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Gesundheit: Konzentrierte Kraft

Die Wissenschaft setzt immer mehr auf große Schwerpunkte. Ein Erfolgsrezept?

Müssen wir auch noch den Begriff „Cluster“ („Haufen“) aus dem Amerikanischen übernehmen, um besser zu verstehen, was in Deutschland passiert? Ja, wir müssen. Denn Wirtschaft und Wissenschaft denken immer mehr in Clustern, also großen Schwerpunkten. Das Muster für einen Cluster ist die 40-jährige Erfolgsgeschichte von Silicon Valley in Kalifornien. Am Anfang stand die Entscheidung der Stanford University, mit viel Geld aus der einstigen Provinzuniversität eine amerikanische Spitzenuniversität zu machen. Dann gab die Uni den beiden Studenten William Hewlett und David Packard Geld, damit sie in einer Garage eine Elektronikwerkstatt einrichten konnten. Später half die Stanford University den beiden Studenten Larry Page und Sergey Brin mit Geld. Die beiden Studenten entwickelten die Suchmaschine Google. Silicon Valley ist seitdem das Symbol für ein explosionsartiges Wachstum durch eine Kooperation von Wissenschaft, Wagnisfinanzierung und Wirtschaft.

Als im Jahr 2001/2002 der Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger Politik, Wirtschaft und Wissenschaft an einen Tisch holte, um gemeinsam für die Hansestadt sechs Zukunftscluster zu definieren, löste das helle Aufregung aus. Denn eine gewachsene Wissenschaftslandschaft und eine florierende Wirtschaft in Hamburg sollten sich auf ein Netzwerk einigen und damit die Zukunft der Hansestadt bewusst gestalten. Als Cluster wurden Luftfahrt, Logistik, Chinaportal, Medien, Nanotechnologie und Lebenswissenschaften verabredet. Für die Universitäten bedeutete das: Künftig sollten Studienplätze vor allem in dem Bereich der Cluster geschaffen werden.

Als auch Berlin während der ersten rot-roten Koalition dem Hamburger Beispiel folgen wollte, gab es Widerstand: Nur die TU und die technisch orientierten Fachhochschulen zeigten unter der Hand Sympathie. Inzwischen haben Berlin und Brandenburg gemeinsam drei Cluster verabredet: Gesundheit und Lebenswissenschaften, Kultur und Medien sowie Verkehrswirtschaft.

Sechs Cluster in Hamburg, nur drei Cluster in Berlin, aber 19 Cluster in Bayern und zehn Cluster in Baden-Württemberg – wie kommt es zu diesen Unterschieden? Erste Bedingung: die Politik muss einen stimmigen Rahmen vorgeben. Ein China-Cluster hat in der Hafenstadt Hamburg eine Chance, nicht aber in Berlin. Wirtschaft und Politik haben erkannt, dass nur wenige, dafür aber wirtschaftsstarke Cluster Erfolg versprechen. Je stärker die Wirtschaft in einem Land ist und je leistungsfähiger die lokalen Hochschulen sind, desto besser erscheinen die Startbedingungen.

Bei einem Gespräch zwischen Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft in der Villa Hügel in Essen sagte Christian Ketels, Geschäftsführer der Harvard Business School, in den USA sei ein Drittel der Beschäftigten der Industrie in Clustern tätig. Ähnliches gelte auch für Kanada, Schweden und Teile der EU. In Deutschland seien sogar 40 Prozent in Clustern beschäftigt; den höchsten Wert erreiche Stuttgart mit 50 Prozent. In Clustern verdienten die Beschäftigten mehr als in anderen Industriezweigen, die Produktivität sei höher, das Wachstum entsprechend und die Patente zahlreicher. Ketels sprach von einem „Turboeffekt“ guter Cluster. Entscheidend sei die lokale Nähe von Unternehmen und Wissenschaft und die Konzentration oder Spezialisierung auf wenige Produkte: „Lieber zwei oder drei gute Cluster als 25 Versuche“, sagte Ketels.

Am Beispiel Dresden verdeutlichten Gerhard Fettweis, der an der TU einen Stiftungslehrstuhl von Vodafone wahrnimmt, und Hans-Raimond Deppe, Geschäftsführer von AMD, wie aus der sächsischen Metropole eine dynamische Wirtschaftsregion wurde. Alles lag an der Entscheidung der sächsischen Regierung, auf die Ansiedlung der amerikanischen Halbleiterfirma AMD zu setzen und nicht auf ein verlockendes Angebot der Firma Siemens. Man profitierte damals von EU-Fördergeldern, die den neuen Ländern in ähnlicher Höhe in Aussicht gestellt wurden wie dem unterentwickelten Irland. Für Dresden sprachen eine Menge an qualifiziertem Personal, die TU und die kulturelle Ausstrahlung der Stadt. AMD wird seine Investitionen in Dresden bis auf acht Milliarden Euro steigern.

Nun ist durch den Exzellenzwettbewerb der Cluster auch in der deutschen Wissenschaft zu einem Leistungskriterium geworden. Es hat sich herausgestellt, dass die seit 38 Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereiche Beachtliches in der Grundlagenforschung geleistet haben. Aber bei dem Transfer der Forschungsergebnisse in die Wirtschaft hapert es, wie der DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker bei dem Villa-Hügel-Gespräch einräumte. Da zeigen sich die Unterschiede: Cluster, die die Wirtschaft fordert, müssen die ganze Wirkungskette besetzen: von der Grundlagenforschung über die Innovation mit Hilfe der angewandten Forschung bis zur Umsetzung in marktfähige Produkte und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Cluster im Verständnis der Wissenschaft sollen bewusst die Fachgrenzen überschreiten und die Universitäten zur engen Zusammenarbeit mit außeruniversitären Instituten bringen. Bei der Vergabe der ersten 17 Cluster im Exzellenzwettbewerb waren Baden-Württemberg und Bayern besonders erfolgreich. Keine Berliner Universität bekam einen Cluster zugesprochen.

Dabei hat Berlin für die Verbindung von Wirtschaft und Wissenschaft einiges getan: Technologieparks wurden in Adlershof und Buch gegründet. Doch zogen sie keine Ansiedlung von großer Industrie nach sich, wie HU-Präsident Christoph Markschies feststellte. Auch in München hat sich trotz der Förderung der Biotechnologie an den Unis keine pharmazeutische Weltfirma angesiedelt, sagte Winnacker. Auch Cluster können nicht alles.

Uwe Schlicht

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