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Gesundheit: Kiezbibliotheken: Den Bezirksbüchereien droht das Aus

"Um die Einbrüche aufzufangen, die allein die Sparmaßnahmen des vergangenen Jahres gebracht haben, brauchten wir 600 000 Mark." Dieser Stoßseufzer der Leiterin der Öffentlichen Bibliotheken im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Susanne Metz, ist symptomatisch für die Sicht der Bibliotheksleiter in ganz Berlin.

"Um die Einbrüche aufzufangen, die allein die Sparmaßnahmen des vergangenen Jahres gebracht haben, brauchten wir 600 000 Mark." Dieser Stoßseufzer der Leiterin der Öffentlichen Bibliotheken im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, Susanne Metz, ist symptomatisch für die Sicht der Bibliotheksleiter in ganz Berlin. Ost- und Westbezirke leiden gleichermaßen unter rigiden Einsparungen in den öffentlichen Haushalten.

Der Abwärtstrend hält nun schon seit Jahren an: Seit 1992 schränken Sparmaßnahmen den Spielraum der Bibliotheken im gesamten nun vereinigten Stadtgebiet ein. Die Personaldecke wird immer dünner. Die Öffnungszeiten müssen reduziert werden.

Nicht nur bei der personellen Ausstattung wird der Rotstift angesetzt: Die Gelder für Neuerwerbungen sind innerhalb weniger Jahre um mehr als die Hälfte zusammengestrichen worden. Hatten die Bezirksämter den Öffentlichen Bibliotheken im gesamten Stadtgebiet 1993 noch etwa 12,9 Millionen Mark für Neuerwerbungen zur Verfügung gestellt, waren es 1999 nur noch knapp sechs Millionen. In Kreuzberg konnten die Bibliotheken im "fetten Jahr" 1993 noch 583 000 Mark ausgeben, im kleineren Friedrichshain waren es rund 372 000 Mark. Sechs Jahre später waren in beiden Bezirken davon nicht einmal mehr 50 Prozent übrig.

Die "Leistung" der Bezirksbibliotheken wird vor allem an den jährlichen Entleihungen gemessen. Die scheinen aber fast gleich zu sein. Die Zahl der entliehenen Bücher liegt in Friedrichshain mit knapp 615 000 sogar um mehr als 42 000 über denen in Kreuzberg. Aus diesen Zahlen geht jedoch nicht hervor, wie viele Benutzer in die Bibliotheken kommen, ohne Bücher oder andere Medien zu entleihen. Die bisherige Kreuzberger Hauptbibliothek war und ist beispielsweise ein beliebter Treffpunkt türkischer Mitbürger, die die dort ausliegenden Zeitungen lesen.

Die messbaren Leistungen der Bibliotheken sind jedoch nach wie vor die Grundlage für die Zuteilung der Gelder. Der Service, den sie durch Computerplätze und den kostengünstigen Internet-Zugang bieten, fließt nicht in die Berechnungen ein. Und die Veranstaltungen mit Autoren, die das kulturelle Leben im Kiez bereichern können? "Das rechnet sich meist nicht", stellt Susanne Metz resigniert fest.

Kleine Bibliotheken müssen schließen

Das im Zuge der Bezirksreform vereinigte Bibliotheksamt Friedrichshain-Kreuzberg umfasst insgesamt zwölf Bibliotheken. Vor allem von den Friedrichshainer Einrichtungen sind einige so klein, dass sie auf die Dauer nicht erhalten werden können. Der Ansatz aus dem Bibliotheksentwicklungsplan von 1995, nach dem jeder Bürger in einer Entfernung von maximal 1,5 Kilometern eine Öffentliche Bibliothek vorfinden sollte, wird ein unerfüllbares Ideal bleiben. Bei den knappen Mitteln könne der Trend nur wegführen von den Kiezbibliotheken hin zu größeren Zentren, sagt Susanne Metz. Wenn der Bezirk mit dem geringen Etat zwölf Einrichtungen halten wolle, wäre das letztlich ein Betrug am Benutzer.

Für das laufende Jahr wurde den Bibliotheken in Friedrichshain-Kreuzberg zusammen nur noch ein Etat von rund 300 000 Mark bewilligt. Davon wird sich diese Summe im Zuge der vom Senat verordneten Sparmaßnahmen vermutlich noch einmal um die "pauschale Minderausgabe" verringern, die alle Ressorts zu erbringen haben. "Wenn die gegenwärtige Haushaltssperre aufgehoben wird, werden wir wohl wenig mehr als 230 000 Mark zur Verfügung haben", erklärt die Bibliotheksleiterin Susanne Metz - eine"katastrophale Situation".

Und weiteres Unheil droht: Bis zum Jahre 2005 soll die bisherige kameralistische Mittelvergabe, bei der die Beträge in den einzelnen Bereichen nach Personal, Investitionen und Neuerwerbungen festgelegt sind, durch eine leistungsbezogene Budgetierung ersetzt werden. Damit sollen die Bibliotheken freier wirtschaften. Personal-, Investitions- und Erwerbungsmittel sind dann in einem gewissen Umfang austauschbar. Das hört sich positiv an. Aber: Gelder nach Leistung zu vergeben, erweist sich nur dann als Erfolgsrezept, wenn die Funktionstüchtigkeit der Einrichtung mit einer Grundausstattung gesichert ist.

