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Gesundheit: Im Untergrund

Frauen schmuggelten Manuskripte im Kinderwagen, aber mieden die Macht: Warum die „samtenen Revolutionen“ in Osteuropa ein männliches Gesicht haben

Die sozialistischen Regimes Ostmitteleuropas wurden Ende der Achtzigerjahre von „samtenen Revolutionen“ überwunden. Aber die Gesichter und Namen, die sich eingeprägt haben, sind männlich: in der Tschechoslowakei Vaclav Havel und Jiri Dienstbier, in Polen Lech Walesa und Tadeusz Mazowiecki. In der Oppositionsbewegung der DDR dagegen haben sich eine Reihe von Frauen einen Namen gemacht: Bärbel Bohley und Ulrike Poppe, Mitbegründerinnen der „Initiative Frieden und Menschenrechte“, die 1983 gemeinsam „wegen Verdachts auf landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ für sechs Wochen in Untersuchungshaft kamen. Freya Klier, die 1988 gemeinsam mit Stephan Krawczyk und Bohley ausgebürgert wurde, nachdem sie bei der Luxemburg-Demonstration die „Freiheit der Andersdenkenden“ hochgehalten hatte. Oder Marianne Birthler, die im „Arbeitskreis Solidarische Kirche“ und anderen Oppositionsgruppen aktiv war und 1990 Bildungsministerin in Brandenburg wurde.

Die Rolle dieser Frauen beim Aufbruch der DDR wird bis heute gewürdigt. So erhielt Ulrike Poppe 1995 zusammen mit anderen Bürgerrechtlern der früheren DDR das Bundesverdienstkreuz. Und auch durch Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, hat die DDR-Opposition bis heute auch ein weibliches Gesicht.

Wie kommt es, dass Frauen in der Geschichte der friedlichen Revolutionen in Tschechien und Polen nahezu unsichtbar sind? „Die Frauen der Charta 77 blieben im geschützten Raum der Familie“, sagte die Saarbrückener Publizistin und Historikerin Alena Wagnerowa-Köhler jetzt bei einer Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin über Frauen in der Zeitgeschichte. Zwar seien ein Viertel der Erstunterzeichner und der Sprecher der Charta 77 Frauen gewesen. Aber brenzlige Entscheidungen hätten Havel und Dienstbier unter vier Augen getroffen, politische Erklärungen wurden von Frauen meist nicht unterschrieben. Denn die Charta-Frauen waren meist auch Mütter – und sollten vor Verhaftungen bewahrt werden. Männern und Frauen sei es gleichermaßen darum gegangen zu verhindern, dass Familien auseinander gerissen wurden und Kinder ins Heim gesteckt wurden. „Wir sahen unsere Identität in der Mutterschaft“, sagte Erstunterzeichnerin Dana Nemcova in einem Interview mit Wagnerowa-Köhler. In der Familie, in der Beziehung von Mensch zu Mensch, liege die Macht der Frauen, die Welt zu verändern.

Dabei waren es die Frauen, die die Untergrund-Arbeit der Charta 77 organisierten: Sie tippten die Manuskripte ab, sie schmuggelten sie im Kinderwagen in die Druckerei, sie tauschten im Supermarkt heimlich Einkaufstaschen mit Dokumenten aus. Machten sie also die typisch weibliche Arbeit, während die Männer sich politisch profilierten? Die Menschen zufrieden zu machen, sei keine untergeordnete Arbeit, sagte Dana Nemcova, im Gegenteil: Wenn die Charta-Männer erlebten, dass ihre Publikationen im Untergrund verbreitet wurden, wuchs ihre Motivation, im Widerstand aktiv zu bleiben. Unmittelbar nach dem Sieg der samtenen Revolution hätten einige engagierte Frauen durchaus die Möglichkeit gehabt, wie Havel und Dienstbier in die Politik zu gehen. Aber wieder verweigerten sie sich der politischen Macht. „Wenn ich Ministerin werde, müsste ich vielen Leuten wehtun“, sagte die ehemalige Dissidentin und Soziologin Jirina Siklova. Sie entschied sich für ein zivilgesellschaftliches Engagement im tschechischen Helsinki-Komitee.

Auch in Polen waren es Frauen, die den Untergrund der Solidarnosc-Bewegung nach der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 organisierten. Aber sie wehren sich gegen die These, dass sie dabei Heldentaten vollbracht hätten, berichtete die Warschauer Politologin Bozena Choluj. Die Frauen der polnischen Gewerkschafts-Bewegung betonen, dass sie keine politischen Entscheidungen trafen. „Dafür hatte die Solidarnosc ihre Führer“, zitierte die Journalistin und Genderforscherin Ewa Kondratowicz aus einem Interview mit einer Oppositionellen.

Die Geschichte in Polen hätte aber auch anders laufen können. An der Spitze des Protestes der Danziger Werftarbeiter stand zunächst eine Frau: Anna Walentynowicz. „Sie war es, die Solidarnosc eigentlich gegründet hat, aber sie wurde von Lech Walesa zur Seite geschoben“, sagt Kondratowicz. Ihr bislang nur auf Polnisch erschienenes Interview-Buch „Lippenstift auf der Fahne“ (Warschau, 2001) ist das einzige Werk, das die Rolle der Frauen in der Solidarnosc-Bewegung würdigt.

Das Gelingen der Untergrundarbeit ist zentral für den Erfolg der Demokratiebewegungen – und die Geschichten darüber sind spannend. Warum kommen sie dann bislang in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht vor? „Uns fehlen die Kriterien, den Rang des Beitrages der Frauen zu beurteilen“, sagt Wagnerowa-Köhler. Bozena Choluj spricht vom „Fehlen der Kategorien und Instrumente, die Geschichte umzuschreiben“.

Mit dem Projekt „Frauengedächtnis“ haben Wagnerowa-Köhler und die Soziologin Martina Grasse vom Berliner Ost-West-Frauennetzwerk (Owen e.V.) einen wichtigen Schritt getan, um das Erleben der Frauen für die Alltagsgeschichte festzuhalten: Ein Team von Wissenschaftlerinnen interviewte in den 90er Jahren hunderte von Frauen in Ostdeutschland und der Tschechoslowakei, die zwischen 1920 und 1960 geboren wurden. Damit Historikerinnen und Historiker diesen Schatz heben können, müssten die Interviews archivarisch erschlossen werden; ein Vorhaben, das bislang an der fehlenden Anschlussfinanzierung scheitert.

Wie die Rolle von Frauen in der Bürgerbewegung gleichberechtigt gewürdigt werden kann, zeigt die Theologin Marianne Subklew-Jeutner mit ihrer Arbeit über den Pankower Friedenskreis. Sie untersuchte unter anderem die Kommunikationsstrukturen dieser Oppositionsgruppe unter dem Dach der evangelischen Kirche. Ein Ergebnis: Die Frauen setzten bei den Treffen des Kreises eine eigene Sprach- und Redekultur durch: Man übte die freie Rede, ließ einen offenen Streit der Meinungen zu, quotierte Redezeiten für Männer, Frauen – und auch für Kinder. „Eine Sprachschule für die Demokratie“ nennt es ein Friedenskreis-Mitglied.

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