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Gesundheit: Innenansicht eines Killers

Die Jagd nach dem Vogelgrippe-Erreger – zu Besuch bei Deutschlands führenden Virusforschern

Hans-Dieter Klenks Gegner ist unsichtbar, zumindest für das bloße Auge, und man kann ihn nicht anfassen. Er ist geruchlos, geschmacklos, hat Krallen, ist etwa 0,0001 Millimeter klein und die tödliche Hauptfigur dieser Geschichte.

Klenks Gegner heißt H5N1.

Hans-Dieter Klenk seufzt. Der Mann ist gerade sehr gefragt. Gestern rief die „Bild“-Zeitung an: Ob er bei einer Telefonaktion mitmachen könne, Top-Experten beantworten Ihre Fragen zur Vogelgrippe. Aber er hat einfach keine Zeit mehr, musste absagen. „Da hat mich mein Sohn aber beschimpft: Das wäre doch eine tolle Publicity gewesen!“ Klenk lacht, und das sonst so ernste, verschlossene Gesicht des Professors verwandelt sich plötzlich in ein herzliches, offenes.

Klenk, Chef des Instituts für Virologie der Universität Marburg, ist Deutschlands führender Influenza-Forscher. H5N1 ist nur einer seiner Gegner. Denn H5N1 ist nur eines der zahlreichen Influenza-Viren, die da draußen auf ihn und auf uns lauern.

Und nicht nur die Influenza-Viren gehören zu Klenks Studienobjekten, sondern auch so ungemütliche Zeitgenossen wie Sars, Lassa, Ebola und natürlich Marburg, das Virus, das man hier 1967 entdeckte. Mehrere Tierpfleger hatten sich damals an Grünen Meerkatzen aus Uganda angesteckt – es kam zu Blutungen in Mund, Magen, Darm, Lunge. Gewebe und Blutgefäße lösten sich buchstäblich auf. Von 38 Erkrankten starben sieben. Wochen später stellten Forscher fest, dass es sich bei dem hochaggressiven Erreger um einen engen Verwandten von Ebola handelt, und man taufte den tödlichen Keim „Marburg-Virus“.

Marburg, das Institut für Virologie. Ein dreistöckiger Neubau direkt an einem idyllischen Fluss, der Lahn. Im ersten Stock befindet sich Klenks Arbeitsstätte, im Dachgeschoss versteckt sich eines der beiden S4-Hochsicherheitslabors Deutschlands, das man nur im Ganzkörperschutzanzug betreten und über mehrere Schleusen verlassen kann. Klenk sitzt in seinem Büro, an der Wand hängt das Bild eines Influenza-Virus, eine elektronenmikroskopische Aufnahme.

Wie, Herr Klenk, „tickt“ H5N1? Wie gefährlich ist das Virus? Klenk, ein großer, ruhiger Mann, lehnt sich zurück, entspannt. Umso beunruhigender sind seine Erkenntnisse: H5N1, so lautet die Kurzfassung, rüstet sich gerade zu einem Killer mit beispielloser Effizienz.

H5N1, der Name verrät die beiden Waffen, mit denen das Virus seine Opfer attackiert. H steht für Hämagglutinin. Insgesamt gibt es 16 verschiedene Versionen von H, H5 bezeichnet Subtyp Nummer fünf. N steht für Neuraminidase, wovon neun Ausgaben bekannt sind.

H und N sind Eiweißstrukturen, die wie Krallen aus der Virushülle, seiner „Haut“, herausragen. H5N1 besteht neben der Hülle aus acht Genen, die den Bauplan für die Eiweiße H und N und einige weitere Moleküle enthalten.

Ein Virus ist somit nichts anderes als ein oder mehrere Stücke Erbgut mit einer Hülle drumherum. Die primitivste Lebensform. Viren besitzen keinen Apparat, um sich selbst zu vermehren. Dazu brauchen sie einen Wirt, einen Vogel zum Beispiel. Oder uns. Die molekulare Maschinerie, mit der die Keime sich kopieren können, befindet sich tief in unseren Zellen. Bis dorthin muss das Virus sich vorkämpfen, will es überleben. Und dafür braucht es H und N.

„Mit dem N, der Neuraminidase, bahnt sich das Virus seinen Weg durch den Schleim“, sagt Klenk. Was er nicht sagt: dass es sein Vater Ernst Klenk war, ein Kölner Biochemiker, der 1940 die Neuraminidase entdeckte. In der dünnen Schleimschicht, die unsere Atemwege überzieht, wimmelt es von neuraminsäurehaltigen Molekülen. Sie halten das Virus wie ein Gitter gefangen. N, ein Enzym, baut die Neuraminsäure ab und schaufelt dem Virus so den Weg frei zu den Zellen an der Oberfläche von Luftröhre und Lunge.

Die erste Verteidigungslinie ist durchbrochen.

