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Gesundheit: Kurz vor der Verschmelzung

Genetische Tests am frühen Embryo sind umstritten. Eine Alternative könnte die Polkörperdiagnostik sein

Europa ist sich nicht einig: In vielen Ländern, darunter Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und die skandinavischen Länder, ist die genetische Untersuchung von Embryonen im frühen Stadium vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib möglich. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen die Präimplantationsdiagnostik, PID, nicht praktiziert wird. Das Embryonenschutzgesetz verbietet es, dem Embryo Zellen zu entnehmen, aus denen eigenständiges Leben werden könnte.

In den vergangenen Jahren wurde jedoch ebenso heftig wie parteiübergreifend über das brisante Thema diskutiert. Nicht zuletzt vom Nationalen Ethikrat. Zwei getrennte Voten in der Stellungnahme aus dem vorigen Jahr – eines für eine Beibehaltung des Verbots und das andere, mehrheitliche, für eine begrenzte Zulassung – dokumentieren das.

Jetzt hat das Gremium auch eine Stellungnahme zur Polkörperdiagnostik vorgelegt, einer besonderen Art der Diagnostik im Rahmen der Befruchtung außerhalb des Mutterleibs. Diese Untersuchung der Eizelle kurz vor ihrer Verschmelzung mit der Samenzelle gilt in Deutschland als rechtlich unbedenklich, weil in diesem frühen Stadium noch kein Embryo im Sinne des Embryonenschutzgesetzes entstanden ist. Der Ethikrat, der im Februar Sachverständige zur Polkörperdiagnostik angehört hat, sieht denn auch „zurzeit keinen gesetzlichen Handlungsbedarf, der sich speziell auf die Regelung der Polkörperdiagnostik bezieht“.

Die Untersuchung an der Eizelle vor der Befruchtung ist aber technisch schwierig und wird in Ländern, in denen die Diagnostik am frühen Embryo im Reagenzglas erlaubt ist, wenig angewandt. Im Unterschied zur PID erlaubt sie zudem nur Aufschlüsse über die von der Mutter vererbten Anlagen.

Polkörperchen sind funktionslose Zellen, die bei der Entstehung eines Embryos ausgestoßen werden. Der erste Polkörper, der von der Eizelle noch vor dem Eindringen der Samenzelle ausgestoßen wird, enthält den Teil der mütterlichen Erbanlagen, der beim Embryo nicht zum Tragen kommen wird. Die Untersuchung lässt damit indirekte Rückschlüsse auf den genetischen Beitrag der Mutter zum Embryo zu. Der zweite Polkörper wird erst ausgestoßen, wenn die Samenzelle schon in die Eizelle eingedrungen, aber noch nicht mit ihr verschmolzen ist. Wenn auch er untersucht wird, steigt die Aussagekraft. Weil die Polkörper-Untersuchung unmittelbar vor der Verschmelzung des beiderseitigen elterlichen Erbguts ansetzt, wird sie auch als „Präfertilisations“- oder „Präkonzeptions-Diagnostik“ bezeichnet. Zum Zeitpunkt der zweiten Untersuchung sind mütterliches und väterliches Erbgut nur noch durch eine dünne Haut getrennt. Dann ist Eile geboten: Zwischen der erlaubten Polkörper-Untersuchung und der umstrittenen PID verläuft biologisch gesehen eine hauchdünne Grenze.

Krankheiten, die vom Vater dominant vererbt werden, können vor dem Fall dieser Grenze naturgemäß nicht entdeckt werden. Die Untersuchung der Polkörper hilft aber weiter, wenn das Risiko für eine Erkrankung besteht, die über das X-Chromosom vererbt wird. Aber auch bei rezessiv vererbten Leiden, für die je eine Kopie eines veränderten mütterlichen und eines veränderten väterlichen Gens zusammenkommen müssen. Die von der Gen-Veränderung betroffenen Eizellen können identifiziert werden.

Daran sind vor allem Paare interessiert, die schon ein erkranktes Kind haben. Sie haben meist erst nach dessen Geburt erfahren, dass sie, obwohl selbst gesund, zusammen ihrem Kind eine Erbguterkrankung weitergeben können. Sie wünschen sich noch ein Kind, und sie wünschen sich, dass es die schwere Krankheit nicht hat. Eine Untersuchung des Fruchtwassers oder von Mutterkuchen-Gewebe bringt erst in der Schwangerschaft Aufschluss. Um sich die Ungewissheit zu ersparen und weil sie einen Abbruch der Schwangerschaft ablehnen, sind einige von ihnen bereit, eine Befruchtung außerhalb des Mutterleibs auf sich zu nehmen.

Ob die Polkörper-Diagnostik eine unbedenkliche Alternative zur PID darstellt, ist die Frage. Denn es kann passieren, dass Eizellen verworfen werden, die sich eigentlich zu gesunden Kindern entwickeln könnten: Weil man nur die Veränderungen in der Eizelle erkennt und keine Informationen über die befruchtende Samenzelle hat.

Der Ethikrat spricht in seiner Stellungnahme denn auch von einem „erheblichen Nachteil“ der Methode gegenüber der PID. Obwohl die Polkörper-Diagnostik nicht mit dem Embryonenschutzgesetz kollidiert und juristisch unbedenklich ist, könnte in dieser unnötig strengen Auslese ein ethisches Problem gesehen werden. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen der „erheblichen technischen Schwierigkeiten und des sich aus dem Embryonenschutzgesetz ergebenden engen Zeitrahmens“ sieht der Ethikrat die Methode „als Notlösung“ für Paare an, die eigentlich gern eine PID hätten. Für beide Methoden, PID wie Polkörper-Diagnostik, müssen sich Paare der Zeugung im Reagenzglas (In-vitro-Fertilisation, IvF) oder Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) unterziehen. Wegen eines besonderen familiären Risikos nehmen auch fruchtbare Paare das im Einzelfall in Kauf. Doch die Polkörperdiagnostik kann auch bei unfruchtbaren Paaren zum Einsatz kommen, die diese Behandlungen ohnehin bekommen. Das kann etwa dann sinnvoll sein, wenn die Ärzte nicht wissen, warum eine Frau nach IvF wiederholt Fehlgeburten hatte oder mehrere IvF-Behandlungen fehlschlugen.

Der Ethikrat begrüßt es, dass die deutschen Zentren die Polkörper-Methode nur im Rahmen einer gemeinsamen wissenschaftlichen Erhebung einsetzen wollen. „Dabei sollte man auch den gesundheitlichen Zustand der geborenen Kinder verfolgen“, sagte Ethikrat-Mitglied Christiane Woopen in einem Presse-Hintergrundgespräch zur neuen Stellungnahme. Der Vorsitzende des Gremiums, der Jurist Spiros Simitis, wiederholte bei dieser Gelegenheit die Aufforderung an den Gesetzgeber, den Gesamtbereich der Fortpflanzungsmedizin durch ein eigenes Gesetz zu regeln.

Stellungnahme und Wortprotokoll der vorangegangenen Anhörung sind nachzulesen unter: www.ethikrat.org

Adelheid Müller-Lissner

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