Für die Öffentlichen Bibliotheken könnte die neue Regelung ein langsames Verkümmern zur Folge haben: Wenn die knappen Mittel trotz sparsamen Wirtschaftens nicht reichen, um die Bestände angemessen ausbauen zu können, büßen die Bibliotheken ihre Attraktivität ein. Bereits in den vergangenen Jahren ließ sich parallel zu den sinkenden Bestandszahlen auch ein Rückgang bei den Entleihungen nachweisen. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn bei abnehmender Nutzung noch weiter gestrichen wird. Diese Spirale könnte im schlimmsten Fall erst dann enden, wenn das Öffentliche Bibliothekswesen kaputtgespart sind.

Öffentliche Bibliotheken haben, wie es Politiker und Elder statesmen aus 31 europäischen Ländern im Oktober 1999 in Kopenhagen feststellten, wesentliche Aufgaben in der Gesellschaft: Sie sollen einen freien und gleichen Zugang zu den Informationen garantieren. Sie sollen ihre Informationsdienste gemäß den lokalen Bedürfnissen bereitstellen und so die Unterschiede zwischen Menschen, die reich an Informationen und solchen, die arm sind, verringern. Sie ermöglichen das lebenslange Lernen und haben Schüler und Studenten in allen Bereichen ihrer Ausbildung zu unterstützen. Sie sind in die Verantwortung für das kulturelle Erbe ihres Landes, für die Literatur und für die Lesefähigkeit eingebunden. Das bedeutet nicht zuletzt, dass Bibliotheken nicht nur ein schöner kultureller Zierat sind, der in guten Zeiten gepflegt wird, sondern in integraler Bestandteil des gesamten Bildungssystems. Die nationalen Regierungen sind aufgerufen, die Voraussetzungen für diese Aufgaben zu schaffen.

Schöne Worte und bittere Realität

Die Bundesregierung hat diese "Kopenhagener Erklärung" mitgetragen. Aber wie so oft gehen die großen Persönlichkeiten nach solchen fundamentalen Erklärungen nach Hause und überlassen die Realpolitik den nachgeordneten Stellen. In Berlin werden große Worte kleingemacht. Weil die Erwerbungsmittel seit 1992 um mehr als die Hälfte gekürzt wurden, ist der Bestand an Medien - Bücher, Zeitschriften, CDs, Hör- und Videokassetten sowie Disketten und CD-ROMs - von knapp acht Millionen Einheiten auf sechs Millionen geschrumpft. Das ist ein Viertel weniger als den Berlinern 1992 noch zur Verfügung stand.

Nach dem Bibliotheksentwicklungsplan von 1995 sollten die Öffentlichen Bibliotheken pro Einwohner 2,5 Medieneinheiten bereitstellen. Diese Richtgröße wird lediglich in einem Berliner Bezirk, in Mitte, erreicht. Das Schlußlicht bildete Tempelhof mit weniger als einer Medieneinheit pro Einwohner. Bezogen auf ganz Berlin wird ein Wert von knapp 1,8 Medieneinheiten erreicht. Die Öffentlichen Bibliotheken verlieren auf diese Weise immer mehr an Attraktivität. Entsprechend sind die Entleihungen um insgesamt 20 Prozent zurückgegangen.

Die Bibliotheken haben aber nicht nur sinkende Erwerbungsetats und steigende Preise für Medien zu verkraften. Sie müssen aus ihren knappen Budgets auch noch die Kosten bestreiten, die durch Internet-Zugänge für die Leser entstehen. Die Teilnahme am so genannten VÖBB, dem Verband der Öffentlichen Bibliotheken, ist auch nicht kostenfrei. Für ein Minimum an Gebühren müssen die Bibliotheken die Möglichkeit zum Surfen nutzen können. Für die Vernetzung mit den anderen Berliner Bibliotheken muss Friedrichshain-Kreuzberg bereits jetzt rund 60 000 Mark allein für die Leitungen aufbringen. Wenn im kommenden Jahr die Projektmittel auslaufen, müssen die Bezirksbibliotheken auch alle weiteren Kosten für Hardware, Software und Wartung übernehmen. Susanne Metz rechnet für ihre Bibliotheken mit zusätzlichen Kosten zwischen 60 000 und 80 000 Mark. Eine Aufstockung aus dem Bezirkssäckel ist nicht zu erwarten.

Im Klartext heißt das, dass wiederum weniger neue, aktuelle Medien angeschafft werden können. Wenn diese Entwicklung sich weiter fortsetzt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die "Vision" Realität wird: Wenn die Ausgaben für den VÖBB und das Internet erst den gesamten Erwerbungsetat verschlungen haben, wird Berlin das größte vernetzte Antiquariat besitzen.

Anne Strodtmann

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