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Kolumne: Dr. Wewetzer: Schwanger und gestresst

Angst und Stress sind scheinbar allgegenwärtig, und sie werden mit etlichen Krankheiten in Verbindung gebracht. Auch auf Empfängnis und Schwangerschaft sollen sie sich negativ auswirken, glauben viele Frauen.

Mehr noch: Im Zentrum der Angst-Besessenheit „stehen weibliche Fruchtbarkeit und Schwangerschaft“, wie meine Kollegin Amanda Schaffer im amerikanischen Onlinemagazin „Slate“ feststellt. Möglichst stressfrei soll es also nach Möglichkeit zugehen, wenn man schwanger werden möchte oder es schon ist. Aber das ist so einfach nicht, denn Mutter zu werden ist gelegentlich schwierig. Weshalb sich die Angst vergrößert, seelische Belastungen könnten dem Baby zusetzen. Das wiederum steigert den Stress, was wiederum ... es ist eine Spirale ohne Ende.

Doch viele Befürchtungen erweisen sich als unbegründet, wie Schaffer anhand von Studien überzeugend belegen kann. Beginnen wir mit der künstlichen Befruchtung. Oft ist der innere Druck groß, wenn das Wunschkind auf sich warten lässt. Kann er die Chancen auf ein Baby schmälern? Eine 2011 im Fachblatt „BMJ“ erschienene Studie, in der 14 Untersuchungen mit insgesamt 3583 Frauen zusammengefasst wurden, schafft hier Klarheit. Emotionaler Stress, etwa Angst oder Depression, verringerte die Chance nicht, durch künstliche Befruchtung schwanger zu werden. „Das Ergebnis war eine große Erleichterung“, zitiert „Slate“ die Studienleiterin Jacky Boivin von der Uni Cardiff.

Eine weitere Sorge gilt dem Risiko, dass das Kind infolge von mütterlichem Psychostress zu früh zur Welt kommt, zu leicht ist und die spätere Entwicklung beeinträchtigt sein könnte. Eine Studie, für die mehr als 78 000 Däninnen befragt wurden, ging dieser Vermutung nach. Ergebnis: Belastende Ereignisse und Angstgefühle verkürzen tatsächlich die Schwangerschaft – aber nur unbedeutend, um allenfalls zwei bis zweieinhalb Tage.

Schließlich die Frage, ob psychische Probleme der Mutter während des Schwangerseins das spätere Gedeihen des Kindes beeinträchtigten. Dazu gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Aber einiges spricht dafür, dass Stress, wenn er ein gewisses Maß nicht überschreitet, das Heranreifen eher beschleunigt als behindert. Alltägliche Sorgen schaden dem Ungeborenen nicht, sagt Janet DiPietro von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, eine der namhaften Forscherinnen auf diesem Gebiet. Was natürlich nicht heißt, dass Stress erstrebenswert wäre, wie sie hinzufügt.

Ein Embryo oder Fetus ist kein von außen abgeschlossener „Parasit“ im Mutterleib, wie man früher annahm. Aber ebenso wenig sind der werdende Organismus und seine Psyche völlig schutzlos, ein Stück Wachs, in dem jedes gelegentliche seelische Tief der Mutter einen irreversiblen Abdruck hinterlässt. Die Natur schirmt das heranwachsende Leben gegen vieles ab, was die Entwicklung gefährden kann. Wir Menschen sind robuster, als uns so manche selbst ernannten Fachleute glauben machen wollen. Auch Stress gehört, von Anfang an, zum Leben dazu. Nur wer tot ist, hat keinen mehr.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht? Bitte an: sonntag@tagesspiegel.de

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