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Gesundheit: Insekten: Ein Haufen Intelligenz

Wenn die hungrigen Treiberameisen aus ihrem Nest ausschwärmen, formieren sie sich zum einem geordneten Heer. In ihrem Fressrausch durchkämmen die Arbeiterinnen den gesamten Boden.

Wenn die hungrigen Treiberameisen aus ihrem Nest ausschwärmen, formieren sie sich zum einem geordneten Heer. In ihrem Fressrausch durchkämmen die Arbeiterinnen den gesamten Boden. Sie packen Spinnen und Insekten mit ihren Kiefern, um sie zu töten und die Beute zum Nest zu schleppen. Dort, in dem unterirdischen Labyrinth, wartet die Königin mit ihrer Brut. Sie hat alle Arbeiterinnen, mitunter mehr als zehn Millionen, zur Welt gebracht. Und alle hängen sie fortan an der königlichen Nabelschnur, als handele es sich bei der Kolonie um einen einzigen großen Organismus.

Aber auch die Königin ist nicht der Kopf der riesigen Schar. Der vermeintliche Superorganismus, der mit rasantem Tempo alles unter Beschlag nimmt, was nicht Reißaus nehmen kann, steht unter keiner Oberaufsicht. Alle Arbeiterinnen handeln selbstständig, laufen unentwegt hin und her und kommunizieren auf vielfältige Weise miteinander. Sie folgen den Fährten, die andere mit ihren Duftstoffen gelegt haben. Futtersuche und Transport, die Versorgung der Nachkommenschaft oder Bestattung der Toten - all dies läuft reibungs- und zugleich führungslos - ohne Top-down-Management.

Dieses hoch entwickelte soziale Verhalten der Ameisen, der Termiten, der Bienen oder Wespen bezeichnen Informatiker neuerdings als "Schwarmintelligenz". Der Begriff verneigt sich vor der kollektiven Leistung der Insekten. Er wäre dennoch kaum so verbreitet, fühlte sich nicht die eigene, die menschliche Intelligenz, dazu berufen, das Werk der Ameisen für zahlreiche technische Anwendungen zu kopieren, ja, diese sogar noch zu überteffen.

Von Menschenhand programmierte virtuelle Ameisen sollen künftig helfen, schnelle Verbindungen in überlasteten Telefonnetzen zu finden. Die Nachahmung der Natur könnte die Analyse von Bankdaten vereinfachen oder die Fertigung am Fließband. Das hoffen Forscher, die sich mit Fragen der Künstlichen Intelligenz auseinandersetzen. Sie diskutierten darüber bei einer Tagung an der Berliner Humboldt-Universität. Und schon in der kommenden Woche geht es in Brüssel weiter. Der Titel der dortigen Veranstaltung: "Von Ameisen-Kolonien zu künstlichen Ameisen - Zweiter internationaler Workshop über Ameisen-Algorithmen."

Wohin der Duft sie führt

Die Ameisen sind zu Vorbildern für mathematische Formalismen geworden. Dabei beachten die Forscher die vielen Unterschiede zwischen den mehr als 10 000 Arten hinsichtlich ihres Körperbaus, der Kommunikation oder der sozialen Organisation nicht. Bei Experimenten, wie sie Eric Bonabeau vom Santa-Fe-Institut in New Mexico und seine Kollegen im Wissenschaftsmagazin "Nature" (Band 406, Seite 39) beschreiben, interessiert sie vor allem eines: Wie die Ameisen-Kolonien mit Hilfe von Duftstoffen und wenigen, scheinbar sehr einfachen Verhaltensregeln zum Ziel kommen.

Ameisen sondern solche Duftstoffe längs ihres Weges ab. Diese "Sozialhormone", wissenschaftlich Pheromone genannt, dienen der Kommunikation und Orientierung. Entlang der Spur ist die Duftkonzentration am höchsten und verflüchtigt sich dann nach wenigen Zentimetern bis Dezimetern.

Eine zweite Ameise, die der ersten folgt, nimmt die Pheromone mit kleinen Grübchen an der Spitze ihrer Antennen wahr. Erst schnuppert sie mit der einen Antenne, dann mit der anderen und vergleicht die Duftkonzentrationen miteinander. In einer Zick-Zack-Tour tastet sie so die Duftspur ab. Gerade so, als liefe sie durch einen Dufttunnel und pendelte darin von einer Wand zur anderen, wie es der Ameisenforscher Alfred Buschinger vom Institut für Zoologie der Technischen Universität Darmstadt beschreibt. Hat eine Ameise Nahrung gefunden, läuft sie über dieselbe Spur zurück.

Eine andere Ameise, die auf kürzerem Weg zu der Futterquelle gelangt ist, hinterlässt eine kräftigere Duftmarkierung. Denn die Pheromone verdunsten mit der Zeit. Ihre Route zieht demzufolge mehr Arbeiterinnen an. Sie folgen ihr zur Futterstelle, solange bis die Nahrungsquelle schließlich erschöpft ist. Dann verschwinden auch die Pheromone wieder, bei der Ameise Solenopsis saevissima zum Beispiel nach etwa 100 Sekunden.

