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Gesundheit: Kameraführung: Mit Ballhaus in der Lagerhalle

Ein Auto rast durch die Nacht. Der Gangster hinterm Steuer.

Ein Auto rast durch die Nacht. Der Gangster hinterm Steuer. Die Gangsterbraut auf dem Beifahrersitz. Ein Polizeiwagen ist ihnen auf den Fersen, und deshalb gibt man Gas und kurvt durch die nächtlichen Straßen ... Wirklich? Die Gangster sind natürlich keine Gangster. Das fahrende Auto ist kein fahrendes Auto. Und die Nacht ist keine Nacht. Eine Filmeinstellung wird gedreht, und das bedeutet, dass die Gangster ganz harmlose Schauspieler sind und die Nacht das Ergebnis ausgefeilter Lichtsetzung. Der Clou aber an dieser Verfolgungsfahrt ist, dass alles in Bewegung ist, nur das Gangster-Auto nicht. Eine solche Bewegungs-Simulation ist ein filmisches Standardverfahren und "kann nicht oft genug geübt werden", wie der Kameramann Michael Ballhaus erklärt, der zur Zeit mit Filmstudenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ein dreiwöchiges Seminar über die Kunst der Kameraführung absolviert, gesponsert von Sony und den Geyerwerken.

Drehort ist die ehemalige Paketposthalle in Reinickendorf. Staub flirrt über den Scheinwerfern. Der Dreh wird vorbereitet, doch keine Spur von Hektik. Klare Anweisungen verwandeln die rund 15 Studierenden in sichere Handgriffe. Scheinwerfer werden auf die Stative gesetzt und drehbare Spiegel montiert. Noch ein Kabel, noch eine Schraube, noch eine Farbfolie. Allmählich gewinnt die heruntergekommene Halle die Atmosphäre eines Filmsets. Und mittendrin im konzentrierten Hin und Her Michael Ballhaus, einer der berühmtesten seiner Zunft. Mit Fassbinder hat er gearbeitet ("Lili Marleen"), mit Coppola ("Dracula") und mit Scorseese ("The colour of money", "Good Fellas"). Wie er da steht, wie er beobachtet, wie er eingreift und Vorschläge macht, das alles ist von geradezu geheimnisvoller Freundlichkeit beseelt. Wer weiß, unter welch chaotischen Zeit- und Organisationsbedingungen Filmproduktionen normalerweise vonstatten gehen, kann diese Eigenschaft nicht hoch genug schätzen. Auch den Studierenden fällt diese Freundlichkeit auf und ebenso die "frische und spielerische Herangehensweise", wie Student Max Penzel sagt.

Ballhaus ruft "Action" und wieder geht es los. Bewegung wie auf dem Rummelplatz. Die Leuchten werden in regelmäßigen Abständen über das stehende Auto geschwenkt. Von zwei Studenten bewegte Reflektorschirme werfen Lichtreflexe über die Gesichter der Gangster. Einer schiebt einen auf Schienen gesetzten roten Schweinwerfer längs am Auto entlang, so dass der filmische Eindruck eines nach hinten vorbeifahrenden Autos entsteht. Ein anderer bewegt zwei Leuchten, die das Verfolgerfahrzeug simulieren. Alles bewegt sich, auch die Schauspieler simulieren die Fahrtbewegungen, nur das Auto selbst steht still. Vor der Windschutzscheibe kreist die Arri-Kamera, die an einem meterlangen Kranausleger befestigt ist. "Cut" ruft Ballhaus, und dann wird analysiert. Vielleicht sollte die Kamera ruhiger bleiben und nicht so regelmäßige Wege fahren. Sie könnte ruhig "mehr atmen" und ab und zu etwas zittern. Das gibt Dynamik und wirkt, als ob das Auto über unebenen Boden rasen würde. "Gleich nochmal, bitte."

Warum überhaupt eine solche Simulation? Warum geht man nicht direkt auf die Straße, in die Nacht? "Simulation ist effektiver", sagt Ballhaus. Nicht nur umgeht man in der künstlich hergestellten Szenerie die unvorhersehbaren störenden Einflüsse, es ist vor allem "viel leichter, mit künstlichem Licht ein Bild zu kreieren als in der Wirklichkeit". Ob es ein Schatten ist, der übers Gesicht huschen soll, oder ein Lichtschein, der sich auf die Wange legt - was im Drehbuch steht oder was man sich vorstellt, kann auch umgesetzt werden. "Die Simulation ist spannender als die Realität, sie erlaubt einem zu machen, was man will. In der Wirklichkeit wäre alles sehr viel schwieriger."

Was zeichnet eigentlich einen guten Kameramann aus? Er muss "in Bildern denken", muss mit Bildern eine Geschichte erzählen können. Er hat, so Ballhaus, "durch die Bilder so viele Informationen, auch emotionale Informationen zu geben, wie der Zuschauer zum Verstehen benötigt". Im Gegensatz zum Fotografen brauche der Kameramann ein "Gefühl für Rhythmus und Bewegung". Er müsse den gesamten Ablauf vor seinem inneren Auge haben, müsse immer weitersehen und weiterdenken, damit er die einzelne Bildeinstellung auch im Verhältnis zum ganzen Film beurteilen kann. Im Idealfall sei der Kameramann das Auge des Regisseurs. Doch der Idealfall ist natürlich nicht die Regel. In Europa ist der Kameramann oft nur Ausführender des Regisseurs. In Amerika hingegen hat er, so Ballhaus, mehr Freiheit und verantwortet Beleuchtung, Kameraperspektive und Einstellungsgrößen "In Amerika spricht man daher vom director of photography, vom Bildregisseur, weil er den Stil und die Bilder ganz entscheidend mitbestimmt." Auch das ein Grund, warum Ballhaus seit 20 Jahren in Amerika lebt.

Aber da sein Herz auch dem Nachwuchs gehört, kommt er gerne zurück. Zum dritten Mal bereits arbeitet er mit Studierenden der dffb zusammen. "Wenn es die Zeit erlaubt, das heißt, wenn ich nicht selber drehe, werde ich das auch weiterhin tun." Von einem solchen Mann lernen zu dürfen, ist für die Kamerastudenten eine Chance, die man sich kaum entgehen lassen kann. Doch was würde man dafür geben, wenn man nicht nur seine Tricks und Kniffe, sondern auch seine Freundlichkeit lernen könnte! Aber Freundlichkeit ist wohl kaum zu lernen. In diesem Punkt ist Michael Ballhaus kein Lehrer, nur Vorbild.

Tom Heithoff

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