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Gesundheit: Kino nach Noten

Die EU-Bildungskommissarin will Film zum Unterrichtsfach machen. Die Kulturstaatsministerin ist auch dafür

Viviane Reding ist eine energische Frau. Mit dem romantisch ondulierten blonden Haarschopf wirkt sie ein bisschen wie ein Star aus vergangenen Hollywoodzeiten. Aber wenn die EU-Kommissarin für Kultur und Bildung zu reden beginnt, steht Klartext ins Haus. Ihre Lieblingsprojekte würde sie, wenn sie den Länderregierungen denn etwas zu befehlen hätte, am liebsten im Stil einer Feldherrin durchpeitschen. „Leider aber“, so pflegt sie dann zu sagen, „habe ich keine Armeen hinter mir.“

Seit Jahren verfolgt die 51-jährige Luxemburgerin mit amazonenhafter Wucht den Plan, europaweit das Schulfach Film einzuführen. Zu Recht: Film, Top-Freizeitmedium junger Menschen und „Spiegel unserer Welt“ (Jeanne Moreau), eignet sich auch zu reflektierender Vermittlung. Folglich waren sich – bei einer Konferenz der European Film Academy (EFA) in Rom – allerlei Experten darin sofort einig. Aber muss das Fach Film den Schülern, wie Reding fantasiert, deshalb gleich beibringen, „bessere Europäer zu werden“, ist er gar ein „ideales Instrument, um den Sinn des Lebens zu erlernen“?

Wahrscheinlich geht es, wenn es geht, gerade umgekehrt: indem man Film nicht bloß für dieses oder jenes Ziel instrumentalisiert. Leider musste Kulturstaatsministerin Christina Weiss bei ihrer etwas fahrig geratenen Werbung für Film als Schulfach unbedingt das Massaker von Erfurt als Mahnung anführen, „die Jugendlichen nicht weiter mit den Bildern allein zu lassen“. Als könnten drei Wochenstunden Filmerziehung einen Außenseiter an seinem schauerlichen Tun hindern. Und Horst Walther vom Institut für Kino und Kultur regte ernsthaft an, pro Euro-Land alsbald fünf Pflichtfilme ins kontinentale Pensum einzuspeisen.

So sind die Deutschen wohl: Rufen sie nicht nach dem Staat, rufen sie nach den Staaten – hier zwecks Verabreichung von Euro-Filmkulturerbe löffelweise. Als ginge es nicht darum, erst einmal neugierig umzugehen mit etwas, wovon man nebenbei auch manches lernen kann. „Veraltet“ nannte denn auch Ase Kleveland, Direktorin des Schwedischen Filminstituts, dieses Denken. Es gehe nicht darum, neue Curricula zu verfügen, sondern den Zugang der Schüler zum kreativen Umgang mit Film zu erleichtern.

Film, das heißt in Schwedens Schulen: Filmen. Kinder experimentieren mit Technik und filmischen Formen, und das vom Grundschulalter an. Seit die Videos die Wohnzimmer zu erobern begannen, haben die Schweden überall regionale Zentren aufgebaut, die Schüler und Lehrer mit Material zum Umgang mit Film versorgen. Und der pädagogische Impuls dabei ist, passend zum lebendigen Medium Kino, deskriptiv statt normativ. „Die Kinder haben heute ganz andere Bilder im Kopf“, sagt Ase Kleveland, „wir sollten diese Bilder rauskommen lassen.“

Von Schweden lernen heißt siegen lernen? Tatsächlich kümmert sich der Musterstaat, während anderswo überwiegend Larmoyanz die eigene Untätigkeit bemäntelt, seit zehn Jahren konsequent um Filmerziehung. Das geht über extra aufgelegte Film-Magazine für Lehrer bis hin zur Versorgung der Schulen mit 35-mm-Kopien von Filmen, die noch gar keinen Verleih haben. Und mit diskretem Stolz merkt Ase Kleveland an, Josef Farres, der junge Regisseur des schwedischen Überraschungserfolgs „Jalla Jalla“, habe sein Handwerk in der Schule gelernt – beim Dreh von Dutzenden von Kurzfilmen.

Daneben ist Rest-Europa überwiegend Entwicklungsland. Der französische Ex-Kulturminister Jack Lang klagte in Rom zwar eloquent über die „konsumistische Amnesie“ der heutigen Jugend, gefiel sich dann aber eher in Attacken auf das heruntergekommene Filmland Italien als in konkreten Beispielen für französische Filmerziehung.

Fehlanzeige auch in Großbritannien, Italien, Spanien und Deutschland: Nirgends gibt es Film als Pflichtfach, nirgends werden Lehrer folglich systematisch hierfür vorgebildet. Und wenn denn Schulen Film-Angebote machen, die über die meist eher dröge Begleitung anderer Lehrstoffe hinausgehen, dann sind sie dabei auf das eher zufällige Engagement einzelner Lehrer angewiesen.

Das Thema aber wird beharrlich aktueller. Schon für März ist eine weitere Konferenz in Berlin geplant. Im Herbst folgt ein europäisches Symposium in Schweden. Vielleicht gucken sich dort manche Nachsitzer ein bisschen ab, wie man das Massenmedium Film für die Schule gewinnt, ohne es gleich wieder zum neuen Paukfach zu machen. Denn die alltägliche Lust am Kino könnte doch erst einmal eine Chance sein.

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