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Gesundheit: Im Zentrum der Angst

Furcht lässt sich kaum kontrollieren. Der Grund: Sie dringt nicht nur ins Bewusstsein, sondern ergreift den ganzen Körper

Wenn die Sonne untergeht, wenn es dunkelt und still wird auf den Straßen, weil kaum ein Auto mehr fährt, dann muss sie wohl unerträglich werden hinter den Wänden in Bagdad: die Angst. Mütter, die ihren Kindern Kissen auf die Köpfe drücken, wenn das Heulen der Sirenen losgeht. Wenn die Kampfflugzeuge über die Stadt jagen. Wenn die Bomben einschlagen in Bagdad.

Was passiert im Kopf, im Körper, wenn die Angst nach uns greift?

Kaum einer hat das Gefühl von Angst so genau erforscht, wie der New Yorker Neurobiologe Joseph LeDoux. Sein Büro befindet sich in Manhattan, nicht weit von Ground Zero. Seit dem 11. September ist der Hirnforscher fast omnipräsent in den US-Medien: Viele New Yorker fürchteten sich nach dem Terroranschlag davor, wieder einen Wolkenkratzer zu betreten – eine Form von gelernter Angst („konditionierter Angst“), die sich nur schwer aus dem Kopf verjagen lässt, davon ist der Gefühlsexperte überzeugt.

LeDoux war es, der in unserem Kopf ein Zentrum der Angst ausmachen konnte: eine kleine Hirnstruktur, die in zweifacher Ausgabe vorliegt und wegen ihrer Form als „Mandelkern“ (Fachterminus: Amygdala) bezeichnet wird. „Ich hab mich nicht auf die Suche nach dem Mandelkern gemacht“, sagt LeDoux. „Die Forschung führte mich zu ihm.“

Das ging so: LeDoux lehrte Ratten das Fürchten, indem er ihnen einen Ton vorspielte und gleichzeitig einen Stromschlag verpasste. Bald verknüpften die Ratten den Ton mit dem Schlag: Hörten sie ihn, zeigten die Tiere alle Anzeichen der Angst, sie erstarrten vor Furcht – auch dann, wenn der Stromschlag ausblieb.

Doch wo im Kopf nimmt diese Angst ihren Anfang? LeDoux entfernte den so genannten auditorischen Kortex der Ratten, das Hirnareal, mit dem die Tiere – und auch wir Menschen – hören. Den Rest des Hörsinns (Ohren, Hörnerv usw.) ließ er intakt. Als die Ratten sich von der Operation erholt hatten, spielte LeDoux ihnen wieder den Ton vor. Nun kam der Forscher einer unheimlichen Entdeckung auf die Spur: Obwohl die Tiere nichts mehr hören konnten, zeigten sich wieder die Zeichen der Angst. Erst wenn LeDoux die Mandelkerne zerstörte, konnte die Ratte den Ton zwar höchstwahrscheinlich noch hören – die Angstreaktion aber war schlagartig verschwunden.

Angst, entdeckte LeDoux, breitet sich über zwei Wege aus: einen bewussten und einen – verhängnisvollen – unbewussten.

Fallbeschreibungen von Patienten bestätigen diesen Befund. So berichtet der Neurologe Antonio Damasio von der Universität von Iowa von einem Patienten namens David, einem Mann, dessen Gedächtnis auf Grund einer Hirnschädigung nicht mehr funktionierte. Bei jedem Besuch musste sich der Neurologe aufs Neue vorstellen, David war schlicht nicht im Stande, sich auch nur irgendwas zu merken, sei es ein Name, ein Gesicht oder eine Stimme.

Dann kam Damasio der Gedanke für ein einfaches Experiment. Einer seiner Mitarbeiter sollte eine Woche besonders lieb und freundlich mit David umgehen – Davids „Kumpel“. Ein anderer Mitarbeiter bekam den Part des „Bösewichts“, der „jede Bitte abschlug und David mit einem sehr langweiligen psychologischen Test untersuchte, der die Geduld eines Heiligen auf die Probe stellen würde“.

Am Ende der Woche legte Damasio David eine Reihe von Fotos hin, unter denen sich auch der „gute“ und der „böse“ Mitarbeiter befanden. Wie üblich, erkannte David keinen auf den Fotos. Er konnte sich auch an nichts der vergangenen Woche erinnern. Doch als der Neurologe David dann aufforderte, denjenigen auszuwählen, zum dem er gehen würde, wenn er Hilfe brauche, wählte David in den meisten Fällen den Kumpel – und so gut wie nie den Bösewicht.

