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Gesundheit: Kleben statt schlucken

Die Anti-Baby-Pille hat Gesellschaft bekommen. Neu sind hormonhaltige Pflaster und Vaginalringe

In Deutschland leben rund 18 Millionen Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter. Jede Vierte von ihnen verhütet mit der Pille. Empfängnisverhütung mit Hormonen ist aber inzwischen nicht mehr an diese klassische Einnahmeform gebunden: Spiralen, die in die Gebärmutter eingesetzt werden, geben fünf Jahre lang Gelbkörperhormone ab. Plastikstäbchen, die fast unsichtbar in die Innenseite des Oberarms implantiert werden, sorgen drei Jahre lang für hormonellen Empfängnisschutz.

Seit Anfang des Jahres ist in Deutschland ein Vaginalring auf dem Markt, den die Frau selbst in die Scheide einlegen kann. Der „Nuvaring“ der Firma Organon hat einen Durchmesser von 54 Millimetern, er bleibt drei Wochen an seinem Platz, dann ist eine Woche Pause – und Monatsblutung. Der Ring könnte notorischen „Pillen-Vergesserinnen“ das Leben etwas erleichtern, meint die Leverkusener Frauenärztin Elenor Heuser-Noever, die ihn bereits mehreren Patientinnen verordnete.

„Bei manchen, vor allem bei jüngeren Frauen, verursacht er allerdings Missempfindungen.“ Brigitte Sorg, beim Berliner Feministischen Frauen-Gesundheitszentrum seit Jahren für die Verhütungsberatung zuständig, warnt vor vermehrten Infektionen der Scheide. Altbekannte mechanische Barrieren wie die Portiokappe, die sich auf dem Gebärmutterhals festsaugt, oder das Diaphragma werden ebenfalls von der Frau eingelegt, bleiben aber deutlich kürzer vor Ort.

Seit zwei Wochen sind in Deutschland die „Pillen“-Hormone Östrogen und Gestagen aber auch zum Aufkleben verfügbar. Ein Pflaster von knapp fünf Zentimetern im Quadrat wird auf Bauch, Po, Oberarm oder Oberkörper aufgeklebt und gibt durch die Haut Hormone ins Blut ab. Drei Wochen lang klebt die Frau alle sieben Tage ein Pflaster auf ihre Haut, dann ist wie bei der Pille eine Woche Pause. Die Sicherheit der empfängnisverhütenden Wirkung von „Evra“ (Firma Janssen-Cilag, Johnson & Johnson) wurde in einer amerikanischen Studie mit 1400 Teilnehmerinnen getestet.

Die Zuverlässigkeit von Verhütungsmethoden kennzeichnet der Pearl-Index. Er gibt die Zahl von Schwangerschaften pro 100 Frauen an, die das Mittel ein Jahr lang anwenden. Für das Pflaster ergibt sich ein Wert von 0,9. Hormonell vergleichbar zusammengesetzte Pillen liegen bei 0,2 bis 0,5. Das Pflaster versagte häufig bei übergewichtigen Frauen. Die Dosis von täglich 20 Mikrogramm Östrogen ist geringer als bei den meisten niedrig dosierten „Mikropillen“ (siehe Kasten).

Was Dosierung und Zusammensetzung betrifft, so ist nach Ansicht des Hormonspezialisten Horst Lübbert von der Berliner Charité (Campus Benjamin Franklin) „der Spielraum der hormonellen Empfängnisverhütung inzwischen ziemlich ausgereizt“. Risiken wie erhöhte Gefahr der Entwicklung von Blutgerinnseln oder Nebenwirkungen wie leichte Gewichtszunahme lassen sich kaum weiter mindern, denn niedrigere Dosierung würde zu mehr lästigen Zwischenblutungen führen.

Ein Vorteil der Pflaster ist, dass die Hormone durch die Haut ins Blut gelangen und den Verdauungstrakt somit umgehen. Durchfall oder Erbrechen heben die Wirkung nicht auf. Kleben statt Einnehmen könnte speziell für Frauen mit chronischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn eine Alternative sein. Theoretisch könnte die Umgehung des Leberstoffwechsels auch das Thrombose-Risiko senken, spekuliert Lübbert.

Dafür ist das Pflaster sichtbar. In den USA sei es schon schick, sich damit am Strand zu zeigen, versichert Heuser-Noever. Problematisch sind Hautreizungen, die in den USA und Kanada jede fünfte Nutzerin spürte. Bei zwei bis drei Prozent der Trägerinnen zwingen Hautunverträglichkeiten zum Absetzen des Verhütungsmittels.

Jedes 50. Pflaster hielt sich in den Tests zudem nicht eine Woche lang am gewünschten Ort, sondern löste sich beim Schwitzen, Duschen oder Baden. Dann muss vorzeitig ein neues Exemplar angebrochen werden. Mit 42 Euro für drei Monate kosten die Pflaster ohnehin mehr als die gängigen Pillen.

Mit dem Gestagen Norelgestromin, das im Pflaster steckt, gibt es zudem noch nicht allzu detaillierte Erfahrungen, wie Lübbert zu bedenken gibt. Mit der verfügbaren Palette von Anti-Baby-Pillen ist das anders. „Wir setzen sie oft zusätzlich als Medikament ein und wählen dann gezielt das Präparat aus, das auch gegen Akne, Haarausfall, Menstruationsbeschwerden oder Kopfschmerzen wirkt“, sagt Lübbert.

Was das Pflaster in dieser Hinsicht kann, ist noch völlig ungeklärt. „Wir haben auch noch keine Erfahrung damit, ob es non-stop geklebt werden kann, um eine Menstruationsblutung zu verhindern.“ Bei einigen Frauen blieb allerdings trotz Pflaster-Pause die Periode aus, zu Beginn kam es dafür häufiger zu Zwischenblutungen als mit der Pille.

Adelheid Müller-Lissner

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