Patient bekommt einen Ordner mit den Informationen. „Er wird bei uns auf Augenhöhe behandelt“, so Jochem Potenberg. Mit dem Ordner kann er die einzelnen Therapieschritte nachvollziehen und sich, wenn er das wünscht, an einen anderen Arzt oder ein anderes Krankenhaus wenden.

Mit der Operation ist eine Krebserkrankung aber nicht abgeschlossen. Psychisch bleibt viel zurück, deshalb ist Nachsorge so wichtig. Am Waldkrankenhaus gibt es Gesprächskreise und eine Angehörigenberatung, außerdem wird den Patienten geholfen, Kontakt zu Sozialdiensten herzustellen oder den Schwerbeschädigtenstatus zu beantragen. Andreas Wuschnakowski will aber nach seiner Reha wieder normal arbeiten. Sein Arbeitgeber, die Polizei, behandelt ihn fast so, als sei er nie weg gewesen. Anfang Mai hat er eine Urkunde bekommen: Zum 25-jährigen Dienstjubiläum.

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