"Man hat in entsprechenden Versuchen viele Anzeichen dafür gefunden, dass die Lebensdauer der Pheromone optimiert ist", sagt Buschinger. Das hören Informatiker gern. Auch ihre virtuellen Ameisen werden in beschleunigter Evolution getrimmt, ihre Duftstoffe bestmöglich einzusetzen.

Marco Dorigo von der Freien Universität Brüssel hat seine virtuellen Ameisen zum Beispiel ausgesandt, eine möglichst effiziente Route für eine Rundreise durch die USA zu finden. Dabei soll jede der 15 Städte nur einmal angesteuert werden. Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn schon bei dieser geringen Städtezahl gibt es mehrere Milliarden verschiedene Routen.

Zunächst schwärmen die Ameisen-Agenten aus und ziehen nach dem Zufallsprinzip von einer Stadt zur anderen, wie Dorigo und seine Kollegen kürzlich in der Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft" schilderten. Hat eine Ameise alle Städte aufgesucht, macht sie kehrt und läuft den Weg zurück. Dabei markiert sie ihn mit virtuellen Duftstoffen: Je kürzer der Rundweg ist, desto mehr Pheromone sondert sie ab.

Erfolgreiche Kundschafter

Wenn alle Ameisen von der Tour zurückgekehrt sind, liegt auf den Abschnitten der kurzen Reisenrouten, die am häufigsten benutzt wurden, der meiste Duftstoff. Diese Verbindungen werden bevorzugt, wenn die Ameisen erneut auf Reisen gehen. So brechen sie immer wieder aufs Neue zur Städterundtour auf. Die virtuellen Duftstoffe verflüchtigen sich nach und nach, und die Ameisen entdecken immer kürzere Wege. Auch wenn sie manchmal eine Zeitlang einer falschen Fährte nachgehen - es gibt immer einige Ameisen, die alternative Verbindungen erfolgreich auskundschaften.

Das Beispiel macht deutlich, wie hilfreich das der Natur nachgebaute Verfahren sein kann. Es stößt allerdings auch an seine Grenzen: Die Ameisen-Agenten finden zwar eine günstige Tour, aber auch nach noch so langer Zeit nicht unbedingt die kürzeste.

Andererseits sei die Methode geeignet, schnell Alternativen bereitzustellen, wenn etwa eine Städteverbindung wegen Bauarbeiten oder schlechten Flugwetters ausfällt, betonen die Forscher. Und solche Flexibilität sei vonnöten, um ein Telekommunikationsnetz im laufenden Betrieb zu regulieren.

H. Van Dyke Parunak ging bei seinem Vortrag in Berlin noch weiter. Nachdem man sich soziale Systeme zum Vorbild für Software-Entwicklungen genommen habe, folgten als nächstes die Ökosysteme, sagte der Forscher vom Erim Center for Electronic Commerce in Ann Arbor. "Wir lernen gerade, solche Ökosysteme nachzubilden."

Wie erfolgreich sich virtuelle Ameisen-Kolonien oder Ökosysteme allerdings im Vergleich mit anderen mathematischen Optimierungs-Verfahren entwickeln, können erst künftige Forschungsarbeiten zeigen. Vergleiche mit der Natur seien zwar populär, hielten aber streng mathematischen Kriterien nicht immer stand, betonen einige kritische Beobachter der Szene. Auch der Begriff der "Schwarmintelligenz" ist für sie kaum mehr als eine Mode.

Biologen ist er erst recht nicht geheuer. "Intelligenz im menschlichen Sinne ist das natürlich nicht", sagt der Ameisenforscher Buschinger. Die Ameisen könnten weder planen, noch Zusammenhänge verstehen. "Die einzelne Ameise verhält sich nach einem angeborenen Reaktionsmuster." Ihr wird bereits mit den auf den Weg gegeben, was die Natur über Jahrmillionen hervorgebracht hat, etwa die Fähigkeit, einen Ameisenhügel zu bauen.

Und dann kommt plötzlich ein Wildschwein aus dem Busch und verwüstet das architektonische Wunderwerk. Der Eber suhlt sich behaglich in dem Nest der Waldameisen, um seinen Körper mit Ameisensäure einzubalsamieren und damit den Parasiten im eigenen Fell zu Leibe zu rücken. Unter seinem Gewicht brechen die Gänge des Baus ein, und unzählige Ameisen werden zerdrückt.

Was aber machen die Überlebenden? Anstatt sich im Boden zu verkriechen oder anderswie aus dem Staub zu machen, kommen sie kamikazeartig aus dem Nest hervorgequollen und lassen sich von dem borstigen Ungetüm bereitwillig platt machen. Schön blöd, oder nicht?

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