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Gesundheit: Jedes Glas ist zuviel

Alkohol in der Schwangerschaft – ein vernachlässigtes Problem

Manchen Kindern sieht man es gleich an, dass sie alkoholgeschädigt geboren wurden, einigen sogar lebenslang. Sie kommen zu klein, zu leicht und krankheitsanfällig auf die Welt. Besonders klein ist der Schädel; typisch sind niedrige Stirn, schräge, schmale Augenschlitze, sehr kurzes Näschen und schmale Lippen. Es gibt viele Missbildungen, etwa an Herz und Nieren. Sie bleiben zunächst verborgen, abgesehen von einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte.

Die Ungeborenen müssen mit der Mutter mittrinken. Alkohol ist aber für den werdenden Organismus Gift, da er häufig zu Fehlbildungen führt. Unter den Schadstoffen, die körperliche Fehl- und Unterentwicklungen, sowie geistige und psychische Störungen verursachen, gilt Alkohol als der am weitesten verbreitete.

Betrunkene Gebärende hat Joachim W. Dudenhausen, Chef der Klinik für Geburtsmedizin der Charité, in 35 Berufsjahren auch schon erlebt. Noch öfters alkoholkranke Schwangere, am häufigsten aber „ganz normale“ junge Frauen, die ihre Trinkgewohnheiten auch als werdende Mütter nicht aufgeben wollen. Dies berichtete Dudenhofen beim Symposium „Schwangerschaft und Alkohol“, das die „Stiftung für das behinderte Kind zur Förderung von Vorsorge und Früherkennung“ während des Deutschen Kongresses für Perinatale Medizin in Berlin veranstaltete.

„Mit zahlreichen, auch sehr seltenen Krankheiten geben wir uns viel Mühe, obwohl sie kaum zu behandeln sind“, sagte Dudenhausen. Vermeidbare Schäden durch Rauchen und Trinken würden bei der Schwangerenberatung aber vernachlässigt: „Manche Frauenärzte sagen auch heute noch: Ein Gläschen schadet ja nicht!“

Dabei sprechen neuere Forschungsergebnisse dafür, in der Schwangerschaft lieber ganz die Finger vom Glas zu lassen. Alkohol kann viele verschiedene Organe oder Gewebestrukturen beeinträchtigen. Die schwersten Dauerschäden richtet er im Gehirn an und zwar während dessen rapiden Wachstums von der 25. Schwangerschaftswoche bis zur Geburt. Die Hirnforscherin Hrissanthi Ikonomidou (Charité-Klinik für Neuropädiatrie) konnte nachweisen, dass schon die einmalige Gabe einer mäßigen Menge Alkohol das Gehirn der Jungen schädigte.

Alkohol vernichtet Nervenzellen in großer Zahl, denn er beeinflusst Botenstoffe, die an den Nervenenden freigesetzt werden und für die Übertragung von Signalen unerlässlich sind. Bestimmte Glutamat-Bindungsstellen (die NMDA-Rezeptoren) werden blockiert, die Rezeptoren für die Überträgersubstanz GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) dagegen übermäßig aktiviert.

Dadurch vervielfacht der Alkohol den sonst nur seltenen programmierten Zelltod, die Apoptose, im unreifen Gehirn. Besonders neurotoxisch wirkt, selbst in sehr geringen Mengen, eine Kombination von Alkohol und Cannabis, die gerade bei jungen Frauen gar nicht so selten ist, warnte Ikonomidou.

Die Hirnregionen sind verschieden empfindlich, zudem hängt der Effekt des Zellgifts von der Dauer der Einwirkung ab. Das erklärt die Variationsbreite der geistigen und seelischen Störungen. Wie Hans-Christoph Steinhausen (Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich) berichtete, haben 40 bis 60 Prozent der alkoholgeschädigt geborenen Kinder einen Intelligenzquotienten unter 70, sind also geistig behindert.

Auch sind sie besonders anfällig für psychische und Verhaltensstörungen wie Überaktivität und Konzentrationsschwäche, Ängstlichkeit und Depressivität, Sprach-, Ess- oder Schlafstörungen. Und leider „wächst sich das nicht aus“, im Unterschied zu manchen körperlichen Schäden. Der Kinderarzt Hans-Ludwig Spohr (DRK-Kliniken Westend) berichtete über eine Berliner Langzeitstudie mit Kindern alkoholkranker Mütter. Die meisten wuchsen bei Pflegeeltern auf und wurden sehr gefördert. Trotzdem brachen 43 Prozent die Schule und 63 Prozent die Ausbildung ab. Als Erwachsene sind 83 Prozent arbeitslos, 74 Prozent brauchen ständig persönliche Unterstützung (von den Männern sogar 100 Prozent).

Es gibt auch alkoholgeschädigte, aber selten als solche diagnostizierte Kinder ohne sichtbare Merkmale und mit normaler Intelligenz. Und es gibt Frauen, die weder alkoholkrank noch ungebildet sind und dennoch als Schwangere trinken. Das ergab eine Studie von Dudenhausen und Renate Bergmann (Charité-Klinik für Geburtsmedizin) mit Befragungen und Blutuntersuchungen Schwangerer in 48 Berliner Frauenarztpraxen.

Nicht weniger als 23 Prozent der Schwangeren gaben an, weiter zu rauchen und 54 Prozent, weiter Alkohol zu trinken, auch, als sie schon von ihrer Schwangerschaft wussten. Fast alle tranken mehr als ein Glas täglich, meist Wein oder Sekt. Erstaunlicherweise gefährden nicht mehr ganz junge, besser gestellte und gebildete Frauen ihre ungeborenen Kinder sogar mehr. Von „Kindesmisshandlung im Mutterleib“ sprach Spohr. Gesetzlich geschützt ist der Fetus aber nicht: „Wir können nur aufklären und überzeugen“, sagte der Kinderarzt.

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