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Gesundheit: Kosmisches Gespinst

Geformt von dunkler Materie: Forscher simulieren am Computer, wie sich das Universum entwickelt hat

Von Rainer Kayser, dpa

Die moderne Kosmologie basiert auf einem grandiosen Widerspruch: Sie setzt voraus, dass unser Universum homogen ist. Egal in welche Richtung wir im Universum blicken, stets sollte sich uns das gleiche Bild bieten. Denn nur diese Grundannahme erlaubt es den Kosmologen, die komplizierten Gleichungen von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zu lösen und so zu einer physikalischen Beschreibung des gesamten Kosmos zu kommen.

Doch schon der Blick an den Nachthimmel zeigt uns: Der Kosmos ist keineswegs homogen. Das schimmernde Band der Milchstraße – heutzutage leider nur fernab der hell erleuchteten Städte gut zu erkennen – führt uns vor Augen, dass die Sterne in unserer kosmischen Nachbarschaft recht ungleichmäßig verteilt sind.

Schon im 18. Jahrhundert erkannten die Naturforscher, dass unser Sonnensystem sich offenbar im Inneren einer scheibenförmigen Struktur befindet. Heute wissen wir, dass unsere Milchstraße eine Spiralgalaxie aus rund 100 Milliarden Sternen ist – und dass es im Weltall Myriaden ähnlicher Welteninseln gibt.

Aber auch diese Galaxien sind zum Leidwesen der Astronomen im Universum nicht gleichmäßig verteilt. Sie sammeln sich in kleinen Gruppen. Zum Beispiel in der „Lokalen Gruppe“, zu der neben unserer Milchstraße etwa 40 weitere Sternsysteme gehören. Zudem bilden sie Haufen aus Tausenden von Galaxien.

Wenn wir mit unseren Blicken noch weiter ins All hinausgreifen, sehen wir, dass sich diese Galaxienhaufen wie Perlen auf einer Schnur entlang von Filamenten aufreihen. Diese Bänder durchziehen den gesamten Kosmos. Und natürlich ist gerade diese Inhomogenität eine überaus wichtige Eigenschaft des Kosmos: In einem völlig gleichmäßig mit Materie erfüllten Universum gäbe es keine Sterne, keine Planeten, kein Leben – und folglich auch keine neugierigen Kosmologen, die die Entstehung der Struktur des Weltalls erklären möchten.

Trotzdem haben die Kosmologen stets am Gedanken der gleichmäßigen Verteilung der Materie festgehalten. Wenn wir Hunderte Millionen von Lichtjahren überblicken könnten, würden die Unregelmäßigkeiten schon verschwinden, so argumentierten sie.

In den Jahren 1989 bis 1993 bestätigte der Forschungssatellit Cobe diese Vermutung eindrucksvoll. Die kosmische Hintergrundstrahlung, jenes ferne Strahlungsecho des Urknalls, kommt tatsächlich gleichmäßig aus allen Richtungen zu uns. Das belegt, dass die Materie kurz nach dem Urknall weitaus gleichförmiger als heute verteilt war. Zu gleichmäßig freilich durfte es aber auch wieder nicht sein. Wie sonst sollten die heutigen Strukturen im Kosmos überhaupt entstanden sein?

Bei genauerem Hinsehen stießen die Forscher tatsächlich auf minimale Schwankungen in der Hintergrundstrahlung. Sie betragen nur ein Tausendstelprozent. Diese winzigen Schwankungen sind es wohl auch, aus denen im Verlauf von 14 Milliarden Jahren alle heute sichtbaren Strukturen entstanden sind.

Die treibende Kraft dabei ist die Gravitation: die Anziehung der Massen untereinander. Doch hier stoßen die Astrophysiker auf ein neues Problem. Es gibt viel zu wenig Materie im Universum. Schon die Rotation der Galaxien und die Bewegung der Sternsysteme in Galaxienhaufen zeigen, dass die Anziehungskraft der sichtbaren Materie nicht ausreicht, um diese Galaxien und Galaxienhaufen mit ihrer Anziehungskraft zusammenzuhalten. Rund 90 Prozent der Masse im Universum muss eine bis heute unbekannte Substanz sein: die mysteriöse „dunkle Materie“. Und diese dunkle Materie spielt folglich eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung der Strukturen im Kosmos.

Mithilfe von Simulationen auf ultraschnellen Supercomputern versuchen Forscher in aller Welt, die Entstehung großräumiger Strukturen im Kosmos nachzuvollziehen und so vielleicht auch etwas über die Eigenschaften der dunklen Materie zu erfahren. Eines der führenden Teams dabei wird von Simon White geleitet, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei München.

Bei diesen Simulationen verfolgt White die Bewegung von Testteilchen unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Anziehungskräfte. Bei der bislang umfangreichsten solchen Rechnung beobachtete White in Zusammenarbeit mit Forschern aus Großbritannien, den USA und Kanada eine Milliarde solcher Testteilchen. Innerhalb von 70 Stunden Rechenzeit produzierte der Parallelrechner Cray T3E rund ein Terabyte Daten. Wie im Zeitraffer können die Wissenschaftler damit die Entstehung der großen Strukturen innerhalb der 14 Milliarden Jahre seit dem Urknall verfolgen.

Ging es früher nur darum, diese Strukturentstehung bei unterschiedlichen Voraussetzungen mit der beobachteten Realität zu vergleichen und so Rückschlüsse auf die dunkle Materie und die Expansion des Weltalls zu ziehen, so versuchen die Astrophysiker heute, ganz konkret auch die Entstehung von Galaxien in unserer Nachbarschaft zu modellieren. Solche Simulationen lassen sich dann zu einer virtuellen Reise in die Vergangenheit nutzen.

Sie zeigt den Forschern beispielsweise, wie die großen Galaxienhaufen in unserer Umgebung vor vielen Milliarden Jahren aussahen. Damals waren Kollisionen zwischen Galaxien ein häufiger Vorgang. Mithilfe der Simulationen lässt sich herausfinden, wie solche Wechselwirkungen die Entwicklung etwa der Milchstraße und ihrer Sterne beeinflusst haben.

Berechnungen mit dem Supercomputer des Astrophysikalischen Instituts Potsdam zeigen, dass unsere Milchstraße nach und nach aus der Verschmelzung einer Vielzahl kleiner Galaxien entstanden ist. Dabei hat die Milchstraße vermutlich mehrfach ihre Spiralarme verloren, um jeweils wieder neue auszubilden. Diese Entwicklung ist auch heute noch nicht abgeschlossen: Die Astronomen haben kürzlich im Sternbild Schütze eine Zwerggalaxie entdeckt, die gerade von unserer Milchstraße verschlungen wird.

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