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Gesundheit: „In den Polargebieten wird’s vielleicht zehn Grad wärmer“

Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen über die Gefahr des Klimawandels und die stockenden internationalen Verhandlungen

Müssen Wissenschaftler die ganze Erde im Blick haben, um den Wandel des Klimas zu verstehen?

Oh ja! Man weiß ja nie, wo die wunden Punkte sind. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist das Ozonloch.

Inwiefern?

Seit einiger Zeit geht in der Antarktis jedes Frühjahr das Ozon in Höhen zwischen zwölf und 22 Kilometern verloren. Wenn das Licht der Sonne nach dem polaren Winter zurückkommt, ist das Ozon innerhalb von drei bis vier Wochen in diesen Höhen weg. Ursache dafür sind die FCKWs…

…also die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die zum Beispiel in Kühlschränken eingesetzt wurden.

Genauer gesagt: Es ist das Chlor, das darin steckt. Und es war eine große Überraschung, dass die Auswirkungen vor allem in der Antarktis auftreten, also weit entfernt von den Orten, an denen man die FCKWGase in die Atmosphäre schickt.

Welche Lehre können wir daraus ziehen?

Die Lehre ist: Wir wissen nicht, wo die Achillesferse im Klimasystem steckt.

Bei der Dahlem-Konferenz in Berlin in dieser Woche geht es vor allem um die Rolle des Menschen im Klimasystem. Der französische Naturforscher Teilhard de Chardin sagte, dass wir mit unserem Denken, unseren Erfindungen und der daraus gewonnenen Macht den ganzen Globus umgreifen. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer weltumspannenden „Noösphäre“. Was verbinden Sie mit diesem Begriff?

Teilhard de Chardin und andere haben damals schon erkannt, welche außerordentliche Kraft dem menschlichen Gehirn zuzuschreiben ist. Ein Beispiel dafür ist die Haber-Bosch-Prozedur zur Stickstoffdüngung. Sie hat es möglich gemacht, so viele Menschen auf unserem Planeten zu ernähren. Das hat aber auch seine negativen Seiten.

Man hat den Eindruck, es sind die schieren Mengen, die den Lebensraum Erde so verändern: sechs Milliarden Menschen, die Energie benötigen, 1,5 Milliarden Kühe, die Methan produzieren, 160 Millionen Tonnen Schwefeldioxid-Emissionen der Industrie und so fort.

Ja. Vor allem der Kohlenstoffkreislauf, der Stickstoffkreislauf und der Schwefelkreislauf sind dadurch sehr stark gestört worden.

Um zu kennzeichnen, wie sehr der Mensch seine Umwelt beeinflusst, sprechen Sie selbst gerne vom „Anthropozän“. Wann hat dieses Zeitalter, das „Anthropozän“, begonnen?

Darüber wird interessanterweise gestritten. Ich würde sagen, es begann Ende des 18. Jahrhunderts.

Warum?

Wenn man jetzt zurückblickt, sieht man, dass damals die Treibhausgase in der Atmosphäre anfingen zu steigen. Im 20. Jahrhundert sind sie dann immer schneller gestiegen. Um die Zunahme von Kohlendioxid in der Atmosphäre heute noch zu verhindern, müsste man die weltweite Produktion oder Verbrennung von Erdöl, Gas und Kohle um 60 Prozent zurückdrehen.

Ist das möglich?

Das ist utopisch. Wir können allenfalls kleine Schritte in diese Richtung machen. Und wenn man sich das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz anschaut, ist man auch da nicht sehr optimistisch.

Hartmut Grassl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie hat kürzlich gesagt, wir hätten schon so viel Schaden angerichtet, dass wir über kurz oder lang Erdsystemmanagement betreiben müssen. Teilen Sie diese Meinung?

Ich befürchte das auch. Natürlich möchte ich es nicht. Es wäre viel besser, dafür zu sorgen, dass die Emissionen zurückgehen.

Was hat man sich unter Erdsystemmanagement vorzustellen?

Es könnte heißen, technologische Maßnahmen zu ergreifen. Zum Beispiel könnte man Kohlendioxid in der Nähe von Kohlenkraftwerken oder Ölquellen auffangen und direkt in Lagerstätten – etwa im Meer – eintragen.

Die Gegner eines internationalen Klimaabkommens bemängeln, unser Wissen reiche noch nicht aus, um Entscheidungen zu treffen, die unsere globale Energie- und Wirtschaftspolitik betreffen.

Da bin ich anderer Meinung. Natürlich gibt es noch Unsicherheiten. Aber wir wissen so viel, dass wir sagen können: Wir gehen ein sehr großes Risiko ein, wenn wir so weitermachen. Es werden für die nächsten 100 Jahre Temperaturerhöhungen auf der Erde von 1,4 bis 5,8 Grad Celsius geschätzt. Wenn man vom Mittelwert ausgeht, wären das mehr als drei Grad Celsius. Das heißt aber nicht, dass es überall auf der Erde drei Grad Celsius wärmer würde, sondern in den Polargebieten wären es vielleicht zehn Grad.

Mit welchen Folgen?

Das heißt, die Permafrostgebiete könnten schmelzen. Und dort ist sehr viel Kohlenstoff gelagert. Und wenn dieser Kohlenstoff frei wird, dann wird der Treibhauseffekt noch weiter verstärkt und es wird noch wärmer. Plötzlich könnte also eine neue Instabilität auftauchen. Die Gefahr, dass so etwas passieren kann, wird von den Forschern sehr ernst genommen. Man kann sich natürlich als Politiker zurücklehnen und sagen: Warten wir erst mal ab! Aber je länger wir abwarten, um so schwerer wird es später sein, noch Maßnahmen zu treffen.

Warum sind die internationalen Klimaverhandlungen ins Stocken geraten?

Weil die USA nicht mitmachen. Die Amerikaner hoffen wohl, dass die Technologie irgendwann zur Hilfe kommt.

Wie könnte die Technik da helfen?

Es wird zum Beispiel darüber gesprochen, feine Staubteilchen in die Stratosphäre zu bringen, die die Sonnenstrahlung zurückwerfen.

Würde Ihnen ein solches Experiment mit der Erde Bauchweh bereiten?

Im Augenblick ja. Und niemand plant so etwas. Aber wenn es wirklich einmal zu einer Art Klimazusammenbruch kommen sollte, dann wäre man vielleicht gezwungen, solche Mittel einzusetzen. Man müsste natürlich auch auf die vielen Nebenwirkungen schauen. Zum Beispiel müsste man sich bei einem solchen Experiment fragen: Kann das nicht wieder das Ozon schädigen?

Viele Menschen haben heute das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts globaler Umweltprobleme, die sie nicht mehr überblicken können. Wie gehen Sie damit um?

Ja, manchmal fühlt man sich hilflos. Ich muss auch sagen, wenn nicht die Forschung so ungeheuer spannend wäre und man immer wieder auch auf Auswege stoßen würde, dann wäre ich sehr viel pessimistischer.

Trotzdem zeichnen gerade auch Wissenschaftler manchmal sehr düstere Bilder. Der französische Molekularbiologe Jacques Monod hat einmal gesagt, dass der Mensch „seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen“. Das klingt völlig ausweglos.

Ja. Aber was hat man von einer solchen Haltung? Wenn ich meine Enkelkinder sehe, fühle ich ihnen gegenüber eine Riesenverpflichtung. Nicht nur zu forschen, sondern von Zeit zu Zeit politisch aktiv zu werden.

Das Interview führte Thomas de Padova.

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