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Gesundheit: Karriere eines Virus

Wie der Erreger der Lungenkrankheit Sars vom Tier auf den Menschen überging

Frankfurt Airport, 15. März 2003. Ein 32- jähriger Arzt aus Singapur, seine Frau sowie seine Schwiegermutter werden in Quarantäne genommen.

Bald bestätigt sich der Verdacht der Behörden. Der Arzt hat sich mit der gefährlichen Lungenkrankheit „Sars“ angesteckt („Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom“). Der Mann hatte das Virus in Singapur während der Behandlung eines Patienten aus Hongkong aufgeschnappt. Nun, mit ihm, war der tödliche Erreger zum ersten Mal in Deutschland gelandet.

Doch mit was für einem Virus hatte man es zu tun? Keiner, der es wusste. Woher war der Erreger gekommen? Achselzucken der Experten.

Heute wissen wir: Beim Erreger von Sars handelt es sich um ein Coronavirus, das – bis Sars – vor allem als harmloses Schnupfenvirus bekannt war. Doch woher der Erreger genau gekommen ist, war lange ein Rätsel.

Eine Studie in der aktuellen Online-Ausgabe des US-Fachmagazins „Science“ erhärtet nun den Verdacht, dass das Sars-Virus irgendwann im Jahr 2002 irgendwo in China vom Tier auf den Menschen gesprungen ist. Damals ist also genau das passiert, was man bei der derzeit in Asien grassierenden Vogelgrippe am meisten fürchtet: Aus dem Tiervirus war ein Menschenvirus geworden. Von diesem Moment an übertrug sich der Erreger rapide über den Globus. Letztes Jahr sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO 8098 Menschen an Sars erkrankt, 774 davon starben.

Wie ist es dazu gekommen? Um die Entstehungsgeschichte des Sars- Virus zu rekonstruieren, haben chinesische Wissenschaftler und Forscher der Universität von Chicago für die „Science“-Studie das Erbgut von 63 Erregern analysiert – und zwar aus verschiedenen Phasen der Seuche. „Was wir sehen ist eine allmähliche Feinabstimmung des Virus, mit dem es sich einen immer besseren Zugang zu einem neuen Wirt verschaffte: dem Menschen“, sagt Chung-I Wu von der Universität von Chicago, einer der Autoren der Studie.

Alles fing an im Perlenflussbecken der chinesischen Provinz Guangdong. Im November 2002 hatten sich mehrere Menschen mit der Lungenkrankheit angesteckt. Die meisten von ihnen hatten in Kontakt mit wilden Tieren gestanden.

Die Wissenschaftler haben das Erbgut der Erreger dieser frühen Patienten mit dem Genom von tierischen Coronaviren verglichen. Wie erwartet, waren die Ähnlichkeiten extrem groß.

Dann, mit der Zeit, hat sich das Virus immer mehr verändert – bis es irgendwann so gut auf seinen neuen Wirt, den Menschen, abgestimmt war, dass Veränderungen nicht mehr nötig waren. So besitzen sowohl die Erreger der frühen Patienten einen typischen Erbgutabschnitt von 29 Buchstaben. Auch bei den Coronaviren der untersuchten Tiere ist dieser Abschnitt vorhanden. Bei den Sars- Viren späterer Patienten jedoch ist diese Sequenz verschwunden. „Es ist verstörend, zuzusehen, wie sich das Virus immer mehr verbessert, wie es lernt, sich von Mensch zu Mensch zu übertragen“, sagt Chung-I Wu. Anfangs waren die Infektionsraten von Sars noch gering. Nur drei Prozent der Menschen, die in direktem Kontakt mit Infizierten standen, steckten sich an. Innerhalb weniger Monate erhöhte sich diese Infektionsgefahr auf 70 Prozent.

Wie passt sich ein Virus auf einen anderen Wirt an? Viren sind extrem primitiv – ein Stück Erbgut mit Hülle. Sie haben selbst keinen Apparat, mit dem sie sich vermehren können. Dazu brauchen sie einen anderen Organismus, zum Beispiel ein Huhn oder einen Menschen. Sie nisten sich in die Zellen des Wirts und nutzen dessen Zellapparatur, um sich zu kopieren.

Bei diesem Kopiervorgang aber kann es zu Fehlern kommen. Das Erbgut wird falsch abgeschrieben, die Folge: das Tochtervirus hat nicht genau das gleiche Genom wie das Muttervirus. Diese Änderungen bezeichnet man als Mutationen.

In seltenen Fällen aber kommt es vor, dass sich die Fehler als Vorzug erweisen. Um einen Wirt zu infizieren, muss das Virus dessen Zellen „knacken“ – „es ist ein Schlüsssel- Schloss-Prinzip“, erklärt der Virologe Heinz Zeichhardt von der Berliner Charité, Campus Benjamin-Franklin.

Die äußere Hülle eines Virus ist mit Strukturen ausgestattet, die wie ein Schlüssel in das Schloss bestimmter Wirtszellen passen. Jedes Tier aber besitzt andere Schlösser. Ein Virus, das sich auf das Knacken von Hühnerzellen spezialisiert hat, kann somit nicht auf Anhieb menschliche Zellen infizieren. Es sei denn, es kommt zu einer Mutation, die das Virus mit einem Schlüssel ausrüstet, der menschliche Zellen „öffnen“ kann. Genau das ist mit dem Sars-Virus passiert. Wie das Forscherteam anhand der Vergleiche des Erregers aus verschiedenen Phasen der Epidemie feststellte, hatten sich vor allem Mutationen durchgesetzt, die den „Schlüssel“ des Virus verändern.

Schließlich passte der Schlüssel perfekt in das menschliche Schloss. Hoffentlich bleibt es dem Vogelgrippevirus versperrt.

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