Als Damasio den Mann anschließend zum Bösewicht hinführen wollte, „der ihn, nur ein paar Schritte entfernt, bereits erwartete, schreckte David zurück“: Er erinnerte sich, genauer: sein Körper erinnerte sich, reagierte mit Angst – obwohl Davids bewusstes Ich sich an nichts erinnern konnte.

Fazit: Unsere Angst wird, zumindest zum Teil, unbewusst gespeichert. Auf dieser unbewussten Ebene kann ein Reiz, sei es jemand, der uns Böses getan hat oder ein Ton, der bewusst gar nicht wahrgenommen, gar nicht gehört wird, den Körper sehr wohl in Angst versetzen.

LeDoux glaubt, dass der Mandelkern diese unbewusste, körperliche Angstreaktion steuert. Hören wir die Sirenen von damals oder die Flugzeuge, sehen wir den Menschen, der uns einst Furcht eingeflößt hat, dann stellt die Amygdala den Körperzustand von damals wieder her: Das Herz beginnt zu rasen, die Hände werden feucht, der Blutdruck steigt, das Nebennierenmark stößt Adrenalin und Noradrenalin aus, die Lungenverästelungen erweitern sich und nehmen vermehrt Sauerstoff auf, die Leber setzt Zucker frei – all das, um den Körper auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.

Aber es gibt auch eine bewusste Kaskade der Angst: Sie läuft nicht direkt zur Amygdala, sondern geht einen Umweg über den Neokortex, also die Hirnrinde. Diese Hirnstruktur hat unter anderem die Funktion, abzuwägen, zu ergründen, ob die Angst, in die uns der Mandelkern versetzt, begründet ist. Der Kortex ist der Hirnteil, mit dem wir uns bewusst an die Situation der Angst erinnern, an die Sirenen, die Bomben. Es ist der „intelligentere“ Teil der Angst.

„Die beiden Gedächtnisformen arbeiten parallel“, so LeDoux. Sie stehen aber miteinander in Kontakt, können sich beeinflussen. Das Verhängnisvolle ist nur: Dieser Kontakt gleicht einer Einbahnstraße. Während es viele Verbindungen vom Mandelkern zum Neokortex gibt, sind die Strukturen, die umgekehrt vom Kortex zum Mandelkern gehen, dünn gesät. Im Klartext: Die unbewusste Angst ist mächtiger. Es hilft nicht viel, sich mit dem intelligenten Neokortex einzureden, keine Angst zu haben. Die körperliche Angstreaktion ist stärker als der Verstand.

Um eine gelernte Angst wieder loszuwerden, kann man nur Schritt für Schritt vorgehen, sagt LeDoux. Man muss die Angst, die man einst gelernt hat, die „konditioniert“ wurde, mühsam wieder „umlernen“. Psychologen sprechen auch von „Desensibilisierung“, einem Prinzip, das sie bei Phobien anwenden.

So kann man jemand, der eine Phobie vor Spinnen hat, zunächst eine Spinne hinter sicherem Glas zeigen – es kommt dann zwar zunächst zu einer Angstreaktion, der Phobiker spürt aber schnell, dass ihm, solange die Spinne hinter Glas ist, nichts passiert. Allmählich „lernt“ er, dass die Spinne keine Bedrohung ist, die Angst geht zurück. Die nächste Stufe ist, die Spinne auf einem Tisch krabbeln zu lassen... So versucht man, die Phobie stufenweise abzubauen, bis der einstige Phobiker sogar im Stande ist, die Spinne über seine Hand laufen zu lassen. Während dieses Lernprozesses programmiert sich die Amygdala allmählich um.

Als hilfreiche Unterstützung haben sich dabei auch Medikamente herausgestellt, die beruhigend wirken, beispielsweise Beta-Blocker, wie Studien von James McGaugh von der Universität von Kalifornien in Irvine zeigen. Denn sobald eine traumatische Erfahrung erweckt wird, sagt der Psychologe, kehrt auch die Körperreaktion, ausgelöst vom Mandelkern, wieder. Der Effekt: Die Erinnerung festigt sich. Indem die Beta-Blocker diese körperliche Angstreaktion abschwächen, verhindern sie, dass sich das Gefühl immer stärker ins Gedächtnis brennt. Die bewusste Erinnerung bleibt, der Körper aber wird entwarnt.

Eine Entwarnung, von der in Bagdad derzeit keine Rede sein kann. Stattdessen wird sich mit jeder Nacht, mit jeder Sirene, mit jeder Bombe, die noch folgen wird, mit den Soldaten, die immer näher rücken, auf beiden Seiten die Furcht immer tiefer in die Gehirne eingraben.

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