Bei der nächsten Hürde kommt H ins Spiel. H ist der Schlüssel, mit dem der Erreger die Wirtszelle knackt. An der Oberfläche jeder Zelle ragen Andockstellen hervor, „Schlösser“, in die nur bestimmte molekulare Schlüssel passen. Das H von H5N1 ist derzeit auf die Schlösser von Federvieh spezialisiert. Menschliche Zellen sind mit anderen Andockstellen bestückt. H5N1 müsste somit erst sein H ändern, müsste mutieren, um in unsere Zellen dringen zu können. Die Vogelgrippe ist eine Tier-Epidemie. Noch.

1997 aber infizierten sich in Hongkong erstmals 18 Menschen nach Kontakt mit Geflügel, sechs starben. Wie ist das möglich? Wie kann eine Tierseuche Menschen infizieren? „Es gibt auch bei uns eine Eintrittspforte für Vogelviren“, sagt Klenk. Er und seine Mitarbeiter haben sie erst kürzlich entdeckt: Einige unserer Zellen besitzen Andockstellen, die man sonst nur bei Vögeln findet. So scharf also sind die Artgrenzen nicht.

Und so kam es 2003 und 2004 zu weiteren Ausbrüchen, den bislang schlimmsten: Etwa 120 Menschen infizierten sich, 60 starben, die meisten davon in Vietnam und Thailand. Sterblichkeitsrate: rund 50 Prozent, was hoch ist. Zum Vergleich: Die Mortalitätsrate des Marburg-Virus liegt bei 30 Prozent. Allerdings muss man davon ausgehen, dass viele Influenza-Infizierte nicht erkannt werden.

Trotzdem ist H5N1 bislang eine Geflügelpest, das Virus greift Menschen nur in extrem seltenen Fällen an, und eins schafft es immer noch nicht: sich von Mensch zu Mensch zu übertragen.

Das allerdings galt zunächst auch für jenen Erreger, der die verheerendste Pandemie des 20. Jahrhunderts auslöste: H1N1. Das Virus zirkulierte in Vögeln, bis es 1918 im Menschen ein neues Zuhause fand und die Spanische Grippe auslöste. Die Seuche tötete mindestens 40 Millionen Menschen, mehr als der Erste Weltkrieg. 1957 schlug die Asiatische Grippe (H2N2) zu, 1968 die Hong- Kong-Grippe (H3N2) – beide zusammen forderten über zwei Millionen Opfer.

Die Spanische Grippe aber, verursacht durch ein Vogelvirus, das sich durch Mutationen Stück für Stück an den Menschen anpasste und dessen Immunsystem kalt erwischte, war von den drei Pandemien mit Abstand die brutalste. Die Effizienz des Erregers war gnadenlos: Binnen weniger Stunden überlistete er sämtliche Immunbarrieren, Blut schoss den Hustenden aus Mund und Nase. „Eine Weltseuche, gegen die die Pest in Florenz oder ähnliche Chronikengeschichten ein Kinderspiel sind“, notierte der Schriftsteller Stefan Zweig am 19. Oktober 1918 in Zürich in sein Tagebuch. „Sie frisst Europa täglich 20000 bis 40000 Menschen weg.“

Und das Erschreckende ist: Von ähnlichem Kaliber scheint H5N1 zu sein.

Wie Hans-Dieter Klenk und seine Kollegen herausfanden, wird das H eines Influenza-Virus erst dann hochgradig pathogen, wenn an einer gewissen Stelle im Molekül vier bis sechs bestimmte Bausteine, so genannte basische Aminosäuren, auftauchen. Ist die ominöse Gruppe vorhanden, lässt sich das H von Enzymen spalten, über die praktisch jede Körperzelle verfügt.

Erst wenn das H-Molekül in zwei Teile getrennt wird, kann es das Andockmanöver an die Wirtszelle starten. Fehlt die typische Aminosäure- Kette, gelingt es lediglich einigen Spezialenzymen, die es nur in ausgewählten Zellen gibt, das H zu aktivieren. Die Folge: Das Virus bleibt auf wenige Organe, den Darm oder die Atemwege, beschränkt, und damit beschränkt sich auch das Ausmaß der Erkrankung.

Wehe aber, der Keim besitzt die apokalyptische Kette. Dann kann er im ganzen Körper wüten. Wie H7N7, das 2003 bei einem Ausbruch in den Niederlanden einen Tierarzt tötete. Und auch H5N1 ist mit der gefährlichen Kette ausgerüstet. Entsprechend tobt sich das Virus im Vogelkörper aus. Das Hirn eines Huhns etwa knipst es binnen kürzester Zeit aus.

„Ziemlich beunruhigend“ sei das alles, grübelt Wolfgang Garten, ein Mann mit Brille, kleinem Bärtchen und freundlich lächelndem Gesicht, einer von Klenks engsten Mitarbeitern. Ein auf uns zugeschnittenes H5N1, befürchtet er, hätte die verhängnisvolle Serie von Aminosäuren wohl mit an Bord – und würde rasch all unsere Organe erobern.

„Wollen Sie H5N1 mal sehen?“, fragt der Forscher, während er in einen zerknitterten Kittel schlüpft und durchs Labor geht, an Brutschränken, Reagenzgläsern und Chemikalien in Glasflaschen mit blauen Deckeln entlang. „Hier“, Garten öffnet eine Gefrierschranktür und hält ein 1,5-Milliliter-Reagenzgefäß ins Licht. Eine milchige Flüssigkeit, strukturlos, unspektakulär. H5N1. Millionenfach. „Keine Sorge, die Erreger sind natürlich abgetötet.“ Natürlich.

