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Gesundheit: Immer auf dem Sprung

Von Juliane von Mittelstaedt Kaltes Neonlicht glänzt auf dem Wurzelholz-Mobiliar. Auf dem Boden: Sand.

Von Juliane von Mittelstaedt

Kaltes Neonlicht glänzt auf dem Wurzelholz-Mobiliar. Auf dem Boden: Sand. n haben diese beiden Bewohner nicht. Einer wackelt mit dem Schwanz, der andere versteckt sich unter einem Stein. Sie mögen keine Gäste. Weil diese Mitbewohner auch nach eifrigster Bemühung und kräftigem Streicheln nicht gesprächiger werden, wenden wir uns den Geschöpfen außerhalb des Terrariums zu: fünf Neu-Potsdamern und im Wortsinn Anti-Kapitalisten. Carola aus der Marmeladenstadt Schwartau, Katerina aus dem Schwäbischen, Tobias aus Kaiserslautern, der Germanist Jesko und Bernd, stolzer Besitzer zweier Warane.

Zusammen mit sieben anderen WGs wohnen die Zugereisten unter einem Dach, drum herum backsteinrote Mauern, Stuckengel und Bildungsbürgertum. Zu erkennen ist das Studentenhaus schon von weitem an einer Riesentraube von Drahteseln vor dem Eingang und – von Nahem – an den vielen Namen auf dem Klingelbrett. 36 Leute zählt Bernd. Einsam muss man da nicht bleiben: Sie grillen zusammen im Hof, werkeln und jäten im gemeinsamen Schrebergarten und wenn eine Fete steigt, hat man schon mal eine partytaugliche Kulisse von 36 Gästen sicher. Oft schaut jemand herein – „Oh, seid ihr noch nicht fertig?“ – , schwatzt und trinkt Tee oder tauscht Tomaten gegen Ei. Dann kommt noch einer und noch einer. Der Hauschor, von der singfrohen WG-Gründerin Carola betrieben, musste kürzlich allerdings wegen des männlichen Bariton-Boykotts geschlossen werden.

Im Wesentlichen der Zufall und das Internet haben die fünf Großstadt-Gegner zusammengebracht. Ihre Lebenslinien ziehen sich quer durch die Bundesrepublik und verknäulen sich nun in der Potsdamer Nansenstraße – dort finden sich die Fünf am liebsten in der Küche ein.

Zusammen sind sie 141 Jahre alt, einzeln zwischen 23 und 32. Eigentlich verbindet sie außer der Wohnung nichts Konkretes, zumindest nicht viel. Weder Hobby noch Fachgebiet, erst recht nicht die kunterbunte Wohnungseinrichtung. Wirklich vereint, nur kurzzeitig, von der Fußball-Freude. Das sagt natürlich ein Mann.

Kein Familienidyll

Das einende Moment der WG ist, dass alle an der Universität Potsdam studieren – Verwaltungswissenschaften und Biologie. Mit Ausnahme von Carola, der Landschaftspflegerin, die arbeitet und ein Fernstudium absolviert. Von Zeit zu Zeit kreuzen sich die Linien, wie Wollfäden, die man flicht, dann geht „Senior" und Biologiestudent Bernd mit „Junior" Tobias klettern, oder Katerina und Tobias erörtern Komplikationen der Organisation, denn sie studieren beide Verwaltungswissenschaften.

Sie sind mehr eine pentazyklische Orts-, denn Schicksalsgemeinschaft, schließlich leben sie parallel und nur manchmal synchron, wenn es passt: Essen zusammen, gehen abends weg. Aber nicht so oft. „Bloß kein Familienidyll", sagt Carola. „Das führt auf die Dauer nur zu Streit.“ Aber nur für den Zweck zusammenwohnen, sprich: für eine günstige Unterkunft? „Nee, das auch nicht, bei uns ist es eigentlich immer ganz lustig." Doch sie leben insgesamt wenig als Kommune, sogar zwei Kühlschränke schaffen Separation und im Holzregal hat jeder seinen Einlegeboden mit Cornflakes und Spaghetti. Auch beim Essen liebt es jeder anders, Carola ohne Fleisch, die anderen mit. Und wenn Tobias sein Leibgericht Pellkartoffeln mit Pfälzer Leberwurst verzehrt, dann leert sich flugs die Küche.

Die Verwaltungsfachmänner und -frauen Tobias und Katerina haben sich einen Putzplan und ein Bierverwaltungssystem ausgedacht („Jedes Bier ’ne Mark", ins Marmeladenglas) und eine Taktik gegen den frühmorgendlichen Stau am Duschvorhang. Der hat schon viele Gesichter und Geschichten kommen und gehen sehen. Die umfangreiche Ahnengalerie in der Küche kündet davon, ebenso ein vergessenes Glas Bohnen auf dem Schrank, Nägel in den Wänden und einige Erbstücke von fremden Großmamas.

Dauernd packt irgendwer

Denn neue Einwohner werden ständig gesucht. Alle sind irgendwie auf der Durchreise, in Wartestellung. Flaggen von Honduras, Irland und Australien hängen im Flur, daneben zwängen sich die fünf Kontinente auf einen Wandkarten-Quadratmeter.

Stillstand buchstabiert sich hier schwer, irgend jemand rotiert immer, packt ein oder aus oder um. Bernd verschlägt es demnächst zum Forschen in die Kalahari, Tobias für ein Jahr ins norwegische Bergen. Katerina will wieder zurück ins heimatliche Süddeutschland, Jesko nach London – „wenn man sich das so aussuchen kann“ – und Carola fühlt sich wie „ein Fisch auf dem Trockenen", wenn sie nicht an der Küste ist. Dabei ist sie nach fünf Jahren inzwischen das kontinuierliche Element dieser WG.

Alle haben schon im Ausland studiert und diese Abwesenheiten öffnen die WG-Tür immer wieder für Studenten aus anderen Ländern: einer Israelin für mehrere Monate, einer Tschechin für zwei Wochen und einer Brasilianerin für zwei Monate. Das schafft Anknüpfungspunkte überall auf der Welt.

Die Fliehkräfte zerren und zotteln an der Wohngemeinschaft auf Zeit. Die Lebensfäden dröseln sich immer wieder auf.

Welche originelle, stinknormale, zukunftsweisende oder einfach wunderbare Wohngemeinschaft möchte mit uns sprechen? Am meisten freuen wir uns im Moment über Studenten der drei großen Berliner Universitäten. Wir sind per E-Mail erreichbar:

wissen@tagesspiegel.de

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