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Gesundheit: Jesuitenschüler und Aids-Aufklärer

Damals gab es den seriösen und den „Schweden“-Koch. Letzterer, ein ausgewanderter deutscher Arzt, unterstützte die „Hardliner“ in der Aids-Politik der 80er Jahre mit haarsträubenden Aussagen.

Damals gab es den seriösen und den „Schweden“-Koch. Letzterer, ein ausgewanderter deutscher Arzt, unterstützte die „Hardliner“ in der Aids-Politik der 80er Jahre mit haarsträubenden Aussagen. Dem seriösen Professor Meinrad Koch aber ist es mit zu verdanken, dass sich schließlich eine andere Linie durchsetzte: Toleranz, Aufklärung, Forschung, Entwicklung von Test- und Behandlungsmethoden. Mit 75 Jahren ist Meinrad Koch nun in Berlin gestorben.

Koch, der Jesuitenschüler, hatte nach dem Medizinstudium in Köln und Freiburg zunächst andere Berufswünsche. Von der letzten Kinderlähmungswelle war er jedoch so beeindruckt, dass er sich der Virologie zuwandte und 1958 Mitarbeiter von Albert Sabin in Cincinnati wurde, dem Erfinder der Polio-Schluckimpfung. 1964 wechselte er zum Max-Planck-Institut für Virusforschung in Tübingen. Nach einem Zwischenspiel bei einem Schweizer Impfstoffhersteller ging Koch Mitte der 70er Jahre als Leiter der Virologie zum Bundesgesundheitsamt nach Berlin.

Er war damals ein eher zurückhaltender Labormensch. Wohl wegen der Erkenntnis, zu Unrecht sei ein „Ende der Infektionskrankheiten“ ausgerufen worden, schätzte er 1981 die neue Krankheit, die später Aids genannt wurde, zunächst falsch ein. Koch ließ sich anstecken vom Alarmismus, wonach die Infektion auch bei uns Hunderttausende dahinraffen werde. Den Grund sah er im Nachhinein auch darin, dass er damals keinen Homosexuellen persönlich kannte. Dann fing er an, sich „in der Szene“ umzutun, er stellte homosexuelle Ärzte ein. Koch, der gerne guten Rotwein trank und französische Zigaretten rauchte, verstand, dass sich Sexualität nicht staatlich regulieren lässt. Er wurde Chef des Deutschen Aids-Zentrums und focht für Vernunft.

Kochs Kollegen erinnern sich an ihn als konzilianten Forscher und Initiator zahlreicher Projekte, der selbst im Streit nicht unangenehm wurde, und Journalisten lernten einen kommunikativen Wissenschaftler kennen, der mal sachlich, mal in der Wortwahl dem Thema überdeutlich angemessen aufzuklären vermochte. Eines aber war Meinrad Koch, Verfechter der liberalen Gesellschaft, der auch schon mal über Schriftsteller und Philosophen dozierte und sich für neuere deutsche Geschichte interessierte, nie: einseitig.

Justin Westhoff

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