Eine sichtbare Struktur bekommen die Erreger erst unter dem Elektronenmikroskop, das sich im Erdgeschoss des Instituts befindet, ein ein Meter langes, orangefarbenes Rohr. Garten zeigt eine Aufnahme von H5N1, grün leuchtend. Der Keim ist rundlich mit einem Kranz aus kleinen Knubbeln – das sind H und N.

„Leider lässt sich nicht abschätzen, wie viele Mutationen H5N1 noch braucht, um sich an den Menschen anzupassen“, sagt Garten. Nur dass der Erreger oder einer seiner Vettern diese Fähigkeit früher oder später erlangen wird, das gilt unter den Experten als ausgemacht.

Was wird dann sein? Seit längerem schon warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO vor Millionen Toten. Schlimmstenfalls drohen bis zu 150 Millionen Opfer, orakelte vor wenigen Wochen David Nabarro, der UN-Koordinator im Kampf gegen die Vogelgrippe.

Doch selbst einem „scharfen“ H5N1- Virus wären wir nicht wehrlos ausgeliefert. Eine Reihe medizinischer und anderer Gegenmaßnahmen, wie Quarantäne, steht zur Auswahl. Erstes Mittel zur Verteidigung wären antivirale Medikamente wie Tamiflu und Relenza. Beides sind Neuraminidase-Hemmer: Sie blockieren das N. Neuraminidase-Hemmer wirken bereits im Vorfeld, prophylaktisch, weil sich das Virus ohne funktionierendes N nur schwer durch die Schleimschicht unserer Atemwege kämpfen kann.

Die Neuraminidase N spielt aber auch im späteren Verlauf der Infektion noch eine wichtige Rolle. Mit Ns Hilfe verlassen die neu gebildeten Viren die Zelle. Baut sich ein neues Virus in der Wirtszelle zusammen, schafft es sich eine Hülle, indem es einfach ein Stück der Wirtszellmembran klaut. Die Membran der Wirtszelle stülpt an einer bestimmten Stelle zu einem Bläschen aus. In das Bläschen lagern sich die kopierten Viruserbgutsegmente. Das Bläschen schnürt sich ab, und das neugeborene Virus verlässt die Zelle.

Das klappt aber nur, wenn der Erreger seine Krallen nicht gleich wieder in die Andockstellen der bereits befallenen Wirtszelle rammt. N entfernt diese Andockstellen von der Wirtszelle, die, wie der Schleim, neuraminsäurehaltig sind – jetzt kann sich das Virus loslösen und sein nächstes Opfer suchen.

Hinzu kommt: Da die Viren ihre Haut von der Wirtszelle stehlen, besitzen sie die Stellen, über die sie eine Zelle normalerweise entern, zunächst auch selbst. Würde die Neuraminidase N sie nicht entfernen, die Viren würden sich gegenseitig attackieren, sich aneinander festkrallen und verklumpen. Genau dafür sorgen Tamiflu und Relenza, indem sie die Neuraminidase N ausschalten.

Weitaus wirksamer und vor allem billiger als antivirale Mittel jedoch sind Impfstoffe. Ein Impfstoff bereitet das Immunsystem auf H und N vor, veranlasst die Bildung hochspezialisierter Abwehrstoffe (Antikörper) gegen die beiden Oberflächenmoleküle. Da sich diese aber noch ändern müssen, damit das Virus von Mensch zu Mensch springen kann, lässt sich ein effektiver Impfstoff erst nach einem Ausbruch konstruieren. Dann beginnt ein Wettlauf mit der Zeit: Einen Impfstoff in großen Mengen zu produzieren, dauert mit herkömmlichen Methoden Wochen, ja Monate.

Ein Universalimpfstoff, der gegen alle Virus-Varianten schützen würde, wäre die Lösung. „Den gibt es aber nicht“, sagt Klenk, obwohl man daran arbeite. Viele Influenza-Viren besitzen auf ihrer Oberfläche neben H und N nämlich noch ein drittes Eiweiß: M2, eine Pore, durch die elektrisch geladene Teilchen (Ionen) strömen; sie ändert ihre Struktur auch beim Artensprung nicht. Eine funktionierende Immunabwehr gegen dieses Molekül würde somit vor zahlreichen Influenza-Viren schützen, auch vor H5N1. Doch noch ist ein solcher Impfstoff Zukunftsmusik.

Vielleicht reicht die Zeit ja bis zur Pandemie? Es könnten noch Jahre vergehen, bis das Virus sich fit gemacht hat für einen Feldzug gegen die Menschheit. Es könnte morgen passieren oder in diesem Augenblick. Selbst die Virenjäger Klenk und Garten tappen da im Dunkeln. Eins aber ist jetzt schon klar, sagt Klenk: „Das Virus wird nach Deutschland kommen, ganz sicher.“

Sein Gegner ist im Anflug.

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